Der Zylinder

Der Zylinder

[481] Josephitag ist, wie du weißt,

Ein Fest für den, der Joseph heißt.

Drum bürstet, weil er fromm und gut,

Auch dieser Joseph seinen Hut

Und macht sich überhaupt recht schön,

Wie alle, die zur Metten gehn.

Der Zylinder

Der Zylinder

Hier geht er aus der Türe schon

Und denkt an seinen Schutzpatron. –
[481]

Der Zylinder

Heraußen weht nicht sehr gelind

Von Osten her ein kühler Wind,

So daß die beiden langen Spitzen,

Die hinten an dem Fracke sitzen,

Mit leichtem Schwunge sich erheben

Und brüderlich nach Westen streben. –


Jetzt kommt die Ecke. Immer schlimmer

Weht hier der Wind. – Ein Frauenzimmer,

Obschon von Wüchse schön und kräftig,

Ist sehr bewegt und flattert heftig,

So daß man wohl bemerken kann – – –


Der Zylinder

O Joseph, was geht dich das an?


Der Zylinder

[482] Ja, siehst du wohl, das war nicht gut!

Jetzt nimmt der Wind dir deinen Hut! –

Schnell legt der Joseph sein Brevier

Auf einen Stein vor einer Tür,


Der Zylinder

Um so erleichtert ohne Weilen

Dem schönen Flüchtling nachzueilen. –


Der Zylinder

[483] O weh, da trifft und faßt ihn grad,

Doch nur am Rand, ein Droschkenrad.


Der Zylinder

Jetzt eilt er wieder schnell und heiter

In schönen Kreisen emsig weiter,

Und Joseph eilet hinterdrein.

Hopsa! Da liegt ja wohl ein Stein.


Der Zylinder

[484] Wutschi – der Joseph liegt im Saft.


Der Zylinder

Der Hut entfernt sich wirbelhaft. –


Der Zylinder

[485] Dies sieht aus frohem Hintergrund

Ein alter Herr mit seinem Hund,

Und grade kommen auch daher

Die andern frommen Josepher

Und denken sich mit frohem Graus:

Wie schauderhaft sieht Joseph aus!

Der Zylinder

Und Josephs Hut, wo wäre der,

Wenn der Soldat allhier nicht wär

Und nicht mit seinem Bajonett

Ihn mutig aufgehalten hätt. –


Der Zylinder

[486] Nun hat ihn doch der Joseph wieder. –

Stolz geht der Krieger auf und nieder. –

Der Joseph aber schaut geschwind,

Wo seine andern Sachen sind.


Der Zylinder

Gottlob, sie sind noch alle dort. –

Der Herr mit seinem Hund geht fort,


Der Zylinder

[487] Und Joseph schreitet auch nach Haus. –

Er sieht nicht mehr so stattlich aus


Der Zylinder

Und muß nun leider dessentwegen

Privatim seiner Andacht pflegen.

Drum soll man nie bei Windeswehen

Auf weibliche Gestalten sehen.
[488]

Quelle:
Wilhelm Busch: Werke. Historisch-kritische Gesamtausgabe, Bde. I-IV, Band 2, Hamburg 1959, S. 481-489.
Lizenz:

Buchempfehlung

Musset, Alfred de

Gamiani oder zwei tolle Nächte / Rolla

Gamiani oder zwei tolle Nächte / Rolla

»Fanni war noch jung und unschuldigen Herzens. Ich glaubte daher, sie würde an Gamiani nur mit Entsetzen und Abscheu zurückdenken. Ich überhäufte sie mit Liebe und Zärtlichkeit und erwies ihr verschwenderisch die süßesten und berauschendsten Liebkosungen. Zuweilen tötete ich sie fast in wollüstigen Entzückungen, in der Hoffnung, sie würde fortan von keiner anderen Leidenschaft mehr wissen wollen, als von jener natürlichen, die die beiden Geschlechter in den Wonnen der Sinne und der Seele vereint. Aber ach! ich täuschte mich. Fannis Phantasie war geweckt worden – und zur Höhe dieser Phantasie vermochten alle unsere Liebesfreuden sich nicht zu erheben. Nichts kam in Fannis Augen den Verzückungen ihrer Freundin gleich. Unsere glorreichsten Liebestaten schienen ihr kalte Liebkosungen im Vergleich mit den wilden Rasereien, die sie in jener verhängnisvollen Nacht kennen gelernt hatte.«

72 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon