Zehnte Vorlesung

[221] Der Aufstand in Polen. Die Cholera. Rußland's Einfluß. Tod des Kaisers Franz. Ferdinand I. Amnestie für Italien. Solidarische Verbindung der deutschen Staaten zur Bekämpfung des Liberalismus. Kurhessen. Bayern. Begründung einer freiheitlichen Presse. Das Hambacher Fest. Burschenschaftliche Verschwörungen. Das Frankfurter Attentat. Die Wiener Conferenz. Das schwarze Buch. Neue Studentenverschwörungen. Georgi und Weidig


Nach der Reihe von Revolutionen, welche wir bis dahin verfolgt haben, ist es wohlthätig, einen kleinen Ausruhepunkt zu suchen und man findet diesen bei einem Rückblick auf den österreichischen Kaiserstaat, vornehmlich in der loyalen, in sich selbst vergnügten Kaiserstadt Wien, die ihren Franz'l, je älter er wurde, um so mehr verehrte und voll Jubel und Freude war, als er im Jahre 1826 nach schwerer Krankheit seinem Lande wieder geschenkt wurde. Aber am Hofe des alternden Fürsten wurde es stiller und stiller, einförmiger und frömmer von Tag zu Tag. Die Diplomaten beschwerten sich laut, dies sei das alte lustige Wien nicht mehr, und auch noch ernstere Klagen erhoben sich in ihrem Kreise gegen das Metternich'sche Regiment; der schon öfter erwähnte Graf Münster, der hannöversche Minister, sprach es in der Intimität der diplomatischen Welt laut aus, Oesterreich habe längst aufgehört, den wahren, conservativen Interessen zu dienen, es begünstige blind selbst die erbärmlichste Winkeltyrannei, und widerstrebe Allem, was der Willkürherrschaft auch nur entfernt ein Ziel zu setzen vermöge. Es hatte sich eben dort in den Regierungskreisen ein greisenhafter, wahrhaft kindischer Schreck vor jedem unvorhergesehenen Ereignisse eingebürgert, ein Gedankenstillstand, wie es der alte Gentz selbst bezeichnete, als er im Jahre 1829 seinem Freude Müller den Tod der Fürstin Metternich meldete: »die[221] Fürstin Metternich ist an einem Milchfieber verschieden. – Dies ist eine Begebenheit, deren Folgen sich gar nicht berechnen lassen. – Ich befinde mich in einer Art von Gedankenstillstand!« –

Erschreckender als dies Milchfieber wirkten in Wien die Juliereignisse, aber als Louis Philipp dem östreichischen Premier unterbreitete, wie ein Krieg gegen Frankreich nur die Gefahr einer republikanischen Propaganda über Europa heraufbeschwören werde, ganz ebenso, wie dies auch 1789 der Fall gewesen, da beruhigte man sich dabei, beruhigte sich auch wohl oder übel bei den Bewegungen in Deutschland und erst die polnische Revolution versetzte Wien und seine Regierung wieder in eine gewisse Aufregung und zwar in eine freudige, weil man darin eine Schlappe Rußlands wahrnahm; ja es wird sogar behauptet, daß Oestreich den polnischen Aufstand insgeheim begünstigt habe. Jedenfalls geriethen die verschiedenen Völker des Kaiserstaates dadurch in die lebhafteste Erregung, der Ruhm der Polen war ein Ruhm für alle Slaven; ihre Losreißung und Unabhängigkeit erweckte bei den Ungarn und Böhmen gleiche Wünsche und Hoffnungen auf eine schon länger ersehnte Unabhängigkeit. Anderntheils fühlte die deutsch-östreichische Bevölkerung wieder einmal sympathisch mit dem übrigen Deutschland, das mit Jubel und Bewunderung auf den Heldenkampf des unterdrückten Volkes schaute und dasselbe, wie es auch bei den Griechen gethan, nach seinen besten Kräften unterstützte. Hatten Jene sich eben erst ihre Unabhängigkeit erstritten, warum sollte es nicht auch das Volk an der Weichsel thun? warum sollte dieses ohne Ende unter der Knute von Kaiser Nikolaus bluten müssen, dessen brutales, engherziges Uebergewicht stets mehr und mehr auf Europa zu lasten begann, und der es meisterhaft verstand, schon jetzt und später noch mehr, sich in den kleineren und den Mittelstaaten Deutschlands Verbündete gegen Preußen[222] und auch gegen Oestreich zu schaffen, damit er freie Hand in den Donaufürstenthümern, am schwarzen Meere und bei seinen Plänen gegen die Türkei behielt. Darin war auch der Grund zu suchen, weßhalb Metternich mit freundlichem Auge auf Polen sah, das seinen Aufstand schon von langer Hand her vorbereitet hatte. Schon um 1829, als Nikolaus sich in Warschau krönen ließ, sollte die Revolution ausbrechen, aber die Landboten, die polnischen Stände, ließen es damals nicht zu, und nun brachte die Julirevulion auch hier die That zur Reife. Im November desselben Jahres noch erhob sich Warschau und das ganze Land, um bis zum Frühling 1832 mit unerschrockenem Muthe fortzukämpfen. Mit gutem Rechte durften die Polen auf eine endliche Unterstützung ihrer Forderungen durch die Kabinette rechnen, durften sie hoffen nicht hinter Griechenland zurückbleiben zu müssen, wo die Diplomatie doch auch noch zuletzt entscheidend eingegriffen hatte: namentlich aber zweifelten sie gar nicht an der lebhaften Unterstützung des revolutionären Frankreich. In glühender Sprache richteten die polnischen Wortführer ihre Manifeste an die Völker Europa's und flehten sie dieselben unter Darlegung ihrer Rechte um Beistand an: das deutsche Volk jedoch wurde nicht von ihnen angerufen, denn von diesem hofften sie auf keine Hülfe. Dennoch entzündeten sich überall die Herzen der deutschen Patrioten, denn klar und deutlich waren darin die Beschwerden des polnischen Volkes in jenen Schriftstücken dargelegt – namentlich die Unmöglichkeit, mit Rußland vereint ein constitutionelles Leben zu begründen und aufrecht zu erhalten. Es heißt darin unter Anderen: die Vereinigung zweier Kronen, einer constitutionellen und einer despotischen auf einem Haupte war ein politischer Mißgriff, der nicht lange bestehen konnte. Jedermann sah voraus, daß das Königreich Polen entweder für das ganze russische Reich der Keim liberaler[223] Institutionen werden, oder der ehernen Faust des Selbstherrschers erliegen müsse!« – Diese wenigen Worte enthalten die ganze Bedeutung und die ganze Berechtigung des Kampfes, denn in der That, dieses Mal war Rußland der Rebell, da es sich bestrebte, die von ihm beschworenen Eide zu brechen und Polen mit Rußland gewaltsam zu einem, nach den Regeln des schlimmsten Absolutismus verwalteten Staates zu vereinigen. – Was naturgemäß in den civilisirten europäischen Ländern die Sympathie für die Polen noch mehr steigern mußte, waren die ersten Regungen der Angst und Furcht vor dem niederdrückenden und stets wachsenden Einflusse Rußlands. Alle Blicke waren somit auf den ungleichen Kampf gerichtet, überall wurden Geldsammlungen für die Polen veranstaltet, in den Schulen zupften die Kinder Charpie für deren Verwundete, und Comité's, die sich zu diesem Zwecke gebildet, brachten die Verbandssachen, die Kleider, die Lebensmittel, Alles was man für die Polen zusammenbringen konnte, an die polnische Grenze. Auch die Dichter blieben nicht zurück, Polens Erhebung zu preisen und besonders begeisternd wirkten die Polenlieder eines jungen Dichters, des Grafen H. v. Platen.

Die ersten siegreichen Erfolge der Polen unter tapferen Führern ließen das Beste für sie hoffen, aber ohne auswärtige Hülfe konnten sie den Riesenkampf doch nicht bis zu Ende führen. England, welchem dieser Anlaß hätte hoch willkommen sein müssen, Rußlands Wachsthum zu brechen, befand sich damals selbst noch in den Händen der Toryregierung; so begnügte es sich mit dem Beifall, den seine Presse den Polen zollte, und in Frankreich, wo Louis Philipp sich bereits bei Gelegenheit der Vorgänge in Belgien gegen den Grundsatz der bewaffneten Intervention ausgesprochen hatte, hielt man jetzt auch diesen Grundsatz fest. Das Königthum der Orléans war eben ganz ebensowenig revolutionär[224] gesinnt, wie das der Bourbonen. Was Oestreich betrifft, so mußte man es ihm schon hoch anrechnen, daß es seine Völker überhaupt ohne Verbot sich für die Polen begeistern ließ, ja, es gestattete, daß man ihnen durch die östreichischen Länder die Hülfsmittel zum Kampfe zugehen ließ. Preußen aber spielte mit Rußland unter einer Decke; seine von ihm ausgesprochene Neutralität hielt es sehr streng gegen die Polen aufrecht, doch keineswegs gegen die Russen. Die preußische Regierung machte sich im wahren Sinne des Wortes an ihrer Grenze zum russischen Polizeidiener und erlaubte unter Anderem die Waffenausfuhr nach Rußland, während sie eine solche nach Polen streng verbot. – Ich muß es mir versagen, hier näher auf die Geschichte des Polenkampfes einzugehen, nur soviel, daß bei diesem Anlasse dieses Volk zeigte, wie viel Großes in ihm schlummerte, und was aus ihm hätte werden können, wenn zur glücklichen Stunde ein großer Mann seine Geschicke in die Hand genommen, ihm die Bahn der Entwicklung vorgezeichnet hätte, die es aus sich selbst heraus nicht finden konnte, wie denn überhaupt der Slave kaum fähig erscheint, aus eigener Kraft jene politische Selbstständigkeit und Freiheit der Selbstbestimmung zu erringen, wie sie der Germane erstrebt und oftmals erreicht hat.

Polen fiel nach langem, blutigen Streite, und seitdem weit zerstreut über die Erde, ein moderner Ahasver, bildet der Pole und mit ihm vereint der unzufriedene Russe, ein stets gährendes Ferment, ein revolutionäres perpetuum mobile, das immer bereit ist, auf jedem auch noch so entfernt liegenden Felde gegen Fürstenallmacht mitzustreiten und mitzukämpfen, von der steten Illusion getragen, damit zugleich für ein verjüngtes Polen, ein constitutionelles Rußland zu fechten.

Im Jahre 1832 ging mit der Einnahme Warschaus[225] der blutige Kampf zu Ende, nachdem das oft geschlagene Rußland zu den äußersten Hülfsmitteln gegriffen und Polen mit Truppen wahrhaft überschwemmt hatte. Jenen voran zog das finstere Gespenst, die Cholera, die sie aus Asien mitgebracht; es raffte des Kaisers Bruder Constantin, den Statthalter Polens dahin, nach ihm den Feldmarschall Diebitsch, den früheren Besieger der Türken, der jedoch gegen die Polen vergeblich gefochten hatte. Erst dem Fürsten Paskiewitsch, seinem Nachfolger, gelang es endlich, Warschau mit Sturm zu erobern, wobei das Feuer einen Theil der Stadt zerstörte, und Ströme von Blut in den Straßen der Vorstadt Praga vergossen werden: dann entwickelte sich in Polen jenes furchtbare Schauspiel, welches der Geschichtsschreiber Rotteck mit den ergreifenden Worten schilderte: »Kein Freiheitsruf mehr, nur der Siegesruf der moskowitischen Horden tönte noch über das leichenbedeckte, heilige Land!« – Die Freiheitshymne der Polen, die sie so oft zu Kampf und Sieg geführt: »Noch ist Polen nicht verloren!« war umsonst erklungen; aber noch auf Jahre hinaus fand sie ihren begeisterten Widerhall in Deutschland, und wurde auch bei uns eine Art von Freiheitsgesang. Was man überhaupt damals in Deutschland für die Polen empfand, dies gab sich oft tausendfältig in Thränen und Schluchzen kund, wenn Holtei's Stück, »der alte Feldherr« über die Bretter ging und das Polenlied dabei ertönte. So groß war die Aufregung, daß Stück und Lied sogar des öfteren verboten wurde. – Doch durfte sich, namentlich in den kleinen Staaten am Rhein, am Neckar und Elbe auch die That der Begeisterung zugesellen. Durch das »organische Statut von 1832 wurde Polen staatlich vollständig zerstört, sein Wappen zerbrochen, seine Nationalarmee aufgelöst. Nur als russische Provinz sollte es noch unter der Statthalterschaft des Fürsten Paskiewitsch fortexistiren; das Einzige, was[226] ihm von der früheren Selbstständigkeit verblieb, war eine gesonderte Verwaltung und Rechtspflege. Nun konnte es mit vollster Wahrheit heißen: Finis Poloniae! Aber man konnte doch am Ende nicht das ganze Volk vernichten, und so wurde denn zuletzt, nachdem man Tausende nach Sibirien geschleppt, eine allgemeine Amnestie erlassen. Wer diese entweder nicht benutzen wollte oder es verschmähte unter Rußland's Regierung zu leben, durfte das Land verlassen. In erster Reihe machte der ganze polnische Adel Gebrauch von dieser Erlaubniß; er fand seine Hauptsammlungspunkte in Dresden und in Paris. Am letzteren Orte fanden sich, da man von Frankreich immer noch das Meiste hoffte, die vornehmsten Häupter desselben zusammen und bildeten dort eine beständige, stets schlagfertige Revolutionsliga. Auch bot Frankreich den Flüchtlingen doch wenigstens ein Asyl, und so sah man denn Monate lang in langen Reihen die wirklich und die freiwillig Verbannten fort aus der Heimath ziehen, sich ein neues Vaterland zu suchen; wo sie aber auf ihrem traurigen Zuge deutsche Erde betraten, da drängte sich die Bevölkerung heran, sie zu speisen, zu herbergen und zu kleiden; man begrüßte sie laut als Märtyrer der Freiheit und beklagte ihre Schmach um so tiefer, als man der Eigenen nicht offen gedenken durfte. Tiefer und tiefer aber sank unter solchen Eindrücken die Liebe und der Glaube an die herrschenden Fürstengeschlechter, und bei Vielen fing die Ansicht an sich geltend zu machen, daß Fürst und Tyrann ein und dasselbe sei.

Mit und hinter den Polen zog die furchtbare Geißel der Gegenwart, die Cholera, einher, um so schreckenerregender als Keiner wußte, wie sie zu bekämpfen, wie ihr zu entfliehen sei. Die russischen Truppen, weit aus dem Süden hergeholt, hatten wahrscheinlich die Plage eingeschleppt, welche jetzt je nach dem Bildungsgrade der betroffenen Landstriche, zu aller übrigen Noth in Deutschland auch noch Excesse und[227] Volkstumulte hervorrief. Man behauptete, die Brunnen seien vergiftet worden, an vielen Orten bürdete man die Schuld den unglücklichen Juden auf – mit einem Worte, die schwüle Luft, welche sich in den dreißiger Jahren über unser Vaterland legen sollte, wurde noch niederdrückender durch die Verheerungen dieser Seuche, der man nur durch die äußerste Absperrung vom menschlichen Verkehr glaubte entgehen zu können, zu welchem Zwecke oft die lächerlichsten Maßregeln getroffen wurden. Natürlich konnten nur die reichen und müßigen Leute sich dergestalt zu schützen suchen, und die Art und Weise, wie dies namentlich an den Höfen in Scene gesetzt wurde, konnte nicht dazu beitragen, die Furcht zu beschwichtigen oder die Liebe zu den Landeshäuptern, die ja doch die Gefahr mit den Ihrigen hätten theilen sollen, zu steigern. In der Nähe der Residenzen wurden überall Cholerahäuser gebaut, wohin sich die Regierenden im betreffenden Falle zurückziehen konnten; eine Menge von fürstlichen Sommerresidenzen verdanken dem ihre Entstehung, in Wien aber wußte man sogar diesen Umstand zu benutzen, um das übrige Deutschland sein Uebergewicht fühlen zu lassen. In Schönbrunn wurde eine großartige Sicherheitsanstalt gegen die Cholera für alle fürstlichen Personen errichtet und auch die fremden Gesandten dahin eingeladen, wobei jedoch alle deutsche Gesandte ausgeschlossen wurden, ausgenommen der von Baiern.

