Zweiunddreißigstes Kapitel

[393] Godwi stand nun in der Mitte der Stube, und wußte nicht, wie ihm geschehen, er sah gar kein Licht, die Fenster schienen verschlossen zu sein. Um sich nur ein wenig zu orientieren, tappte er an den Wänden herum, und was er fühlte, waren abenteuerliche Schränke mit einer Menge Säulen, dazwischen Teller und Porcellain-Figuren.

Er verfolgte seine Entdeckungsreise rechts an der Wand herum, und stieß auf eine Gipsstatue; das war ihm nun schon interessanter, seine Hand gleitete leis auf und nieder, und er verweilte hie und da mit mehr Anteil, er konnte auch kein Stückchen Gewand entdecken, und fand, daß es eine Venus sei.

Es tat ihm leid, daß er sie nicht ganz zugleich auffassen konnte, um den reinen Kunsteindruck zu haben, aber sie war nur zu fühlen, und es ging ihm wie gewissen Kunstforschern, die das Gefühl der Antike in den Fingern haben, und um sich die Vortrefflichkeit[393] der Formen einzuprägen, vom Nacken mit der Hand niedergleiten, am Hintern aber etwas modern werden, und einige freundliche Schläge mit Schalkheit drauf fallen lassen. –

Er verspätete sich allerdings etwas bei der Venus, und hätte er nicht etwas leise rauschen hören, so würde er über ihr alles vergessen haben, außer was er vermißte, daß sie lebendig sei. –

Unruhig tappte er weiter, und berührte einen seidnen Bettvorhang: da er den Stuhl, der vor dem Bette stand untersuchte, fand er weibliche Kleider, ein gestricktes kurzes Röckchen, und ein gestricktes Jäckchen, seidne Strümpfe: unter das Bett faßte er mechanisch, und faßte ein paar niedliche Schuhe.

Als er den Bettvorhang zurückzog, hörte er atmen, das setzte ihn in keine geringe Verlegenheit, und da er untersuchen wollte, wer es sei, knurrte ein Hund, und machte große feurige Augen. Er wollte nun nach dem Fenster hin, um die Laden aufzustoßen, sein Fuß berührte etwas Tönendes, er faßte nieder, es war eine Guitarre, die am Stuhle lehnte, er klimperte darauf, aber das Atmen neben ihm ward nun doppelt, er schritt etwas vorwärts und fand, daß irgend ein Ausgang sein müsse, denn es herrschte ein Luftzug.

Da er drauflos ging mit den Händen, wie mit Fühlhörnern durch die dicke Finsternis, fuhr er heftig zusammen, seine Finger berührten einen Menschen, er zog die Finger zurück, und bald waren sie wieder vorwärts; er gleitete über kühlen festen Armen aufwärts, zu einem sehr schmalen Ärmel, eilte über diese Brücke, und es zitterte unter seinen Fingern, lachte und floh, er wollte nach dem Luftzug, da schlug eine Türe zu, die ihm dicht an der Nase vorbeiflog.

Er ging nun unwillig quer durch die Stube, rannte einen Tisch mit Gläsern um, und trat bald in einen erhobenen Erker, öffnete die Fensterladen, und sah glühend in die kühle Nacht hinein. Sein Herz pochte heftig, er war ungeduldig, und immer fühlte er nur noch seine Fingerspitzen.

Da stand er nun in einem dunklen Vorgrund zu dem hellen Gemälde, aber war dies Liebchens Fenster?

Es rauschte der breite Rhein nur noch als Musik aus der Ferne, aus den Dörfern und dem naheliegenden Städtchen klangen[394] die lustigen Walzermelodien, unordentlich doch gleich taumelnd und kreisend zusammen. Der süße Mostgeruch drang unter seinem Fenster von dem Weinberge herauf, der nahe Wald säuselte, und in der herrlichen trunknen Landschaft schossen jauchzend Schwärmer und Raketen in die Höhe, und zerplatzten noch fröhlich im Tode – aber Godwi konnte seinen bösen Mut nicht bezwingen. Es war ihm wie einem alten Popanz aus den Kindermärchen, der Menschen gewittert hatte.

