Achtzehntes Kapitel.

[343] Fortgesetzte Regierung des Sancho Pansa und andere angenehme Begebenheiten.


Der Tag brach an, welcher auf die Nacht folgte, in der der Statthalter die Ronde gemacht hatte und welche der Speisemeister ohne Schlaf zubrachte, indem er seine Gedanken nur mit dem Angesichte, den Reizen und der Schönheit des verkleideten Mädchens beschäftigte, während der Haushofmeister bemüht war, seinen Gebietern dasjenige, was Sancho sagte und tat, niederzuschreiben, gleich sehr über seine Taten wie über seine Reden verwundert, denn seine Worte wie seine Handlungen waren mit Anzeigen von Verstand und Dummheit vermischt. Endlich erhob sich der Herr Statthalter, und auf Befehl des Doktors Pedro Recio setzte man ihm ein Frühstück vor, das aus wenig Eingemachtem und einem Glase frischem Wasser bestand, welches Sancho gern gegen ein Stück Brot und eine Weintraube ausgetauscht hätte; da er aber sah, daß hier mehr Zwang als freier Wille stattfand, fügte er sich mit tiefen Schmerzen seiner Seele und großem Verdrusse seines Magens, indem ihn Pedro Recio glauben machte, daß weniges und feines Essen den Geist erwecke, was solchen Personen nötig sei, die ansehnliche Ämter und wichtige Stellen bekleideten, in denen sie nicht sowohl Kräfte des Körpers als die des Verstandes nötig hätten. Mit dieser Philosophie litt Sancho Hunger, und zwar so sehr, daß er heimlich die Statthalterschaft wie den, der sie ihm gegeben hatte, verfluchte; dennoch setzte er sich mit seinem Hunger und seinem Eingemachten hin, um für den Tag Urteile zu sprechen, und das, was sich ihm zuerst darbot, war folgende[344] Frage, die ihm von einem Fremden vorgelegt wurde, indem der Haushofmeister und seine übrigen Pfleger zugegen waren: »Gnädiger Herr, ein ansehnlicher Strom fließt durch die Mitte einer und derselben Herrschaft – ich bitte um einige Aufmerksamkeit, denn die Sache ist sehr wichtig und ziemlich schwierig –, und über diesen Fluß ist eine Brücke geschlagen, an deren Ende ein Galgen steht und eine Art von Rathaus, in dem sich gewöhnlich vier Richter befinden, welche über das Gesetz wachen, das der Besitzer des Flusses, der Brücke und der Herrschaft gegeben hat und welches so lautet: Wenn jemand über diese Brücke von einem Ende zum andern geht, so soll er vorher schwören, wohin er geht und was sein Geschäft; ist sein Schwur wahr, so lasse man ihn ziehen, sagt er eine Lüge, so soll er an den Galgen gehenkt werden, der dort steht, ohne alle Barmherzigkeit. Dieses Gesetz und sein strenger Inhalt waren bekannt, viele gingen über die Brücke, man sah, daß das, was sie beschworen hatten, die Wahrheit sei, und die Richter ließen sie ungehindert ziehen. Es geschah darauf, daß man einem Manne den Eid abnahm, welcher schwur und sagte, daß, so gewiß er schwöre, er hingehe, um an dem dort befindlichen Galgen zu sterben, und zu keiner andern Absicht. Die Richter kamen über diesen Schwur in Verlegenheit und sagten: ›Lassen wir diesen Mann frei ziehen, so ist sein Schwur ein Meineid, und er muß nach den Gesetzen sterben, hängen wir ihn aber, so hat er geschworen, daß er hingehe, um an dem Galgen zu sterben, und da er die Wahrheit geschworen hat, so muß er nach ebendiesen Gesetzen frei sein.‹ Jetzt fragen wir Euch nun, gnädiger Herr Statthalter, was sollen die Richter mit diesem Manne anfangen, denn sie sind noch immer zweifelhaft und in Verlegenheit? Sie haben von Eurem scharfen und hohen Verstande Nachricht erhalten und schicken mich ab, um Euer Gnaden demütig zu bitten, ihnen Eure Meinung in diesem verwickelten und zweifelhaften Falle mitzuteilen.«