Wie nun aber das Choleragespenst aus Osten kommend über ganz Europa hinschritt und erst am atlantischen Oceane Halt machte, so breitete sich nach dem Falle Polens der noch verderblichere Einfluß Rußland's mehr und mehr nach dem Westen hin aus, und der Herbst des Jahres 1833 sah bei einer persönlichen Zusammenkunft des östreichischen Kaisers mit dem Czaren Nikolaus in Münchengrätz, der eine Besprechung Beider in Teplitz mit dem König von Preußen vorausgegangen[228] war, wieder das schönste Einvernehmen zwischen den drei östlichen Mächten. Mehr noch als zuvor kam jetzt wieder in Oestreich die ganze Staatsmaschine in's Stocken; ohne die persönliche Zustimmung des Kaisers konnte weder Großes noch Kleines ausgeführt werden und Franz war alt, schwach und unentschlossener als jemals. »Darüber muß man schlafen«, dies war sein Lieblingswort, wenn eine wichtige Frage auftauchte, und so währte es fort, bis er am 2. März 1835 selber entschlief. – Die Gebildeten hofften nun wie immer bei dem Thronwechsel auf eine neue Thätigkeit des staatlichen Lebens; das Volk, dem man seit Jahren ein Mährchen von des guten Kaiser Franzel Testament erzählt hatte, war auf gewaltige Dinge gefaßt und wiegte sich in der seltsamen Hoffnung auf eine außerordentliche Erbschaft, auf eine fabelhaft große Summe Geldes, von der Jeder seinen gebührenden Antheil erhalten werde. Die ganze Erbschaft reducirte sich am Ende auf eine väterliche Ermahnung, die gedruckt überall verbreitet und angeschlagen, ja sogar auf Kanzleien und Ortsstuben unter Glas und Rahmen aufgehängt wurde. Sie lautet ungefähr folgendermaßen: »Meine Liebe vermache ich meinen Unterthanen. Ich hoffe, daß ich bei Gott für sie werde beten können, und ich fordere sie auf zur Treue und Anhänglichkeit gegen meinen legitimen Nachfolger, sowie sie mir dieselben in guten und schlimmen Tagen bewiesen haben« u.s.w. Ein Dank an die Armee und die Staatsdiener schloß das kleine Aktenstück, welches – so kindlich naiv war doch damals noch der politische Standpunkt – die Menge in vollem Ernste ergreifen und rühren konnte. – Der Nachfolger von Kaiser Franz, sein Sohn Ferdinand I., war bereits 42 Jahre alt, als er einen Thron bestieg, der ihm wenig Freude bringen sollte. In einem wirklich constitutionellen Lande von verantwortlichen Ministern umgeben, mochte »Ferdinand der Gütige«, wie man ihn seiner Gutmüthigkeit[229] und seines natürlichen Wohlwollens wegen nannte, als Regent möglich sein; in Oesterreich bot er das klägliche Schauspiel eines Selbstherrschers dar, der durch Mittelspersonen gegängelt und geleitet werden mußte wie ein Kind. An Epilepsie, dem Erbtheil seiner Familie, leidend, hatte er Perioden vollständiger geistiger Lähmung durchzumachen, dabei harmlos wie ein Kind, ohne einen Zug der schlauen Verschlagenheit seines Vaters, war er im wahren Sinne des Wortes ein enfant terrible, und machte die Minister und Diplomaten zittern durch seine gutmüthigen Einfälle und schlecht angebrachten Redensarten. Immer nur mit Heraldik, Botanik und ähnlichen Dingen beschäftigt, erschrak er zuerst vor dem bloßen Gedanken, als Herrscher repräsentiren zu müssen, meinte dann aber später: »Das Regieren sei gar so unangenehm nicht, wenn nur das fatale Unterschreiben nicht wäre!« Trotzdem wiegte man sich in Oestreich mit der Vorstellung, es werde sich jetzt Vieles ändern, und Metternich's Einfluß wie sein System seien gebrochen, weil man wußte, daß Ferdinand den Staatskanzler haßte. Dem aber wußten dessen Anhänger schnell zu begegnen, indem sie ein sogenanntes politisches Testament von Kaiser Franz an seinen Sohn unterschoben und verbreiteten, worin es ausdrücklich heißt: »Verrücke nichts an den Grundlagen des Staatsgebäudes! Verändere nichts! Vertraue ganz dem Fürsten Metternich, meinem besten Freunde und treuesten Diener. Ohne ihn unternehme nichts, wo es sich um das Wohl des Staates handelt. Vertraue dich ihm ganz, er wird Dir treu zur Seite stehen und Dir mit derselben Anhänglichkeit dienen, die er mir stets bewiesen hat!« – So war denn auch diese Hoffnung bald wieder vernichtet und es erhielt der Kaiser in der Person des Grafen Clam Martinitz einen Generaladjutanten beigegeben, der eigentlich statt seiner regierte und mit den Metternich'schen Ideen ganz[230] übereinstimmte. 1836 wurde Ferdinand in Prag als König von Ungarn gekrönt, und 1838 in Mailand zum Zeichen seiner Oberherrlichkeit über Italien mit der eisernen Krone von Monza geschmückt. Einen guten Eindruck machte gleich bei seiner Thronbesteigung eine umfangreiche Amnestie, die den politisch Gefangenen auf dem Spielberg, und noch anderen Verfolgten zu Gute kam, welche in die italienischen Aufstände des Jahres 1833 verwickelt gewesen. Es waren dies Bewegungen die durch Mazzini, den Mann, der ein ganzes, langes Leben und ein großes Vermögen an die Verwirklichung der Idee einer einheitlichen, italienischen Republik gesetzt hat, angeregt wurden. – Die Mailänder Krönung veranlaßte dann eine zweite Amnestie zu Gunsten der Italiener; man nahm diesen Act in überschwänglichster Weise in ganz Deutschland auf, und glaubte nun von dem armen, kranken Ferdinand ein ganz neues Heil erwarten zu dürfen. So tief waren damals alle unsere Hoffnungen niedergebeugt, daß das kleinste Zeichen der Milde und der Versöhnlichkeit von Oben her wie ein Stern in die dunkle Nacht der Gegenwart hineinleuchtete und auf's Freudigste begrüßt wurde. Allerdings bildete Ferdinand's Amnestie den glänzendsten Gegensatz zu der grausamen Härte und Tücke, mit der man zur selben Zeit in Preußen und in dem übrigen Deutschland Alle verfolgte und strafte, die politisch mißliebig waren. –

