Der erste Vater.

[80] »Ich bitte tausendmal um Vergebung, schöne Rosa, daß ich gleichsam als ein nächtlicher Ruhestörer vor Ihnen erscheine; allein ich konnte einer unbezwinglichen Sehnsucht nicht widerstehen, meine Augen wieder einmal in den Strahlen Ihrer göttlichen Schönheit zu baden!«

»Wie galant! Welcher Weinsorte bin ich den Dank für Ihre poetischen Lobsprüche schuldig?«

»Das ist hart, Rosa! So grausam sollen Sie der Gefühle meines Herzens nicht spotten, die mich zu Ihren Füssen führen!«[80]

»Sie mögen wohl meine Aeußerung hart finden, bedenken aber nicht, daß Sie dieselbe verschuldet haben.«

»Wie so?«

»Warum vernachlässigen Sie mich ganz? Bei welchen Damen schwärmen Sie denn herum? Glauben Sie denn, Ihre Person sey mir gleichgültig, und nur Ihr Gold angenehm? Sie sind wahrhaftig die Thränen nicht werth, die ich in einsamen Stunden über Ihr liebloses Benehmen vergossen habe. Wozu Verstellung? Ich gestehe es Ihnen offen, daß Sie der erste Mann sind, der mir wahre Liebe einflößte. Wie kann ich aber auch Gegenliebe von Ihnen erwarten, da Sie mit einer schlimmen Meinung von wir scheiden mußten, mit der Meinung, daß bezahlte Liebkosungen alle weitern Verbindlichkeiten aufheben, und überdieß keineswegs geneigt sind, eine Achtung vor dem Charakter der Geldempfängerin zu begründen. Aber Ihr Männer seyd nun einmal so; Ihr urtheilt nur nach dem Scheine, und


was man scheint,

Hat Jedermann zum Richter, was man ist –

Hat keinen.«


»Als ich Sie zum erstenmale sah, liebte ich Sie. Ich hätte damals sehr gewünscht, Ihre Neigung nach und nach, wie der Keim zur Knospe, die Knospe zur Blüthe, und die Blüthe zur köstlichen Frucht führt, zur Liebe reifen zu sehen;[81] die Verbindung wäre dadurch dauernd geworden. Da Sie aber nach dem Scheine von mir urtheilten, wozu Sie durch meinen Ruf sich berechtiget hielten, so wählten Sie den einfachen Weg, die Festung durch Gold zu gewinnen. Ich ergab mich, weil ich schwach war, und ich war schwach, weil ich Sie liebte. Wäre ich in meiner Liebe irgend einer Berechnung fähig, so würden Sie ohne Zweifel noch so entfernt vom Ziele stehen, wie zur Zeit, da Sie mich zum erstenmale sahen. In meiner freien Wahl lag der Versuch, ob mein Gesandter und Graf wohl in so hohem Grade verliebt seyn könne, einer Sängerin die Hand am Altare zu reichen. Wer weiß, was geschehen wäre! Nun können Sie, Herr Graf, allerdings denken: ›wenn Rosa mich liebte, warum nahm sie das Gold? Bezahlte Liebe ist keine!‹ Sie scheinen recht zu haben; allein Sie kannten mich, wieder nur durch den Ruf, als eigennützig. Daß meine Liebe zu Ihnen mich über alle Schranken des Anstandes hinwegreißen könne, das mochten Sie wohl, ungeachtet Ihrer großen Eitelkeit, nicht so unbedingt erwartet haben, und ich scheute mich, Ihnen dieses Geständniß sogleich zu machen, weil ich dann das Schicksal aller Dinge getheilt hätte, die mühelos und ohne Schwierigkeiten errungen werden: nur vorübergehend anzuziehen. Ich nahm also das Gold gerade deßwegen, um nicht eigennützig zu scheinen; denn hätte ich es nicht genommen, so würden Sie, nach meinem Rufe urtheilend,[82] den listigen Beweggrund vermuthet haben: Sie durch diese Nichtannahme zu weit größern Opfern zu verpflichten. Ich schien eigennützig, um nicht habsüchtig zu scheinen. Was sagen Sie nun, mein lieber Graf, zu, dieser ganz offenherzigen Erklärung?«

»Himmlische, unnennbar liebenswürdige Rosa, deine süßen zauberischen Worte öffnen mir ein Paradies der seligsten Liebe; ich gehöre nicht mehr den Menschen an, ich bin einer von jenen Halbgöttern, welche die fabelhafte Urzeit Griechenlands geschmückt haben! dieß alles verdank' ich dem Bekenntnisse einer schönen Seele, Deiner Seele! O verzeih mir, daß ich so sehr dich verkannte; ich will meinen Fehler wieder auf eine Weise gut machen, welche dir eine glänzende Genugthuung verschaffen soll! die feste Ueberzeugung, daß ich nur immer meines Reichthumes und Ranges wegen von den Damen geliebt wurde, hat mein Herz mit einer Geringschätzung gegen das weibliche Geschlecht erfüllt, die mich sogar oft zu Uebertretungen der Pflicht des Schweigens verleitete. Ich kannte die wahre Liebe nicht; nun kenne ich sie, nun sehe ich den Wahn in seiner vollen Blöße, von dem mein Urtheil befangen war. Mein eigenes Glück zu gründen, und aus Nothwendigkeit, für die Kränkung deiner Ehre und deines guten Rufes die Genugthuung zu verschaffen, entsage ich allen jenen lächerlichen Bedenklichkeiten meiner Geburt, meines Ranges, meiner dienstlichen Beziehungen. Rosa, ich biete dir meine Hand[83] an! Unverzüglich will ich meinem Herrn und Gebieter die Wahl meines Herzens eröffnen; er wird seine Einwilligung nicht versagen. Sollten aber feindselige Einwirkungen am Hofe meine schöne Hoffnung vereiteln, so nehme ich augenblicklich meinen Abschied, und ziehe mit dir auf meine Güter. Was frag ich nach den Würden der Erde, da dein Besitz mein Himmel ist!«

»Daß doch die Männer gleich oben hinaus wollen, wenn ein Paar freundliche Worte von erträglichen Lippen tönen, oder zwei schmachtende Augen aus einem hübschen Lärvchen hervorblitzen! Wer sprach denn vom Heirathen, lieber Graf? Gott bewahre mich vor dem goldenen Eheringe, der das erste Glied einer goldenen Kette bildet, die zuletzt sich in eine eiserne verwandeln kann! Lieben will ich aus ganzem Herzen und eben so geliebt werden, mehr nicht. Bewährt sich unsere Liebe im Laufe der Zeit als eine dauernde, so möge der Priester den Segen der Kirche über den Bund der Herzen aussprechen, früher nicht; denn ich meinte dann gleich, ich müßte Sie lieben. Die Liebe ist das Freieste auf der Welt, und duldet keinen Zwang. Wie lange unsere Liebe dauern würde, wer von uns beiden kann dieß auch nur mit einiger Wahrscheinlichkeit sagen? Die Dauer der Liebe hängt so wenig von uns ab, als die Dauer des Lebens. Nein, nein, unsere Herzen sollen frei bleiben, und in beglückender Freiheit lieben!«[84]

»Deine Ansichten sind frei von Eigennutz, liebe Rosa; aber was verstehst du unter der beglückenden Freiheit der Herzen? doch nicht die Freiheit, dich den wechselnden Gelüsten überlassen zu dürfen, weil dann kein Band dich bindet?«

»O nein! die Treue ist zwischen zwei Liebenden nothwendig, darum fehlt sie auch nie, wo wahre Liebe ist; die Treue muß ein ganz freier Act des Herzens seyn; wer sie für ein Opfer hält, das er bringt, liebt schon nicht mehr. In diesem Falle muß ein offenes Geständniß erfolgen; nur kein Verhältniß fortgeführt, in welches sich Heuchele zu mischen beginnt. Sehen Sie, Herr Graf, hier bietet die Freiheit ihren wohlthätigen Schutz. Liebende, durch keine heiligen Bande gefesselt, mögen sich trennen, wenn der Einklang der Herzen in Mißtöne übergeht; was bleibt aber Vermählten übrig in derselben Lage? Bei diesen wäre der Treubruch auch ein Ehebruch. Sich scheiden lassen ist gar ein mißliches Ding; die Geschiedenen theilen doch nur immer die Ruinen eines zertrümmerten Lebens. Und wenn sie sich aus besondern Familienrücksichten nicht scheiden lassen, oder wenn z.B. der Gatte in die Scheidung nicht einwilliget, und die Gründe des klagenden Theiles vom Gerichte nicht für hinreichend erkannt werden, eine gesetzliche Scheidung herbeizuführen, wie beklagenswerth kann sich das Loos einer Gattin gestalten! Giebt es für das zartfühlende Herz eines Weibes etwas Schrecklicheres,[85] als die sogenannte eheliche Pflicht, wenn die Liebe nicht mehr die Ehe versüßt? Der Mann wird nicht wohl veranlaßt werden, die Vernachlässigung bis zur Weigerung zu treiben; dieß kann das Weib nicht; es muß gar oft den zarten Leib dem Sinnenrausche eines rohen Mannes überlassen. Schändliche Entweihung, frevelhafte Verhöhnung der heiligsten Bestimmung des Menschen, und der ewigen Gesetze der Natur! In die Hölle stürz' ich mich nicht; frei will ich leben, frei will ich lieben!«

Karl Moor sagte: »Ich trage eine Armee in meiner Faust!«

Rosa konnte eben so wohl sagen: »Ich trage einen Himmel in meinem Auge!«

Als sie ihre Ansichten von Liebe, Ehr und Treue gebeichtet hatte, ergriff sie des Grafen Hand, drückte sie mit der größten Innigkeit, und öffnete die strahlenden Thore ihrer wunderschönen Augen so schmachtend, daß der entzückte Graf bis in den neunten Himmel hinein zu schauen wähnte.

Er bat, und bat immer rührender, je mehr Rosa ihr Uebelbefinden vorschützte, bis er die Erlaubniß erhielt, an ihrem Bette soupiren zu dürfen.

»Der Mensch lebt nicht blos vom Brode,« dachte sich der Graf, als er gegessen hatte, und bot seine ganze diplomatische[86] Ueberredungsgabe auf, die holde Rosa zur festlichen Weihe des Bundes zu bewegen.

»Nach dem Geständnisse, das ich Ihnen so eben gemacht habe,« erwiederte Rosa, »kann ich wohl nicht die Spröde spielen, aber es geht auch nicht so gerade zu, wie Sie sich's einbilden. Die Wände haben Ohren, die Schränke Augen; ich werde von allen Seiten belauscht. Unser Verhältniß, da es nun ein dauerndes, jedes andere ausschließendes werden soll, muß in ein undringliches Dunkel gehüllt werden. Ich rechne dabei vorzüglich auf Ihre diplomatische Selbstbeherrschung. Verlassen Sie jetzt mein Landhaus in Ihrem Wagen, um den Schein und den Anstand zu retten. In einer Stunde kehren Sie vermummt zurück. An dem kleinen Pförtlein unterhalb des ersten großen Parkgatters erwartet Sie meine treue Betty.« Pochen Sie dreimal leise. Betty wird rufen: »Liebe!« Sie antworten: »und Treue!« Dieß ist die Losung. »Das Mädchen führt Sie dann in mein Gemach. Vermeiden Sie jedoch alles Sprechen; denn leider bin ich von einem Verräther bedroht, der mein Verderben will, und mich überall verfolgt. Doch davon zu einer andern Zeit. Auf baldiges Wiedersehen!«

Während der Graf zum Schloßthore hinausrollte, ertheilte Rosa noch einige Aufträge, und gab der Betty die verabredete Losung. Bald darauf wurde Alles still. Pünktlich nach einer Stunde pochte der Glückliche, von[87] den Augen bis zur Ferse vermummt, dreimal an das Pförtlein.

»Liebe!« lispelte Betty.

»Und Treue!« erwiederte leise der Pocher.

Das Pförtlein that sich auf und zu, und Betty geleitete den Ankömmling über verborgene Treppen zu ihrer Gebieterin, die ihn an der Schwelle des lichtlosen Gemaches empfing, und wiederholt bat, ja nichts zu sprechen. Nach einer seligen halben Stunde ersuchte ihn Rosa, sich schnell zu entfernen, indem ein Geräusch im Nebenzimmer die Vermuthung in ihr errege, daß eines von ihren Gesellschaftsfräulein erwacht sey, und vielleicht eintreten könne, nach ihrem Befinden sich zu erkundigen.

Betty führte ihn auf dem nämlichen Wege zurück.

Kaum hatte sie das Pförtlein hinter ihm geschlossen, als sie mehrere Männerstimmen vernahm. Sie horchte, ohne die ihr unbekannte Sprache zu verstehen. Ohne sich zu regen, kniete sie vor dem schützenden Pförtlein, das Ohr am Schlüsselloche. Sie wagte es nicht, sich zu entfernen, aus Furcht, die Räuber, wofür sie die Männer hielt, zu einem gewaltsamen Einbruche zu reizen, im Falle sie ihre Tritte hören, oder mit Hülfe von Stelzen, oder auf den Schultern der Kameraden, über die Mauer sehen würden.

Einige Minuten lang herrschte das Schweigen der Nacht. Plötzlich näherte sich Jemand hastig von Außen, und pochte dreimal.[88]

Eine steigende Angst schnürte der sonst so lebhaften Betty die Kehle zu. Wie ein Blitz durchzuckte sie der Gedanke: »Sollte etwa das verabredete Zeichen von jenen verdächtigen Männern belauscht worden seyn? Sollten sie nun etwa einen Einbruch wagen, und ich, das Pförtlein öffnend, erdolcht oder erwürgt werden?« Da pochte es wieder dreimal, und eine Stimme rief: »Ist denn Niemand da, mir die Thüre zu öffnen? Liebe und Treue!«

Von Betty's Herzen fiel eine schwere Last. Sie erkannte den Grafen an der Stimme und schloß hurtig auf.

»Verzeihen Eure Excellenz, daß ich so lange zögerte, die Thüre zu öffnen,« entschuldigte sich Betty, »wie hätte ich auch nur denken können, daß Sie noch einmal zurückkehren würden!«

»Zurückkehren?«

»Nun ja, Sie sind ja erst vor wenigen Augenblicken fortgegangen!«

»Ich? Da irrst du dich sehr! Ein verdammter Streich hat mich verhindert, zur rechten Zeit zu kommen. Ich war nicht da; sprich also, wer ist fortgegangen? Ich ahne einen niederträchtigen Schurkenstreich. Auf der Stelle sag mir, wer statt meiner hier war!«

»Wenn nicht Eure Excellenz es waren, der fortging, so wars der Gärtner Christian, den der Koch zum Fischmeister nach Auling schickte, um Fische zum morgigen Festabende zu bestellen. Er ist gar ein fleißiger junger Mensch,[89] der zu solchen fernen Gängen lieber die Stunden der Nacht wählt, und den Schlaf opfert, als daß er am Tage seine Geschäfte im Garten versäumte. Ich muß Eurer Excellenz gestehen, daß wir uns beide recht sehr lieben. Wenn Sie doch Fürsprache bei Rosa für uns einlegen wollten, so könnte bald ein Pärchen aus uns werden!«

»Ich werde nicht vergessen. Hat mich denn Niemand an dieser Thüre erwartet?«

»Fanny, so viel ich weiß, erhielt den Auftrag dazu. Ich ging später als gewöhnlich zu Bette. Am Fenster stehend sah ich einen Mann durch das Pförtlein aus dem Garten treten, doch Fanny nirgends. Darum dachte ich: das muß mein Christian gewesen seyn, der fortging, renne schnell die Treppe hinab, durch den Garten, hierher, um ihm zu rufen, und gute Nacht nebst einigen stärkenden Küssen mit auf den Weg zu geben. Eben wollte ich die Thüre öffnen, als ich vor derselben rauhe Männerstimmen in einer mir gänzlich fremden Sprache vernehme. Ich verhielt mich ganz ruhig; mir war um mein Leben bange. Nun kamen Eure Excellenz, und befreiten mich von meiner Angst. Das ist die ganze Geschichte.«

»Nun begreife ich Alles. Führe mich nur schnell zu deiner Gebieterin.«

Betty ließ den Grafen in einem Vorgemache stehen, und eilte in Rosa's Kabinet, um sie von dem Vorfalle schleunig in Kenntniß zu setzen.[90]

Wer sollte nicht die Geistesgegenwart der holden Betty bewundern, die sich durch einen erdichteten Liebesroman so schnell aus der Verlegenheit zu ziehen wußte! Nach des Grafen Aeußerung sah sie sogleich ein, daß hier von einer lustigen Verwechslung die Rede war. Wohl wissend, daß ein offenes Geständniß dem Interesse Rosa's schaden mußte, bewährte sie durch ihre Besonnenheit, wie sehr sie in der Schule ihrer Gebieterin an zweckmäßigem Benehmen in kritischen Umständen gewonnen habe.

Rosa war nicht minder bestürzt; Betty's Nachricht erschien unbedeutend im Vergleiche mit dem, was sie selbst schon wußte. In dem Augenblicke, als sie den Grafen in den. Hintergrund ihres Kabinetes führte, fühlte sie, seine Hand ergreifend, daß es – der Graf nicht war. Diese rauhe derbe Hand gehörte nicht einem Gesandten an, dem schon eine Schreibfeder das schwerste Werkzeug dünkte, sondern einem versuchten Arbeiter. Sich losreißen und um Hülfe schreien wäre in jedem Falle ein großes Wagestück gewesen; denn eine furchtbare Ahnung: daß der stumme Nachtwandler kein Anderer als der entsprungene Mönch, der Baumeister Antonio sey, – stieg in ihrer Seele auf. Wer bürgt für ihr Leben bei dem ersten Hülferufe! Antonio kannte geheime Ausgänge, die ihn jeder Verfolgung entzogen hätten. Der schönen Rosa blieb keine Wahl; sie mußte sich in die Umstände fügen.

Während Antonio den Mantel von sich warf, lag [91] Rosa bereits auf ihrem Ruhebette. Der schweigende Gast leerte den Nektarbecher der Götter in vollen Zügen. –

Ueber die Möglichkeit dieser Verwechslung nachsinnend, nachdem die im Vorgemache harrende Betty den feindlichen Bettfreund fortgeführt hatte, lag Rosa auf einem Divan im Gesellschaftssalon, als die ergebene Dienerin die vermeintliche Neuigkeit meldete. Schon war Rosa's Köpfchen mit dem nöthigen Ausschluße gerüstet, als der Graf in ihr Gemach trat.

»Lieber Graf,« rief sie ihm mit einer so ruhigen Miene zu, als sey gar nichts vorgefallen, »ich bedaure recht von Herzen, daß ich Sie so lange vor dem Pförtlein stehen ließ. Meine Fanny erwartete Sie pünktlich zur verabredeten Stunde daselbst; allein die Furcht trieb das alberne Mädchen von dem angewiesenen Posten, indem vor der Thüre allerlei unverständliche Männerstimmen sich hören ließen. Sie vermuthete Räuber in der Nähe. Obgleich ich ihre Besorgniß nicht theilen konnte, so hielt ich es doch für klüger, alles Aufsehen zu vermeiden, und die Schildwache bis zu einer schicklicheren Zeit zurückzuziehen. Meiner verliebten Betty verdanke ich nun den späten, aber mir sehr lieben Besuch, auf den ich bereits mit manchem bittern Seufzer verzichtet hatte.«

»Ich selbst gab schon alle Hoffnung auf, dich heute noch zu umarmen. Höre nur, welch ein fatales Abentheuer mir begegnete. Ich war zur rechten Zeit schon in[92] der Nähe deines Landhauses, und bog eben um das nördliche Ende der Parkmauer, als ich plötzlich von hinten ergriffen, und zu Boden gerissen wurde, noch ehe ich im Stande war, aus dem dicht schließenden Carbonarimantel mich zur Vertheidigung loszuwickeln. Ich erwartete den Raub meiner Uhr und meiner Börse; die Angreifer begnügten sich aber, mir die Füße zu knebeln, und mit augenblicklichem Tode zu drohen, im Falle ich nur den mindesten Laut versuchen wollte. Wenn mich meine Augen nicht täuschten, denn es war sehr dunkel, und außer den Umrissen nichts zu erkennen, bestand das feindliche Heer aus sieben Kerlen. Eilig schleppten sie mich in ein hoch wogendes Aehrenfeld. Einer von ihnen, dem gebietenden Tone nach zu urtheilen ihr Anführer, befahl ihnen in der wahrhaft kauderwälschen Sprache der gemeinen Bewohner des sogenannten italienischen Tyrols, mich eine Stunde lang zu bewachen, und dann ihm zur bezeichneten Stelle zu folgen. Er entfernte sich hierauf hastigen Schrittes. Stumm und unbeweglich umgaben mich meine Wächter; bisweilen schlug einer von ihnen Feuer, um Tabak zu rauchen. Die sprühenden Funken beleuchteten einen Augenblick verkappte Köpfe, wie sie einst die Diener der heiligen Vehme zu tragen pflegten. Nach einer halben Stunde dröhnte Pferdetrab von der nahen Landstraße. Die Räuber flohen, und zwar in der Richtung ihres Anführers. Rasch zog ich meinen Dolch, den treuen Begleiter auf nächtlichen[93] Gängen, durchschnitt die Bande an meinen Füssen, und umging auf der entgegengesetzten Seite den Park, dicht an der Mauer; dieß ist der Grund meines verspäteten Kommens Wie aber wahre Liebe durch jedes Hinderniß nur an höherer Glut gewinnen kann, so fühl' ich jetzt eine so innige Sehnsucht nach deiner süßen Umarmung, daß ich für jede versäumte Minute meiner Seligkeit dich vor Amors Richterstuhle verantwortlich mache.«

