Siebente Geschichte

[556] Lodovico offenbart Madonna Beatrice seine Liebe. Sie schickt Egano, ihren Gatten, in ihren Kleidern in den Garten, während Lodovico sie beschläft. Dann steht dieser auf und verprügelt im Garten den Egano.


Jeder in der Gesellschaft fand den Ausweg, den Madonna Isabella in Pampineas Geschichte ersonnen hatte, bewundernswert. Filomena aber, die der König aufgefordert hatte, fortzufahren, sprach:

Liebreiche Damen, irre ich mich nicht, so werde ich euch eine List erzählen, die nicht weniger geschickt ersonnen war. Hört nur selbst.

Ihr müßt wissen, daß einst in Paris ein Florentiner Edelmann lebte, der aus Armut Kaufmann geworden und in seinen Unternehmungen so glücklich gewesen war, daß er bald großen Reichtum gesammelt hatte. Von seiner Frau hatte er einen einzigen Sohn, der Lodovico hieß. Damit dieser nun nach dem Adel und nicht nach der Kaufmannschaft seines Vaters sich bilde, hatte er ihn in keinen Laden tun wollen, sondern zu andern Edelleuten in den Dienst des Königs von Frankreich gegeben, wo der Jüngling denn auch feine Sitten und andere gute Dinge in Menge lernte.

Als nun Lodovico und seine Gefährten eines Tages über[556] französische, englische und andere Schönheiten aus allen Weltgegenden sprachen, begab es sich, daß einige Ritter, die eben vom Heiligen Grabe heimgekehrt waren, dazukamen, und einer von ihnen, nachdem er dem Gespräch eine Zeitlang zugehört hatte, sagte, so weit er auch in der Welt herumgekommen sei und so viele Frauen er auch gesehen habe, so habe er doch keine erblickt, die an Schönheit der Gattin des Egano de' Galuzzi in Bologna, Madonna Beatrice geheißen, geglichen hätte. Und alle seine Gefährten, die mit ihm in Bologna gewesen waren, pflichteten ihm völlig bei.

Als Lodovico, der noch niemals ein Weib geliebt hatte, dies alles vernahm, entbrannte er in solchem Verlangen, sie zu sehen, daß er unfähig war, an anderes zu denken. Entschlossen, um ihretwillen nach Bologna zu gehen und dort zu verweilen, falls sie ihm gefalle, gab er seinem Vater gegenüber vor, er wolle das Heilige Grab besuchen, und erlangte mit vieler Mühe die Erlaubnis dazu.

So kam er denn unter dem angenommenen Namen Anichino nach Bologna und war glücklich genug, schon am folgenden Tag bei einem Fest jene Dame zu sehen, die ihm in der Wirklichkeit noch unendlich viel schöner erschien, als sie in seiner Phantasie gewesen war. Auf das glühendste in sie verliebt, beschloß er, Bologna nicht zu verlassen, bevor er nicht ihre Liebe erworben hätte. Indem er nun überlegte, welchen Weg er zu seinem Ziele einschlagen sollte, glaubte er, wenn er ein Diener ihres Mannes werden könnte – welcher deren viele hielt –, wohl am ehesten zu erreichen, was er begehrte. In dieser Absicht verkaufte er seine Pferde, brachte seine Leute unauffällig unter und befahl ihnen, sich so zu stellen, als kennten sie ihn nicht. Dann besprach er sich mit seinem Wirte und sagte ihm, daß er gern bei einem anständigen Herrn als Diener unterkäme, wenn er einen solchen zu finden wüßte. Darauf erwiderte der Wirt: »Du solltest einem Edelmann hier in Bologna, namens Egano, als Diener eben willkommen sein; denn er hält deren viele, und jeder muß gut aussehen, wie du es tust. Ich werde mit ihm sprechen.« Wie gesagt, so getan. Noch ehe der Wirt Egano verließ, hatte er den Anichino bei ihm untergebracht, worüber sich dieser unsagbar freute.[557]

Als er nun im Hause war und die Geliebte sehen konnte, sooft er wollte, wußte er es Egano in allen Stücken recht zu machen, so daß dieser ihn liebgewann, nichts ohne ihn tun mochte und sich und alle seine Angelegenheiten nur von ihm leiten ließ.

Eines Tages, während Egano auf die Jagd gegangen und Anichino zurückgeblieben war, begab es sich, daß Madonna Beatrice sich mit ihm zum Schachspiele niedersetzte. Sie hatte noch keineswegs seine Liebe zu ihr entdeckt, obgleich sie ihn und seine guten Sitten betrachtete, ihn im stillen lobte und Gefallen an ihm fand. Anichino nun ließ sich im Verlangen, sie zu erfreuen, auf sehr geschickte Art besiegen, und die schöne Frau war ganz glücklich darüber.