Leider fehlte es wiederum an Solchen nicht, denn mochten sich auch die Wünsche und das Ringen der Nation, zur Einheit und zu einer freiheitlichen Entwicklung durchzudringen, noch so oft als eitel erwiesen haben, man ließ es doch nicht damit. Diese Bestrebungen wurden dringlicher und heftiger, nachdem die Niederlage der Polen zugleich einen abermaligen Wendepunkt für Deutschland's innere Lage herbeigeführt, hatte doch der Bundestag bereits beschlossen und als Grundsatz aufgestellt, es sei gestattet, daß: eine gegenseitige[231] Hülfeleistung der Regierungen innerhalb der Bundeslande stattfinde. So konnte also von nun an nicht blos nach Außen hin, sondern in Deutschland selbst, gegen etwaige freiheitliche Regungen intervenirt werden. – Ein Theil der Liberalen zog sich daraufhin vom Kampfplatze zurück, weil ihnen ein weiteres Vorwärtsstreben als unmöglich erschien; Andere führten ihre Sache in den Kammern, wie durch die Presse wacker weiter fort, und überdem entwickelte sich jetzt, da man das Vertrauen auf ein ernstliches Wohlmeinen der Fürsten, auch in Süddeutschland, mehr und mehr einbüßte, dort eine republikanische Parthei, welche unter der Form der Föderativrepublik, endlich die Einheit und Freiheit des Vaterlands zu begründen hoffte. Der Hauptschauplatz für die Thätigkeit dieser Parthei war Rheinbayern und Franken; in der erstgenannten Gegend waren Dr. Wirth und Advokat Siebenpfeiffer – in der Letzteren Dr. Eisenmann und Bürgermeister Behr, die Hauptführer. Eine Reihe freisinniger Blätter, darunter die Tribüne, von Wirth redigirt, suchten in dem oben genannten Sinne aufzuklären. In Stuttgart wirkte, doch gemäßigter die Allgegemeine Deutsche Zeitung und im badischen Freiburg ein anderes Blatt: der Freisinnige, herausgegeben von Rotteck, Welcker und deren Freunden. Es bildete sich überdem ein Preßverein, welcher sich die Aufgabe stellte, diese Blätter und auch noch andere Oppositionsschriften im Volke zu verbreiten. – In Bayern war in jenem Augenblick die Unzufriedenheit am größten; dazu berechtigten die ungeheuren Ausgaben, mit denen der Kunstsinn Ludwig's I. das Land belastete. Er wollte die Verfassung redlich halten, aber das Budget prüfen zu lassen, war unbequem für einen Fürsten, der in München einen Prachtbau nach dem andern aufführen ließ, jährliche Reisen nach Rom machte, dort kostspieligen Liebhabereien fröhnte, und eine Menge von[232] Künstlern heranzog und besoldete. Man mußte dies als unerhörten Luxus für ein Land ansehen, dessen natürliche Hülfsmittel im Uebrigen ganz unentwickelt und ungefördert blieben. Die Noth, die damals in Rheinbayern herrschte war groß, es schilderte sie der Abgeordnete Schüler wohl nicht übertrieben, wenn er in der Kammer sagte, daß: »kein Laib Brod in manchen Familien das Auge mehr erfreue, daß bei Vielen keine Kartoffeln mehr vorräthig seien, und der bittre Hunger die Menschen antreibe, das Kraut des Repsackers abzuschneiden!« Es mußte ja endlich bei den unvollkommenen Verkehrswegen zwischen den einzelnen deutschen Ländern immer wieder so kommen, und die Noth war durchaus kein Phantom, das man heraufbeschwor, die Massen aufzureizen, wie dies die Regierungen gar zu gerne wollten angesehen haben. – Was aber König Ludwig's Romfahrten noch mißliebiger machte, dies waren nicht allein die zahlreichen Verhältnisse, die er dort mit schönen Frauen unterhielt, sondern auch die Begünstigung der römischen Umtriebe. In Oestreich hatte man die Jesuiten nicht herbei gerufen, aber man hinderte sie auch nicht, sich als Redemptoristen, als Ligorianer, und unter andern Namen wieder einzunisten; ein Gleiches geschah nun auch in Bayern, doch hier mit offenbarer Erlaubniß der Regierung. Kutten und Klöster sah man neu erscheinen, während vom Norden her, aus Preußen vorzugsweise, der mächtig anwachsende Pietismus dem Ultramontanismus im Süden die Hand reichte. Es fehlte also nirgends an Anlaß zu neuen Klagen, zu neuen Bedenken von Seiten derjenigen, die mit Wärme und Theilnahme die Geschicke ihres Volkes verfolgten.

Ueberschaute man aber nun die ganze Entwicklung des öffentlichen Lebens in Deutschland, so war es unzweifelhaft, daß die größte politische Bildung sich in Baden geltend machte, wo Männer wie Idstein, Rotteck, Mittermaier,[233] Welcker und Andere von ähnlicher Tüchtigkeit und Gesinnung mannhaft in der Kammer für ihre Ziele kämpften, und als sie zu Ende des Jahres 1831 vom Landtag heimkehrten, dem badischen Ländchen freudige Errungenschaften heimbringen konnten. Sie lauteten: Preßfreiheit, Zehntfreiheit und Frohnfreiheit! – Auch in Kurhessen glaubte man jetzt mit Sicherheit auf eine freiheitliche Entwicklung zählen zu dürfen, nachdem, wie schon erwähnt, um 1831 eine sehr liberale Verfassung mit nur einer Kammer war proclamirt worden; aber häßliche Familiengeschichten trugen trotzdem von vornherein das Ihrige bei, um eine Versöhnung zwischen dem Volk und seinem Fürsten nicht mehr aufkommen zu lassen. Voll Zorn darüber, daß die Gräfin Reichenbach, eine frühere Emilie Ortlöpp, nicht nach Kassel kommen durfte, weil das Volk sie zu steinigen drohte, zog sich der alte Kurfürst nach Hanau zurück, nachdem er seinen Sohn zum Mitregenten ernannt. Dieser gab dem Vater leider nicht viel heraus, und genügend bekannt ist sein Verhältniß zu der früheren Frau eines preußischen Officiers, Namens Lehmann, deren Scheidung der Kurprinz veranlaßt hatte, indem er den Gatten mit einer großen Summe Geldes abfand, um sie dann als Gräfin Schaumburg in morganatischer Ehe zu heirathen. Seine Mutter, die Churfürstin, schon genügend durch den Gatten gekränkt, war in hohem Grade unglücklich über diese Ehe ihres Sohnes, und das Publikum sympathisirte mit den Gefühlen der zurückgesetzten Mutter und Gattin. Als sie eines Abends nach langer Zeit wieder einmal im Theater erschien, erhob sich ein lauter Jubel; auch draußen, als sie das Theater verließ, wurde sie durch die Herumstehenden mit Zurufen begrüßt, als sich plötzlich dieses friedliche Publikum von dem Militär überfallen und mit Säbelhieben auseinander gejagt sah. Man schob zwar nachträglich die Schuld auf den Polizei-Präsidenten, aber solche[234] Vorgänge mußten doch trotz der befriedigenden Verfassung neue Aufregungen hervorrufen. Sie steigerten sich durch die lächerlichsten Eingriffe des Regenten in persönliche Angelegenheiten; so erlies er unter Anderem ein Schnurrbartverbot, was leider zwanzig Jahre später in Hessen-Darmstadt nachgeahmt wurde. Bald aber gerieth der Fürst auch, was ernstere Folgen haben sollte, mit der Kammer in den heftigsten Hader. Hier, wie überall, enthüllte es sich in den dreißiger Jahren von nun an mehr und mehr, wie man das Verfassungswesen nur als einen Köder der Beschwichtigung hingehalten hatte, aber die gesetzlichen Schranken, die nach oben hin daraus hervorgehen sollten und mußten, durchaus nicht anerkennen mochte. Selbst in Baden, welches ich kaum erst rühmend erwähnt, nahm die eine Hand rasch wieder, was die Andre gegeben. –