Nun wendete er sich von dem Fenster, um zu versuchen, ob er nicht eine Klingel in der Stube finden könnte, einigen Lärm zu machen; auch erinnerte er sich der Gläser, die er umgeworfen hatte, und endlich war er entschlossen, zu Bette zu gehen, wenn sich nicht bald jemand sehen ließe: als er aber die Stufe des Erkers herabsteigen wollte, faßten ihn zarte Hände, und zogen ihn auf einen kleinen Sopha, der an der einen Seite des Erkers angebracht war. –


So weit hat mir heute Godwi erzählt.

Es ist mir traurig zu Mute, ich muß die Begebenheiten der überfließenden Gesundheit in Mensch und Natur beschreiben, und mir löst sich dieser Gegensatz immer mehr; ich schreibe mechanisch nieder, um meine Begräbniskosten herauszubringen. –

Lieber Leser, wenn du wüßtest, wie traurig das ist, singen, fröhliche Lieder singen, und kaum die Lippe, viel weniger das Herz rühren zu können.

Während ich beschreibe, wie Godwi den herrlichen Rheinwein trank, muß ich große Arzneigläser leeren, und reicht mir Freund Haber Gerstenschleim.

Wenn ich schreibe, wie er in der dunklen Stube an der Venus den Kunsteindruck nur einzeln hatte, habe ich den Eindruck der häßlichen Wirklichkeit an einer alten Wärterin ganz; – wenn er am seidnen Bettvorhang rauscht, und die freundlichen Kleidungsstücke mustert, sehe ich traurig über die Blumen der kattunenen Bettdecke; – für seine Empfindung, wie ihn der Hund mit glühenden Augen knurrend ansah, habe ich wohl noch einiges Mitgefühl in schweren Träumen, wenn mich das Alp drückt; aber ich stoße erwachend nicht an eine tönende[395] Guitarre, wider den Boden des trägen Bettes stößt mein Fuß, meine Hände klimpern nicht auf den Saiten, sie spielen auf der Bettdecke hin, und Haber sieht die alte Wärterin bedächtlich an, weil dieses kein gutes Zeichen sein soll.

Wo Godwi den süßen Schrecken hatte, und seine Finger über den zitternden warmen Busen hingleiteten, macht man mir schwerfällige Umschläge auf die Brust – wenn ich aus dem Bett spränge, würde ich nicht volle Weinflaschen mit dem freundlichen Tischchen umwerfen, leere Arzneigläser auf dem traurigen Nachttische würde mein schwankender Tritt erschüttern.

O! öffnet mir die Vorhänge, öffnet mir die Fenster, daß ich die grünen Bäume sehe, die kühle Luft hereinwehe, daß mein Auge sich an dem hohen Himmel ergötze. – Aber mir wird nicht besser, die Krankheit ziehet mich mit kalten Armen auf die Kissen nieder.


Die lustigen Musikanten

Da sind wir Musikanten wieder,

Die nächtlich durch die Straßen ziehn,

Von unsren Pfeifen lustge Lieder

Wie Blitze durch das Dunkel fliehn. –

Es brauset und sauset

Das Tambourin,

Es prasseln und rasseln

Die Schellen drin;

Die Becken hell flimmern

Von tönenden Schimmern,

Um Kling und um Klang,

Um Sing und um Sang

Schweifen die Pfeifen, und greifen

Ans Herz,

Mit Freud und mit Schmerz.


Die Fenster gerne sich erhellen,

Und brennend fällt uns mancher Preis,

Wenn wir uns still zusammenstellen

Zum frohen Werke in den Kreis.[396]

Es brauset und sauset

Das Tambourin,

Es prasseln und rasseln

Die Schellen drin;

Die Becken hell flimmern

Von tönenden Schimmern,

Um Kling und um Klang,

Um Sing und um Sang

Schweifen die Pfeifen, und greifen

Ans Herz,

Mit Freud und mit Schmerz.


An unsern herzlich frohen Weisen

Hat nimmer Alt und Jung genug,

Wir wissen alle hinzureißen

In unsrer Töne Zauberzug.

Es brauset und sauset

Das Tambourin,

Es rasseln und prasseln

Die Schellen drin;

Die Becken hell flimmern

Von tönenden Schimmern,

Um Kling und um Klang,

Um Sing und um Sang

Schweifen die Pfeifen, und greifen

Ans Herz,

Mit Freud und mit Schmerz.