Da die Dienerinnen Beatrices, als sie beide spielen sahen, sich entfernt und sie allein gelassen hatten, stieß Anichino einen lauten Seufzer aus. Die Schöne sah ihn an und sagte: »Was fehlt dir, Anichino? Ist dir's so leid, daß ich gewinne?« »Madonna«, antwortete Anichino, »es war etwas viel Ernsteres, um das ich seufzte.« »Nun«, erwiderte sie, »so sage mir's, wenn du mich liebhast.« Als Anichino vernahm, wie sie, die er über alles liebte, ihn bei seiner Liebe zu ihr beschwor, seufzte er wohl noch lauter als zuvor. Die Dame bat ihn erneut, ihr zu sagen, was der Grund seiner Seufzer sei. Anichino antwortete aber: »Madonna, ich fürchte sehr, wenn ich es sage, möchte es Euch mißfallen, und dann sorge ich, daß Ihr es wiedererzählen würdet.« Die Dame erwiderte: »Ich werde es gewiß nicht übel aufnehmen, und niemand wird von dem, was auch immer du mir sagst, mehr erfahren, als du selbst wünschest.«

»Wohlan denn«, sagte Anichino, »weil Ihr mir das versprecht, so will ich's Euch gestehen.« Und nun erzählte er ihr, schier mit Tränen in den Augen, wer er war, was er von ihr gehört, wie er sich in sie verliebt hatte und warum er ihres Gatten Diener geworden war. Dann aber bat er sie demütig, es möge ihr gefallen, Mitleid mit ihm zu haben und sein geheimes und glühendes Verlangen zu erfüllen, wenn sie es irgend vermöchte. Wollte sie aber nicht, so möge sie ihm dennoch erlauben, so wie bisher zu bleiben, und gestatten, daß er sie liebe.

O wunderbare Huld des bolognesischen Blutes! Wie warst[558] du immerdar in solcher Drangsal zu preisen! Nie begehrtest du nach Seufzern und Tränen. Zu allen Zeiten warst du für Bitten empfänglich und ergabst dich willig den Wünschen der Liebe. Genügte mein Lob, um dich würdig zu preisen, nie sollte meine Zunge dessen müde werden.

Während Anichino sprach, blickte die schöne Frau ihn an und schenkte seinen Worten volles Vertrauen; und seine Bitten entfachten in ihrem Herzen die Liebe zu ihm mit so plötzlicher Gewalt, daß nun sie zu seufzen begann und nach einigen Seufzern antwortete: »Mein süßer Anichino, sei guten Mutes. Niemals vermochten Geschenke, Versprechungen und Huldigungen von Rittern, Herren und wem immer – denn viele trugen und tragen mir ihre Liebe an – so viel über mich, daß ich je einen von ihnen geliebt hätte; doch während deiner kurzen Rede bin ich mehr dein als mein Eigen geworden. Ich erkenne, daß du meine Liebe zur Genüge verdient hast, und so schenke ich sie dir und verspreche, dir ihre Früchte zu gewähren, noch ehe die nächste Nacht ganz vergangen ist. Und damit dies wirklich geschehe, so richte dich ein, daß du um Mitternacht in mein Schlafgemach kommst. Die Tür werde ich offen lassen. Auf welcher Seite im Bett ich liege, weißt du. Dahin komme, und sollte ich schlafen, so rüttle mich, bis ich wach werde, und dann will ich dich trösten für die lange Zeit, da du Verlangen nach mir getragen hast. Damit du mir aber auch glaubst, so nimm diesen Kuß als Unterpfand.« Dabei schlang sie den Arm um seinen Hals und küßte ihn voller Liebe, und er sie.

Nach diesem Gespräch verließ Anichino die Dame und ging seinen Geschäften nach, wobei er mit höchster Lust die Nacht erwartete. Egano kam von der Jagd zurück, und müde wie er war, ging er nach dem Abendessen zu Bett, wohin seine Frau ihm folgte und nicht vergaß, ihrem Versprechen gemäß die Tür offen zu lassen.

Anichino kam zur bestimmten Stunde, und nachdem er leise eingetreten war und den Riegel hinter sich zugeschoben hatte, ging er nach der Seite des Bettes, wo die Dame lag. Als er ihren Busen berührte, spürte er, daß sie nicht schlief. Sie aber ergriff, als sie seine Ankunft gewahr ward, seine Hand mit ihren beiden und warf sich dann, sie immer festhaltend, so lange im[559] Bette hin und her, bis Egano davon aufwachte; worauf sie also zu ihm sprach: »Gestern abend wollte ich mich nicht äußern, denn du schienst mir müde; aber jetzt sage mir einmal, Egano, wen du in vollem Ernst von allen Dienern im Hause für den besten, rechtschaffensten und dir am treuesten ergebenen hältst.« Egano erwiderte: »Frau, was soll's, daß du mich so fragst? Weißt du's denn nicht? Ich habe und hatte nie zu einem soviel Vertrauen und Liebe wie zu meinem Anichino. Doch weshalb fragst du danach?«