Diesen Anzeigen gegenüber suchte sich nun die freisinnige Opposition gleichfalls fester zu organisiren; um dies zu bewerkstelligen, rüstete man sich in der baierischen Pfalz zu einem großen Feste, einer allgemeinen deutschen Volksversammlung, die eine Verbrüderung aller Derer herbeiführen sollte, welche nach der Wiedergeburt des Vaterlandes strebten. Dr. Siebenpfeiffer entwarf die Einladung dazu und als Versammlungsort wurde die Maxburg, das sogenannte Hambacher Schloß, bei Neustadt a. d. H. bestimmt. Die Einladung, von vierunddreißig Bürgern Neustadts unterzeichnet, führte den Titel: der Deutschen Mai, denn am 27., 28. und 29. Mai 1832 sollte die Versammlung stattfinden. Sie wurde anfänglich von der bayerischen Regierung verboten, als aber mehrere Städte, darunter auch Neustadt, dagegen protestirten, ließ man die Demonstration doch ihren Verlauf nehmen, und so fanden sich denn an den genannten Tagen 30–40,000 Menschen auf dem Hambacher Schloße zusammen. Viele Polen, Franzosen und Elsässer befanden sich unter[235] ihnen und zahlreiche Adressen liefen aus Deutschland sowohl, wie aus Frankreich ein. Alle Theilnehmer waren mit schwarzroth-goldnen Kokarden geschmückt, und Fahnen derselben Farben flatterten dem Zuge voran, der sich in geordneten Reihen hinauf auf das Schloß begab. Die Hauptreden während der Versammlung hielten Siebenpfeiffer und Wirth; sie stellten darin die Wiedergeburt und Einheit Deutschlands als Hauptsache voran, wenn man aber heute diese und andere Reden liest, kann man sich, wie bei jenen auf der Wartburg, wiederum der Wahrnehmung kaum verschließen, wie viel Phrasenhaftes und Declamatorisches dieselben enthalten. Doch lag dies wohl in der Natur der Sache; ein politisch unreifes Volk, dessen Rechtsgefühl aber bis in's Innerste gekränkt und empört ist, sucht sich bei solchen Gelegenheiten wenigstens durch das Pathos der Rede Luft zu machen, da ihm jedes Handeln versagt bleibt. – Sehr wacker und ohne Schen vor den anwesenden Franzosen redete Dr. Wirth; er sagte es frei heraus, daß Frankreich's Gelüste nach dem linken Rheinufer noch lange nicht erloschen seien, daß man sich darum in Deutschland wohl zu behüten habe, und den Franzosen auch nicht in Freiheitssachen um seine Hülfe angehen dürfe, weil er sonst unbedingt den vaterländischen Strom als Kampfpreis fordern werde. Dabei deutete er offen darauf hin, wie die Stunde von Deutschland's Wiedergeburt zugleich auch jene Stunde sein müsse, da Elsaß und Lothringen auf's Neue mit dem Mutterlande vereinigt werden müßten. Neben solch' patriotischen Worten machten sich denn leider auch rohe und blutdürstige Reden breit; doch wurde das von den Führern gegebene Versprechen vollkommener Ruhe und Ordnung eingehalten und die drei Tage verliefen ohne jede Störung, wie ohne jeden Exceß. Auch bestimmte Verabredungen wurden auf der Maxburg nicht getroffen; man bezweckte unpractischer Weise nichts, als nur eine revolutionäre[236] Stimmung zu erwecken und zu nähren, statt daß man sich über ein ernstes Vorgehen geeinigt hätte. – Gleichzeitig hatten auch an anderen Orten ähnliche Versammlungen stattgefunden; hie und da wurden Freiheitsbäume aufgepflanzt, was in unangenehmer Weise an die französische Revolution erinnerte. Bei Würzburg, wo eine ähnliche Demonstration stattfand, nahm das Volk den Bürgermeister Behr, nach einer von ihm gehaltenen Rede auf die Schultern und rief: »das ist unser Frankenkönig!« Es waren Kindereien, die aber durchaus nicht als Solche behandelt wurden, denn die Maßregeln der Regierungen ließen nicht lange auf sich warten. Zuerst erließ der Bund wieder eine Reihe von Beschlüssen, in denen namentlich den Ständen das Recht der Steuerverweigerung abgesprochen ward, und deren weitere Befugniß, die Bewilligung derselben, von Bedingungen abhängig gemacht wurde. Ueberhaupt nahm der Bund von nun ab das Recht in Anspruch die Gesetzgebung in den einzelnen Staaten zu überwachen und nöthigenfalls dabei mit Waffengewalt einzuschreiten. Proteste und Adressen gegen diese Beschlüsse, die von überall her einliefen, wurden für sträfliche Versuche erklärt, die Regierungen mit dem Bunde zu entzweien. In solcher Weise machte sich der Bund mehr und mehr zum obersten Polizeidiener Deutschland's und kein Mittel war ihm zu schlecht seine Zwecke zu erreichen. Anstatt der Gleichgültigkeit, mit der man ihn bis dahin betrachtet, entwickelte sich jetzt gegen dieses Institut ein bitterer Haß und Hohn. Er erfuhr dies Alles, denn ein Briefgeheimniß gab es für den Bundestag nicht und namentlich wußte sich der Herr von Nagler, der zugleich Generalpostmeister war, mit Hülfe seiner Untergebenen in den Besitz aller Geheimnisse zu setzen. Er rühmte sich selbst, daß ihm der russische Großfürst Constantin, vor der Revolution Polen's Statthalter, die besten Anweisungen dazu[237] gegeben, wie man Briefe auffange und in's Geheim entziffre.

Inzwischen war die demagogische Parthei, im Gegensatz zu der constitutionellen, welche den Weg des Gesetzes, wie schmal er ihr nun auch gezogen war, nicht verlassen wollte, zu dem Entschlusse gekommen, Deutschland zu revolutioniren, und zu diesem Zwecke eine allgemeine Verabredung oder Verschwörung zu Stande zu bringen. Seit 1827 hatten sich neue Verbindungen der Burschenschaft auf den Universitäten geschlossen und alljährlich wurde ein Burschentag abgehalten, zu welchem Abgeordnete von den verschiedenen Hochschulen erschienen, um über die zu nehmenden Maßregeln zu berathen. Eine feste Constituirung empfing die Verbindung, auf dem Burschentag zu Frankfurt a/M., wo der Zweck derselben klar dahin ausgesprochen wurde, »es seien Vorbereitungen zu treffen zur Herbeiführung eines frei und gerecht geordneten und in Volkseinheit gesicherten Staatslebens im deutschen Volke, mittelst sittlicher, wissenschaftlicher und körperlicher Ausbildung auf der Hochschule.« Gleichzeitig entwickelte der Preßverein in Frankfurt eine große Thätigkeit; in Gießen und Butzbach bildeten sich politische Vereine und in Ludwigsburg im Würtembergischen mühte sich der Oberlieutenant Koseritz das Militär zu bearbeiten. Einverständnisse mit Polen und Franzosen wurden erzielt, namentlich durch Verkehr einzelner Mitglieder mit der Gesellschaft »der Freunde des Volkes«, in Paris, bis endlich in den Weihnachtstagen des Jahres 1832 auf dem Burschentage zu Stuttgart – so erscheint es wenigstens nach den Darstellungen des Bundestages – der definitive Beschluß gefaßt wurde, die Einheit und Freiheit Deutschland's auf dem Wege der Revolution zu erstreben. Für solche und ähnliche Pläne waren die Führer der constitutionellen Opposition nicht zu gewinnen; Jordan, Rotteck, Welcker, und Andere gingen auf nichts derartiges[238] ein und ebensowenig fanden die revolutionären Emissäre großen Anklang unter dem geringeren Volke, bei Bauern und Handwerkern. – Die Hauptschauplätze der inneren Bewegung und der heimlichen Zusammenkünfte waren die Pfalz, Baden, Würtemberg und namentlich Oberhessen, doch wurde auch im Norden, vorzugsweise in Göttingen, gewirkt. Die Hauptführer bereisten verschiedene Gegenden um da die Stimmung zu erkunden, aber die Fäden des Ganzen liefen hauptsächlich in Frankfurt und Butzbach zusammen. An ersterem Orte waren besonders Dr. Gärth, Gustav Bunsen und Dr. von Rauschenplath thätig; in Oberhessen der Pfarrer Weidig, der Apotheker Trapp, ein Pfarrer Flick und ein Militärarzt Breidenbach; in Stuttgart der Buchhändler Frankh – es waren Männer aus allen Lebenskreisen, die sich da in gleichem Streben zusammenfanden, und die Verbindung mit den Studenten der verschiedenen Hochschulen unterhielten. Wie weit sich diese Fäden noch höher hinauf spannen, ist jetzt wohl kaum noch zu ermitteln, wie viel man auch seinerzeit darüber gemunkelt hat. Man wollte von einflußreichen Beamten und Staatsmännern wissen, die im Falle eines Gelingens sich gleichfalls auf die freiheitliche Seite stellen würden, die aber bei der noch schwebenden Unsicherheit nichts wagen wollten, ja, man hat vielfach und wiederholt hehauptet, daß der König von Würtemberg der ganzen Sache nicht fremd gewesen und daß Koseritz nicht ohne Vorwissen des Königs das Militär bearbeitet habe. So viel steht wohl fest, daß die unglücklichen, jungen Leute, die Studenten und Bürgerssöhne, die später so schwer für Alles büßen mußten, jetzt und auch in den folgenden Jahren, mehr oder weniger vorgeschoben und benutzt wurden; nur heimlich durften sie mit solchen Männern verkehren, auf die sie ihre Hoffnung einer Mitwirkung gesetzt hatten, während sich Jene wohl hüteten von ihnen gekannt zu sein, oder sie zu kennen. –[239]