Rosa drückte ein lebhaftes Bedauern dieses Unfalles aus, und bekräftigte des Grafen Vermuthung eines vorgehabten Einbruches der Räuber, um ihm jeden andern Argwohn zu benehmen, der ihren Plan durchkreuzt hätte. Der Graf wünschte ein strenges Verschweigen dieses Abentheuers, um den verdächtigen Ruf eines nächtlichen Wandlers auf schlüpfrigen Pfaden zu vermeiden, und Rosa gewann durch die Erfüllung dieses Wunsches mehr, als der Graf.

Die unvermuthete Nachtscene hatte dem Grafen Appetit gemacht. Er speiste ein gebratenes Feldhuhn, und trank eine Flasche alten spanischen Wein dazu; dann sehnte er sich nach der verheißenen Weihe des neuen Bundes, und wußte Rosa mit so rührenden Bitten zu bestürmen, daß sie ihre Zustimmung nicht versagen konnte. Sie führte ihn an der Hand in das geheimnißvolle Gemach, das kurz zuvor der verruchte Mönch mit seinen wilden Lüsten entweiht hatte, warf den seidenen Hausmantel von sich, und legte[94] sich dann auf das schwellende Lager, einer Venus gleich, die auf Rosen schlummert. Eben als der Graf begann, im entzückenden Anschauen dieser himmlischen Gestalt zu schwelgen, zog Rosa an einem breiten, goldgestickten Sammtbande, und ein künstlicher Mond an der Decke trat hinter einen wolkenförmigen Schirm zurück, und tiefe Nacht umfing die beiden Liebenden.

Rosa lag noch leise schlummernd auf dem Lager der Liebe, während der Graf schon wieder vor dem Nachttischchen auf dem Divan saß, und eine Herzstärkung unter den lockenden Gerichten wählte.

Als er eben am fleißigsten nagte und die edle Rebenglut mit behaglichem Geräusche hinunterschlürfte, schien Rosa aus ihrem Schlummer zu erwachen.

»Auf dein Wohl und unsere Liebe,« rief der Graf, und stürzte ein Glas Capwein hinunter. »Doch warum nimmst du nicht Platz an meiner Seite, schläfriges Engelchen?«

»Ich fühle einen leisen, schleichenden Frost in mir,« erwiederte Rosa mit etwas matter Stimme, »ein leichtes Spannen in den Lenden, und eine Schwere in meinen Gliedern, wie wenn ich einen weiten Weg zu Fuß gemacht hätte. Es ist mir ungefähr so zu Muthe, wie wenn ein heftiger Kopfcatarrh im Anzuge wäre, eine unbehagliche Empfindung, die ich mit einem Fieber vergleichen möchte,[95] das nicht auszubrechen vermag. Zürnen Sie nicht, mein lieber Graf, daß ich das Bett nicht mehr verlasse; es wird wohl das Beste seyn, was ich unter diesen Umständen thun kann.«

»Lieber, herziger, schuldloser Engel,« schrie der Graf, indem er ganz entzückt aufsprang, und vor sie hinkniete, ihre rechte Hand mit tausend Küssen bedeckend, »du machst mich zum glücklichsten Manne auf der Welt durch dein Uebelbefinden; denn nach den Empfindungen zu urtheilen, die du mir so eben gestehest, zweifle ich keinen Augenblick mehr an deinem Mutterstande!«

»Gerechter Himmel, das wolle Gott verhüten,« rief Rosa aus, die Hände ringend! »ich könnte weder das schmerzliche Bewußtseyn dieses Fehltrittes, noch das kränkende Gespött meiner Feinde und Feindinnen ertragen. Alle Blätter Deutschlands, die ihre Leser mit klatschsüchtigen Neuigkeiten unterhalten, würden mein Unglück wie einen glücklichen Fund ausposaunen, und mit dem höllischen Erfindungstalente der Bosheit ausschmücken. Wie bald würde zu dem Lügenbuche: ›Rosa's Gardinenseuzer,‹ ein Seitenstück geschrieben und gedruckt werden: › Rosa's Wehen,‹ und eine Sündfluth von spitzigen Epigrammen, besonders in den französischen Zeitschriften, über mich hereinbrechen! Nein, diesen schrecklichen Schlag des Schicksals ertrüg ich nicht; die Verläumdung konnte ich bisher [96] verachten, aber die Stimme der Wahrheit würde mich vernichten.«

»Wozu alle diese schwarzen Bilder deiner reizbaren Phantasie, liebe Rosa? Solltest du Mutter werden, so wirst du es nur als meine Gattin werden; in diesem Falle würde und müßte ich schon meiner eigenen Ehre wegen darauf dringen, daß du mir deine Hand reichtest; dann sind gewiß alle deine Besorgnisse entfernt.«

»Nimmermehr, Herr Graf, werde ich jemals mich entschließen, Ihnen meine Hand zu reichen. Ihr Stand und der meinige passen nicht zusammen. Einem Lord wird ein solcher toller Streich wohl verziehen, weil er in den Augen der Welt nun einmal das Vorrecht hat, auffallende Schritte machen zu dürfen; aber einem *** Grafen und Gesandten würde eine solche Wahl nie gebilliget, mindestens nie verziehen werden. Ihrem Anerbieten, in den Privatstand zurückzutreten, und mit mir auf Ihren Gütern zu leben, kann ich nie beistimmen, weil ich es für ein großes Unrecht hielte, Ihr Vaterland der wichtigen Dienste eines ausgezeichneten Mannes zu berauben. Meine Liebe soll den Geliebten entflammen, höher zu streben, nicht aber nöthigen, von seiner Höhe herabzusteigen. Dieser Gedanke würde mir die ganze Heiterkeit meines Gemüthes rauben. Darum, mein lieber Graf, überlassen Sie mir die Sorge, ein Auskunftsmittel aufzufinden, im Falle wir in unserer Meinung[97] uns nicht getäuscht haben. Und nun scheiden Sie mit Gott, damit Sie morgen mit frischer Kraft auf dem Festballe erscheinen können. Die Morgendämmerung kann nicht mehr ferne seyn; sie soll den Geliebten nicht mehr im Kabinete des Liebchens überraschen. Auf Wiedersehen! Keinen Kuß, lieber Graf, ja keinen Kuß, er würde mir nur den Abschied verbittern! Gute Nacht!«

Der Graf entfernte sich, dem Anscheine nach höchst vergnügt, und trällerte auf dem Heimwege allerlei Melodien zu Wiegenliedern. Inzwischen war es ihm nicht im Mindesten Ernst mit seinem Heirathsantrage; er wollte sich nur auf eine schickliche Weise aus dem Handel ziehen. Darum entwarf er den Plan am *** Hofe eine Abweisung vorzubereiten, im Falle Rosa späterhin durch irgend einen Wechsel ihrer Gesinnung sich veranlaßt fände, von seinem Heirathsantrage Gebrauch zu machen. Auf diese Art hätte er seinen guten Willen zur Lösung des gegebenen Wortes bethätiget, und dennoch den Kopf glücklich aus der fatalen Ehestandsschlinge einer berüchtigten Sängerin gezogen.

Quelle:
Friedrich Wilhelm Bruckbräu: Mittheilungen aus den geheimen Memoiren einer deutschen Sängerin. Zwei Theile, Band 2, Stuttgart 1829, S. 80-98.
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