Als Anichino den Egano wach sah und von sich reden hörte, fürchtete er, von der Dame betrogen zu sein, und versuchte oftmals, die Hand zurückzuziehen und zu entfliehen, allein sie hielt ihn so fest, daß er sich auf keine Weise losmachen konnte. Inzwischen antwortete sie ihrem Gatten: »Das will ich dir sagen. Ich glaubte, daß es sich wirklich so verhielte, wie du sprichst, und er dir treuer wäre als irgendein anderer; aber mich hat er eines anderen belehrt. Während du heute auf der Jagd warst, blieb er hier, und als die Zeit ihm günstig schien, scheute er sich nicht, von mir zu begehren, daß ich ihm zu Willen sei. Damit ich dir nun diese Sache nicht erst lange zu beweisen brauchte, damit du sie mit Händen greifen könntest, antwortete ich ihm, ich wär es zufrieden und erwartete ihn heute nach Mitternacht in unserem Garten unter dem Pinienbaum. Ich für mein Teil gedenke nun freilich nicht hinauszugehen; solltest du aber Lust haben, die Treue deines Dieners kennenzulernen, so kannst du's leicht haben. Du brauchst dir nur eines meiner Oberkleider anzuziehen, einen Schleier umzutun und dort unten abzuwarten, ob er kommt; denn ich wette, er tut es.«

Kaum hatte Egano dies gehört, so sprach er: »Nun, wahrlich, das muß ich sehen.« Damit stand er auf und zog sich, so gut es im Dunkeln gehen wollte, ein Kleid seiner Frau an, tat einen Schleier über den Kopf, ging in den Garten und fing an, unter der Pinie auf Anichino zu warten.

Als aber die Dame Egano aufstehen und fortgehen gehört hatte, stieg sie aus dem Bett und riegelte die Tür von innen ab. Anichino hatte in der ganzen Zeit die schrecklichste Angst ausgestanden und sich nach Kräften bemüht, den Händen der[560] Dame zu entgehen. Zu Anfang hatte er wohl hunderttausendmal sie und seine Liebe und sich selbst verwünscht, weil er so übereilt gewesen; als er aber sah, wie sie zuletzt tat, war er der Glücklichste aller Sterblichen. Wie nun seine Geliebte wieder ins Bett gestiegen war, entkleidete er sich ihrem Wunsche gemäß wie sie, und beide genossen aneinander eine gute Weile alle Lust und Freude.

Als die Schöne endlich glaubte, Anichino dürfe nicht länger verweilen, hieß sie ihn aufstehen und sich ankleiden und sprach: »Nun, mein süßes Herz, geh in den Garten und nimm einen tüchtigen Stock mit. Tue, als hättest du mich nur versuchen wollen, schelte den Egano aus, als hieltest du ihn für mich, und laß den Stock wacker auf seinem Rücken tanzen. Das soll uns noch unmäßige Freude und Ergötzen bringen.«

Als Egano den Anichino, der aufgestanden war und mit einem Weidenstecken in der Hand herunter in den Garten kam, von ferner erblickte, erhob er sich und ging ihm zum freundlichen Empfang einige Schritte entgegen. Anichino aber rief: »O du verworfenes Weib, bist du also wirklich gekommen und hast glauben können, ich wollte an meinem Herrn freveln? Alles Unheil tausendfach über dich!« Und damit hob er den Stock und begann den Egano zu bearbeiten. Als dieser ihn so sprechen hörte und den Stock spürte, lief er davon, ohne ein Wort zu sagen. Anichino indessen war hinter ihm her und rief immerzu: »Lauf, du liederliches Weibsstück, und alle Teufel über dich! Morgen früh erzähle ich wahrhaftig alles deinem Gatten.« Egano lief, was er konnte, um die Kammer zu gewinnen, mußte aber, bevor er sie erreichte, einige wohlgesalzene Hiebe einstecken.

Die Schöne fragte ihren Gemahl, ob Anichino in den Garten gekommen sei. »Wäre er lieber nicht gekommen«, antwortete Egano; »denn weil er mich für dich hielt, hat er mich mit seinem Stock übel verbleut und mich ärger gescholten, als je eine schlechte Dirne ausgeschimpft ward. Es hätte mich auch sehr gewundert, wenn er mir zur Unehre derlei Reden gegen dich geführt haben sollte; aber weil er dich immer so aufgeweckt und scherzend sieht, hat er dich einmal prüfen wollen.« »Gottlob«, sagte die Dame, »daß er mich nur mit Worten, dich aber[561] durch die Tat geprüft hat, und ich glaube, er wird mir nachrühmen, daß ich die Worte geduldiger ertrage als du die Tat. Aber weil er dir so treu ist, muß man ihn wohl liebhaben und ihm Ehre erweisen.« Egano antwortete: »Wahrlich, du hast recht«; und auf Grund dieses Ereignisses glaubte er fest, die keuscheste Gattin und den treuesten Diener zu haben, die je ein Edelmann besesssen.

Obgleich sie noch oft über diesen Vorfall lachten, verdankten Anichino und seine Dame ihm, solange es dem Jüngling gefiel, bei Egano in Bologna zu verweilen, größere Freiheit, das zu tun, woran sie Lust und Gefallen fanden, als ihnen sonst vermutlich gewährt worden wäre.

Quelle:
Boccaccio, Giovanni: Das Dekameron. München 1964, S. 556-562.
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