So schwach nun auch die Aussicht war, irgend etwas Entscheidendes zu erringen, faßte man endlich doch den unsinnigen Plan, den Weg der Revolution zu betreten, in dem thörichten Wahne, daß es nur eines Funkens bedürfe, um alsobald, wie man es in Frankreich gesehen, den Aufruhr an allen Orten hervorzurufen. Die positiven Mittel, welche den Verschwörern zu Gebote standen, reducirten sich auf Waffen und Munition für einige hundert Mann, die Bunsen in Frankfurt bereit hatte; des Weiteren zählte man auf Hülfe der polnischen Flüchtlinge, die von Frankreich her die Gränze überschreiten und den Schwarzwald insurgiren sollten, und gleichzeitig war eine neue Erhebung in Polen selbst geplant. Man kam dahin überein, nicht den Fürsten, sondern jenem Institut, das dieselben repräsentirte, dem Bundestag zuerst den Krieg zu erklären, sich durch einen Handstreich, natürlich immer unter der Voraussetzung, daß sich die Bevölkerung augenblicklich anschließen werde, in den Besitz Frankfurt's zu setzen, den Bundestag zu sprengen, die Gesandten gefangen zu nehmen, und sich der Bundeskasse zu bemächtigen. Am selben Tage sollte Koseritz in Ludwigsburg losschlagen, und – wenn beide Anschläge gelangen – zweifelte man gar nicht an einer augenblicklichen Erhebung von ganz Süddeutschland. Die Verabredungen zwischen Frankfurt und Ludwigsburg, wie auch die mit den Polen in Frankreich, waren aber so unsicher getroffen, daß am Ende jede Parthei für sich allein handelte, natürlich ohne den mindesten Erfolg.

Es war am Abend des 3. April 1833 als dann wirklich jenes unglückliche Frankfurter Attentat in Scene gesetzt wurde, welches so viele tüchtige junge Männer auf Lebenszeit unglücklich machte, in so vielen Familien langjährigen Schmerz und Trauer erzeugen sollte. Schon an den Tagen zuvor kam der Zuzug von Studenten der verschiedenen Hochschulen, die sich bei dem Aufstand betheiligen wollten, in Frankfurt oder[240] in der nächsten Umgebung an. Am Abend des 3. April wurden sie in drei Haufen getheilt, empfingen Waffen bei Bunsen, oder auch in anderen Depots und dann wurde gegen halb 10 Uhr der Anschlag gleichzeitig gegen die Hauptwache, die Constablerwache – an beiden Orten suchte man die wenigen Linientruppen, die Frankfurt damals aufzuweisen hatte, zu überrumpeln – und gegen das Bundespalais auf der Eschenheimergasse, ausgeführt. Rauschenplath, Gärth und ein polnischer Officier führten die drei verschiedenen Trupps, während Bunsen mit einigen Genossen nach dem Dome zog, wo sie die Thürmerin zwangen die Sturmglocke zu läuten. Unter den verschiedensten Rufen, wie: »Es lebe die Freiheit! Freiheit und Gleichheit! Fürsten zum Land hinaus! Revolution! Republik!« und dergleichen, wurden die verabredeten Pläne ausgeführt, mehrere Posten niedergestoßen und die Soldaten, wie auch die Vorübergehenden aufgefordert, sich der Bewegung anzuschließen. Der Haupttumult fand statt auf dem Roßmarkt und die Zeile herunter: das Theater war eben zu Ende, die Leute gingen nach Hause, ganz erstaunt und verwundert über den ungewöhnlichen Lärm auf der Straße. Daß er eine Revolution bedeuten solle, ahnte Niemand; hie und da nahm wohl ein Vorübergehender eine ihm dargebotene Waffe an, die Meisten lachten. Unterdessen zog eine Abtheilung Frankfurter Militär über den Roßmarkt nach der Hauptwache zu, besetzte dieselbe wieder, und ein Gleiches geschah auf der Constablerwache, wobei einige Studenten verwundet und gefangen genommen wurden. Kaum eine halbe Stunde währte der Lärm, dann war Alles, was man in kindischem Unverstand unternommen hatte, zu Ende, und die Betheiligten suchten sich durch die Flucht oder das Aufsuchen von Verstecken zu retten. Viele wurden dort aufgefunden, Andre in den Nachbarstädten, wohin sie flüchteten, verhaftet und wir sehen abermals eine Centraluntersuchungscommission[241] zusammenberufen, die in Frankfurt ihren Sitz nahm und an Verfolgungssucht und Härte mit der früheren Mainzer Commission wetteiferte. Wie Jene, bemühte sie sich eifrigst einen Zusammenhang der Verschwörung mit den oppositionellen Führern der süddeutschen Kammern nachzuweisen, was jedoch nicht gelang, wie sehr man diese Männer auch verdächtigte und anschwärzte. Am schwersten mußte für den bloßen Verdacht der unglückliche Jordan, Professor in Marburg, büßen, weil von ihm, jedoch ohne jeglichen Beweis, behauptet wurde, er habe von der Sache gewußt. Viele Jahre lang schmachtete der Unglückliche in der schändlichsten Kerkerhaft. Das Urtheil, welches über ihn erging, lautete: »wegen Beihülfe zu versuchtem Hochverrath durch Nichtverhinderung hochverrätherischer Unternehmungen, mittelst unterlassener Anzeige.« –

Verhaftungen folgten auf Verhaftungen an allen deutschen Hochschulen; noch nach Jahren wurden junge Männer, die inzwischen schon in bürgerliche Aemter eingetreten waren, in jahrelange Untersuchungshaft gezogen. Ein unvorsichtig hingeworfenes Wort, das Auffinden eines dreifarbigen Bändchens oder Pfeifenkopfes, oder irgend eines Gegenstandes, welcher die französischen Farben oder das burschenschaftliche Schwarz-roth-gold an sich trug, genügten, einen jungen Mann einzukerkern und ihm die härtesten Strafen zuzuziehen.

Wider alles Recht wurden die jungen Leute, wenn es verlangt wurde, an die betreffenden Staaten, denen sie angehörten, ausgeliefert. Besondere Untersuchungscommissionen waren noch außer der Frankfurter in München und Berlin eingesetzt, wo man die Angeklagten öfter zum Tode verurtheilte und dann zu zwanzig oder dreißigjähriger Festungshaft begnadigte. Sechs bis acht Jahre später, wenn ihre geistige Kraft gebrochen, ihre Existenz im Heimathlande vollständig vernichtet war, und sie sich fremder daheim fühlten, als weit in der Ferne, entließ man sie dann öfter der Haft. Ein hervorragendes Opfer jener[242] schlimmen Tage war der berühmte Schriftsteller Fritz Reuter, und in ergreifendster Weise hat er in seinem Buche: Ut mine Festungstid, es geschildert, wie er und seine Genossen zuerst als gemeine Verbrecher behandelt, nach und nach geistig herunterkamen und dann, als die Gefängnißpforte sich vor ihnen wieder aufthat, draußen standen, wie Abgestorbene, die in's Leben plötzlich zurückkehren.

Auch der Militäraufstand, den Koseritz vorbereitet und der einen Tag zu spät kam, verpuffte, wie der Frankfurter Krawall; Koseritz wurde verhaftet, aber bald danach in aller Stille nach Amerika entlassen, so daß das Gerücht, der König von Würtemberg sei der ganzen Sache nicht fremd gewesen, neue Wahrscheinlichkeit gewann.