Schlug zwölfmal schon des Turmes Hammer,

So stehen wir vor Liebchens Haus,

Aus ihrem Bettchen in der Kammer

Schleicht sie, und lauscht zum Fenster raus.

Es brauset und sauset

Das Tambourin,

Es rasseln und prasseln

Die Schellen drin;

Die Becken hell flimmern

Von tönenden Schimmern,

Um Kling und um Klang,

Um Sing und um Sang

Schweifen die Pfeifen, und greifen

Ans Herz,

Mit Freud und mit Schmerz.[397]

Wenn in des goldnen Bettes Kissen,

Sich küssen Bräutigam und Braut

Und glaubens ganz allein zu wissen,

Macht bald es unser Singen laut.

Es sauset und brauset

Das Tambourin,

Es prasseln und rasseln

Die Schellen drin;

Die Becken hell flimmern

Von tönenden Schimmern,

Um Kling und um Klang,

Um Sing und um Sang

Schweifen die Pfeifen, und greifen

Ans Herz,

Mit Freud und mit Schmerz.


Bei stiller Liebe lautem Feste

Erquicken wir der Menschen Ohr,

Denn holde Mädchen, trunkne Gäste

Verehren unser klingend Chor.

Es brauset und sauset

Das Tambourin,

Es rasseln und prasseln

Die Schellen drin;

Die Becken hell flimmern

Von tönenden Schimmern,

Um Kling und um Klang,

Um Sing und um Sang

Schweifen die Pfeifen, und greifen

Ans Herz,

Mit Freud und mit Schmerz.


Doch sind wir gleich den Nachtigallen,

Sie singen nur bei Nacht ihr Lied,

Bei uns kann es nur lustig schallen,

Wenn uns kein menschlich Auge sieht.

Es brauset und sauset

Das Tambourin,

Es rasseln und prasseln

Die Schellen drin;

Die Becken hell flimmern

Von tönenden Schimmern,[398]

Um Kling und um Klang,

Um Sing und um Sang

Schweifen die Pfeifen, und greifen

Ans Herz,

Mit Freud und mit Schmerz.


Die Tochter:


Ich habe meinen Freund verloren,

Und meinen Vater schoß man tot,

Mein Sang ergötzet eure Ohren,

Und schweigend wein ich auf mein Brot.

Es brauset und sauset

Das Tambourin,

Es rasseln und prasseln

Die Schellen drin;

Die Becken hell flimmern

Von tönenden Schimmern,

Um Sing und um Sang,

Um Kling und um Klang

Schweifen die Pfeifen, und greifen

Ans Herz,

Mit Freud und mit Schmerz.


Die Mutter:


Ists Nacht? ists Tag? ich kanns nicht sagen,

Am Stabe führet mich mein Kind,

Die hellen Becken muß ich schlagen

Und ward von vielem Weinen blind.

Es sauset und brauset

Das Tambourin,

Es rasseln und prasseln

Die Schellen drin;

Die Becken hell flimmern

Von tönenden Schimmern,

Um Sing und um Sang;

Um Kling und um Klang

Schweifen die Pfeifen, und greifen

Ans Herz,

Mit Freud und mit Schmerz.[399]


Die beiden Brüder:


Ich muß die lustgen Triller greifen,

Und Fieber bebt durch Mark und Bein,

Euch muß ich frohe Weisen pfeifen,

Und möchte gern begraben sein.

Es sauset und brauset

Das Tambourin,

Es rasseln und prasseln

Die Schellen drin;

Die Becken hell flimmern

Von tönenden Schimmern,

Um Kling und um Klang,

Um Sing und um Sang

Schweifen die Pfeifen, und greifen

Ans Herz,

Mit Freud und mit Schmerz.


Der Knabe:


Ich habe früh das Bein gebrochen,

Die Schwester trägt mich auf dem Arm,

Aufs Tambourin muß rasch ich pochen –

Sind wir nicht froh? daß Gott erbarm!

Es brauset und sauset

Das Tambourin,

Es rasseln und prasseln

Die Schellen drin;

Die Becken hell flimmern

Von tönenden Schimmern,

Um Kling und um Klang,

Um Sing und um Sang

Schweifen die Pfeifen, und greifen

Ans Herz,

Mit Freud und mit Schmerz.


Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 2, München [1963–1968], S. 393-400.
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