Den Schlußstein der Reaction bildete dann nach diesen Vorgängen die Wiener Conferenz, welche dort vom Januar bis zum Juni 1834 statthatte. Es wurden jetzt Bestimmungen getroffen, welche das Verfassungsleben nur noch zum Scheine fortbestehen ließen. Von nun an sollten etwaige Streitigkeiten über Auslegung von Verfassungsvorschriften durch ein Schiedsgericht, das der Bund zu wählen hatte, entschieden, das Budget der einzelnen Staaten nicht mehr in specificirten Posten, sondern nur noch ganz allgemein bewilligt werden. Die Censur wurde auf's Aeußerste verschärft und wahrhaft drakonische Bestimmungen gegen die Universitäten beschlossen. Alle Burschenschafter sollten fortan von jedem Staats- und Kirchenamt, von allen academischen Würden, von der Advocatur, ja sogar von der ärztlichen Praxis ausgeschlossen sein. Die schwere Zeit brach an, wo das »schwarze Buch« seine berüchtigten Dienste zu leisten begann, und wehe Jedem, dessen Name darin verzeichnet stand; mochte er der geistvollste, gelehrteste, brauchbarste Mann sein, war er dort genannt, so durfte er niemals auf eine Förderung oder Anstellung vom Staate hoffen. Bis zum Jahre 1866[243] hat dieses Buch bestanden, und als es nach jener Zeit veröffentlicht wurde, mochte Mancher mit Erstaunen seinen eignen, ungefährlichen Namen darin finden. – Indessen hütete man sich wohl die oben genannten Beschlüsse laut werden zu lassen; erst 1843 kamen sie in Karlsruhe in einer anonymen Schrift heraus. Nur die Bestimmungen über das Schiedsgericht und die Einschränkungen, welche die Universitäten trafen, wurden veröffentlicht. Um so eifriger aber handelten die Regierungen nach diesen geheimen Beschlüssen; man löste die Kammern auf, die sich widerspenstig zeigten, man verweigerte liberalen Beamten den Urlaub, wenn sie als Abgeordnete gewählt wurden, und was dergleichen Chicanen mehr waren. Die freie Stadt Frankfurt aber bekam eine Bundesbesatzung von preußischen und österreichischen Truppen, um das treffliche Bundesinstitut vor neuen Angriffen sicher zu stellen. –

Leider konnten alle diese Maßregeln neue Studentenverschwörungen nicht verhindern; je schlimmer die Reaction auftrat, um so mehr erhitzten sich die Gemüther und glaubten sie sich zum äußersten Widerstande berechtigt, trotzdem das Schwert des Damokles über allen freigesinnten Häuptern schwebte.

Einen besonders gehässigen Character nahmen die politischen Processe in Baiern gegen jene Männer an, die bei dem Hambacher Feste, welches man als den Anfang der politischen Aufregungen betrachtete, an der Spitze gestanden. Sie wurden nach und nach Alle in Untersuchung gezogen, Wirth, Siebenpfeiffer, Schüler, sowie auch Behr, Eisenmann und Andere. Ein Theil dieser Männer kamen vor das Schwurgericht der baierischen Pfalz, wo diese Einrichtung noch von den Franzosen her bestand. Sie wurden von den Geschwornen frei gesprochen, aber, gegen alles Recht, Keiner von ihnen entlassen. Siebenpfeiffer gelang es nach Frankreich zu entfliehen, [244] Wirth, auf den man es besonders abgesehen, wurde noch einmal vor das Zuchtpolizeigericht gestellt und von diesem dann auch glücklich zu einer entehrenden Strafe von zwei Jahren Zuchthaus verurtheilt. Nach Kaiserslautern abgeführt, um dort seine Strafe zu verbüßen, behandelte man ihn so ganz wie einen Züchtling, daß er, der die Geschichte Deutschland's geschrieben, während seiner Haft 70 Paar wollene Strümpfe stricken mußte. Widmann, Eisenmann und noch Mehreren erging es fast noch schlimmer, denn außer der Freiheitsstrafe, die sie traf, muthete man ihnen – es war ein fast orientalisches Machtgebot – noch zu, vor dem Bilde des Königs Abbitte zu thun, weil man annahm, dieser sei durch ihre freiheitlichen Bestrebungen persönlich beleidigt worden. Eisenmann war zu diesem Schritte nicht zu bewegen und so verließ er den Kerker erst nach vielen, vielen Jahren, als ein vollständig gebrochener Mann. –

In Baden und Hessen waren jetzt natürlich der Reaction auch Thor und Thüre aufgethan; im letzteren Lande namentlich fand das Metternich'sche System unter dem persönlich gutmüthigen, aber unendlich schwachen Großherzog Ludwig II. die entschiedensten Vertreter. Dies trat scharf zu Tage, als in der Kammer, in welcher eine freisinnige Opposition vorwog, im Jahre 1833 durch die Abgeordneten E. E. Hoffmann und Heinrich von Gagern ein Protest gegen die Bundestagsbeschlüsse von 1832 beantragt und die Gelder für ein neues Schloßgebäude, bei dem schlechten finanziellen Stande des Landes und der großen Armuth des Landvolkes, verweigert wurden. Hierbei kam es zum offenen Bruch zwischen Regierung und Kammer, die letztere wurde aufgelöst und alle freisinnigen Beamten, die in der Kammer gegen die Regierungsvorlage gestimmt hatten, wie Jaup, Höpfner, v. Gagern, v. Brandis und Andere ihrer Stellen entsetzt. Diese Vorgänge riefen große Aufregung hervor, welche sich noch vermehrte,[245] da zwei als freisinnig bekannte Männer verhaftet wurden. – der Pfarrer Weidig zu Butzbach und der pensionirte Lieutenant Wilhelm Schulz, dessen Volksschriften ich bereits genannt habe. Letzterer hatte fortgefahren, in populärer Weise das Volk über seine Bedürfnisse und berechtigten Wünsche aufzuklären, jetzt wurde ihm eine neue Schrift zum Verbrechen gemacht, die theoretisch darlegte, in welcher Weise dem Bundestage ein deutsches Parlament, welches die Nation vertreten würde, möchte beigegeben werden. Schulz wurde zur Verantwortung gezogen und, obgleich durch seine Pensionirung dem Bürgerstande zurückgegeben, dennoch widerrechtlich vor ein Kriegsgericht gestellt, dem es natürlich nicht schwer wurde, aus seinen Schriften genügende Verstöße gegen die militärische Subordination herauszufinden. – Man verurtheilte ihn zur Kassation, zum Verlust seiner Pension und zu fünf Jahren scharfer Festungshaft auf der Festung Babenhausen. Schulz litt nicht lange in seiner Haft – zur Freude aller Freigesinnten gelang es seiner muthigen und geistvollen Gattin, einen so wohl überlegten Fluchtplan einzufädeln, daß er in der stürmischen Neujahrsnacht von 1834 auf 35 entspringen konnte, um auf dem freien Boden der Schweiz, in Zürich die Geschichte der Entwickelung seines Vaterlandes weiter zu verfolgen und für seine Grundsätze wirken zu können, während um den gastfreien Heerd des trefflichen Paares sich mehr und mehr die Flüchtlinge aus der Heimath sammelten, welche ein günstiges Geschick der furchtbaren Inquisition entzogen, die bald schwerer und schwerer auf der deutschen, namentlich aber auf der hessischen Jugend lasten sollte.

Weniger glücklich als Schulz erging es dem Pfarrer Weidig, den man beschuldigte, die Herzen der jungen Leute – er war gleichzeitig ein hochverehrter Lehrer – vergiftet und überdem um das Frankfurter Attentat gewußt zu haben. Während er in der Untersuchungshaft schmachtete, vollendete[246] sich in der neugewählten hessischen Kammer der Sieg der ministeriellen Parthei über die liberale. Heinrich v. Gagern trat aus derselben aus und schickte dem Großherzog seinen Kammerherrnschlüssel zurück; die vorher schon genannten Beamten, die tüchtigsten des Landes, blieben ihrer Stellen entsetzt, und mit rücksichtsloser Härte pensionirte oder benachtheiligte man die Väter und Verwandten jener verblendeten jungen Männer, welche nun abermals die geheimen Verbindungen und Verabredungen getroffen hatten, deren Hauptstätte die Universität Gießen war. Dort erschien, auf einer geheimen Presse gedruckt und heimlich in großer Anzahl verbreitet, ein Blatt: Der hessische Landbote, das mit großer Schärfe und Rücksichtslosigkeit die deutschen und namentlich die hessischen Zustände, dabei die sociale Frage stark betonend, brandmarkte.

Lange war es der Regierung unmöglich, der Urheberschaft und Verbreitung des Blattes auf die Spur zu kommen, bis feige Verrätherei, hervorgerufen durch die verwerflichsten Mittel, ihr die Wege zeigte. In Folge dessen wurde ein junger Student, Sohn des Präsidenten des Darmstädter Hofgerichts in dem Augen blicke gefangen genommen, als er eben wieder den »Landboten« ausstreuen wollte. Nun folgten sich die Verhaftungen Schlag auf Schlag, das Gefängniß in Friedberg, in welchem Weidig und noch Mehrere, die bei dem Frankfurter Attentat betheiligt gewesen, saßen, war überfüllt; man veranstaltete eine Uebersiedelung Aller nach Darmstadt, wo unterdessen ein neues Arresthaus war fertig geworden und damit füllte sich jetzt eines der dunkelsten Blätter der deutschen Geschichte aus den 30ger Jahren. Nirgends sonst gab sich, und man war doch schon hart genug, eine solche inquisitorische und grausame Verfolgungswuth, wie sie jetzt hier anbrach, kund. Mitten in der Nacht, weil man denn doch die Aufregung im Volke fürchtete, wurden achtbare Familienväter[247] aus den Betten geholt und in das Gefängniß gebracht; in den meisten Fällen mußten sie schon bald wieder freigegeben werden, aber man stelle sich die Scenen des Schmerzes, der Verzweiflung in den Familien vor, die so hervorgerufen wurden. Fast jeder junge Mann stand unter polizeilicher Ueberwachung, und wo ein Verfolgter sich seinem Schicksale durch die Flucht entzog, wurde ihm ein entehrender Steckbrief nachgesendet. Keiner war sicher, ob er, schuldig oder unschuldig, sich noch am nächsten Tage in Freiheit befinden werde. –

Ihren ergreifendsten Schlußakt sollte diese ganze Tragödie, die Deutschlands beste Jugendblüthe auf Jahre hinaus vernichtete, in Darmstadt finden. Das neue Arresthaus, seiner Natur nach doch dazu bestimmt, solche Gefangene aufzunehmen, deren Schuld noch gar nicht erwiesen war, zeigte sich als ein entsetzlicher Bau. Die Zellen der Gefangenen waren mit einer hellen Oelfarbe angestrichen und nur mit Oberlichtern versehen, so daß ein falsches, blendendes Licht beinahe jede Arbeit unmöglich machte und der Gefangene kaum einen Streifen des Himmels erblicken konnte. Da hinein wurden jetzt Weidig und die armen gefangenen Studenten, die unglücklichen Bürgerssöhne, gebracht, und immer wieder thaten diese Pforten, über denen unsichtbar Dante's Worte: Laßt jede Hoffnung fahren, die Ihr hier eingehet! geschrieben standen, sich auf, um noch nach Jahren neue Unglückliche einzulassen, Keinen wieder herauszuführen, wenn er nur einmal zu einem einfachen Verhöre eingeladen, es wagte, diese dunkle Schwelle zu überschreiten.

Als Untersuchungsrichter wurde der frühere Universitätsrichter Georgi berufen, ein Mann, den die studirende Jugend schon lange seiner rohen Sitten und seiner Trunksucht halber verachtete. Dieser Mensch wüthete nun Jahre lang wie ein Henkersknecht gegen die jungen Leute, die er persönlich haßte,[248] und voll Wuth darüber, daß sie ihm nichts eingestehen wollten. Er ließ dieselben schlagen, mit Ketten belasten, er entzog ihnen die Nahrung, die Bücher, die nothwendigsten Geräthschaften – Wochen und Monate lang wurden sie zu keinem Verhöre geführt und was nutzten dem gegenüber ihre eigenen Klagen, die Vorstellungen der Väter oder Anverwandten, die Thränen der Mütter, Gattinnen und Schwestern? Nur wer es mit erlebt, kann es heute noch verstehen, wie es möglich war, daß dies sechs lange Jahre so fortgehen konnte, in der Residenz selbst, unter den Augen des Fürsten und seiner Beamten. Abgesehen von der gräßlichen und gänzlich unerlaubten Härte, die hier ausgeübt wurde, bildete dieser lange und unfruchtbare Prozeß zugleich die herbste Anklage gegen das geheime Gerichtsverfahren, welches allein eine so lange Untersuchungshaft möglich machte. Aber Niemand wagte sich darüber laut zu äußern, wenn er sich nicht gleichfalls verfolgt sehen wollte und erst dem Wahnsinn und dem Selbstmord gelang es, den furchtbaren Bann zu sprengen. Der junge Minnigerode, derselbe, welcher in Gießen im Jahre 1834 zuerst war verhaftet worden, verfiel in Irrsinn und mit unendlicher Mühe gelang es seinen einflußreichen Freunden und Verwandten, dessen Uebersiedelung in das Vaterhaus bei strengster Bewachung zu bewirken. Zur selben Zeit stellte es sich mit vollkommener Gewißheit heraus, daß der Untersuchungsrichter Georgi an Säuferwahnsinn litt und oft in diesem Zustande, unterstützt durch einen rohen Gefängnißwärter, sich gegen die Gefangenen in der gröbsten Weise verging. Trotz alledem hatte der Mann einen so festen Fuß bei der Regierung, daß man ihm nichts anhaben konnte, bis endlich die erschütternde Kunde laut ward, es habe sich im Arresthaus einer der politischen Gefangenen selbst entleibt. Es war dies der unglückliche Pfarrer Weidig, der, aufgerieben durch die Qualen des Kerkers, der Sehnsucht nach Frau und Kind, die[249] man ihm kaum einmal, und dann nur im Beisein des Richters zu sehen gestattete, sowie auch durch schweres, körperliches Unwohlsein bedrängt, zu dem furchtbaren Entschlusse gekommen war, sein Leben selbst zu enden. Er zerschlug ein Arzneiglas und durchschnitt sich mit den Scherben die Schlagadern, sowie einen Theil des Kehlkopfes – so fand ihn, schon halb todt in Folge der Verblutung, am Morgen früh der Gefängnißwärter, aber anstatt schnell ärztliche Hülfe herbeizurufen, machte er zuerst Anzeige bei dem Untersuchungsrichter, der sich mit ihm nach dem Gefängniß begab. Erst einige Stunden später wurde nach Aerzten geschickt, als bereits jede Hülfe zu spät kam. Ein dunkler Schleier, den wohl Niemand lüften wird, deckt diese ganze, gräßliche Geschichte, bei der vielfach ein Verbrechen vermuthet wurde; wenigstens nahm man an, es sei dem begonnenen Unheil in verbrecherischer Weise nachgeholfen worden, weil die Todten nicht mehr reden können. Wirklich starb Weidig noch am selben Tage an den erhaltenen Wunden, doch wird man die Wahrheit wohl da finden, wo sie zunächst zu suchen ist, in einer Fahrlässigkeit des Richters und seines Untergebenen, die in der Angst eines erschrockenen Gewissens jedenfalls zu lange zögerten, Beistand herbeizuholen, und sich dadurch dem schlimmsten Verdachte aussetzten. – Weidig's Tod, an dessen Körper die Aerzte die Spuren vielfacher Mißhandlungen fanden, wurde die Erlösung der Uebrigen; ein Schrei des Entsetzens und der Theilnahme ging durch ganz Deutschland bei der Kunde des Trauerspiels in dem Darmstädter Arresthause und Georgi – den man übrigens zuvor decorirte, zum Hofgerichtsrath machte und später auch in die Kammer wählen ließ, wurde jetzt endlich beseitigt. Es ist wohl unzweifelhaft, daß eine höhere Hand, als die der hessischen Regierung, ihn aufrecht hielt. Ein humanerer Richter brachte die Gefangenen jetzt schnell zu einem umfassenden Geständniß und die unglücklichen Opfer[250] des geheimen Gerichtsverfahrens wurden nun ihres Gefängnisses entlassen, indem man ihnen die Untersuchungshaft als Strafe anrechnete. Gestraft waren sie wirklich mehr als genug, gebrochen an Leib und Seele, ohne bürgerliche Stellung, die sie sich dann meist im Auslande, in der Schweiz, in Amerika, in Frankreich suchen mußten, – die Reihen derjenigen vermehrend, die in der Verbannung lebten, und denen erst das Jahr 1848 die Möglichkeit einer Rückkehr in's Vaterland erschloß.

Nur in flüchtiger Skizze konnte ich Ihnen den Jammer andeuten, der damals über Tausenden von Familien schwebte, der den deutschen Frauen – Müttern, Schwestern und Bräuten, ein Martyrium bereitete, das kein Lied besang, kein Bild verherrlichte, das aber unter den Thränen, die es hervorlockte, unter dem Weh, das es erpreßte, auch im deutschen Hause die heiße Sehnsucht wach rief nach Freiheit und Recht – und ihre Zähren sind denn auch am Ende nicht ganz umsonst geflossen! –[251]

Quelle:
Luise Büchner: Deutsche Geschichte von 1815 bis 1870. Leipzig 1875, S. 221-252.
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