Worauf Sancho antwortete: »Wahrlich, diese Herren Richter, die Euch zu mir geschickt haben, hätten es wohl können bleibenlassen, denn ich bin nur ein Mann, der mehr Einfalt als Scharfsinn besitzt; dessenungeachtet aber sagt mir den ganzen Handel noch einmal, damit ich ihn begreifen kann, vielleicht fügt es sich, daß ich in die Mitte des Riemchens steche.«

Der Gefragte erzählte hierauf den Fall noch einmal so, wie er ihn erst schon vorgetragen hatte. Sancho sagte: »Nach meiner Meinung kann man diesen Handel in zwei Augenblicken fassen, es ist nämlich so: dieser Mann schwört, daß er hingeht, um am Galgen zu sterben; stirbt er, so hat er die Wahrheit beschworen, und er soll nach dem gegebenen Gesetz frei sein und über die Brücke gehen dürfen; hängen sie ihn aber nicht auf, so hat er eine Lüge beschworen, und er verdient nach dem nämlichen Gesetze, daß er aufgehängt werde.«

»Es ist, wie der Herr Statthalter gesagt hat«, sagte der Bote, »und was das richtige Verständnis des Falles betrifft, so ist hier nichts Weiteres hinzuzusetzen.«

»So sage ich denn«, versetzte Sancho, »daß von diesem Menschen die Seite, welche wahr geschworen hat, ungehindert ziehen soll, die aber, welche gelogen hat, soll man aufhängen, und auf die Art kann das Gesetz der Brücke buchstäblich erfüllt werden.«

»Aber, Herr Statthalter«, versetzte der Fragende, »so wird es nötig sein, daß dieser Mensch in zwei Hälften, in eine lügende und in eine wahrhaftige, geteilt werde, und wenn man ihn teilt, so muß er notwendig sterben; und so geschieht gerade nichts von dem, was das Gesetz verlangt, welches doch durchaus in Erfüllung gehen soll.«

»Nun so hört denn, mein guter Freund«, sagte Sancho, »dieser Reisende, von dem Ihr sprecht, entweder bin ich ein Dummkopf, oder er hat ebensoviel Recht, zu sterben als zu leben und über die Brücke zu gehen, denn wenn die Wahrheit ihn freispricht, so verdammt ihn ebensogut die Lüge; da die Sache nun so steht, so ist meine Meinung, diesen Herren zu sagen, die Euch hergeschickt haben, daß, da die Gründe,[345] ihn zu verdammen oder freizusprechen, sich einander die Waage halten, sie ihn freilassen sollen, denn es ist immer löblicher, Gutes zu tun als Böses, und diesen Satz wollte ich mit meinem Namen unterschreiben, wenn ich schreiben könnte; ich habe auch hierin nicht aus mir selbst gesprochen, sondern mir kam eine Vorschrift ins Gedächtnis, die mir, nebst vielen anderen, mein Herr Don Quixote den Abend vorher gab, ehe ich als Statthalter in diese Insel kam, daß ich mich nämlich, wenn die Gerechtigkeit zweifelhaft sei, zum Mitleiden neigen sollte, und Gott hat es gefügt, daß ich mich jetzt darauf besonnen habe, weil es hier so unvergleichlich paßt.«

»Das ist wahr«, antwortete der Haushofmeister, »und ich glaube, daß Lycurgus selbst, der den Lakedämoniern ihre Gesetze gab, kein besseres Urteil hätte sprechen können, als der große Pansa jetzt gesprochen hat; und hiermit mag die Audienz für heute geschlossen sein, und ich will Anstalten machen, daß der Herr Statthalter ganz nach seinem Vergnügen speisen könne.«

»Das verlange ich und ehrliches Spiel«, sagte Sancho, »gebt mir zu essen, und dann mögen Prozesse und verwickelte Fälle auf mich herunterregnen, ich will sie alle in die Luft blasen.«

Der Haushofmeister hielt sein Wort, da es ihm eine Gewissenssache schien, einen so verständigen Statthalter Hungers sterben zu lassen, und weil er es auch mit ihm noch in dieser Nacht zu Ende bringen wollte, mit Ausführung des letzten Spaßes, welcher ihm war aufgetragen worden.

Als er nun an diesem Tage gegen die Regeln und Aphorismen des Doktor Tirteafuera gegessen hatte, kam, indessen man den Tisch abdeckte, ein Kurier mit einem Briefe von Don Quixote für den Statthalter. Sancho befahl dem Sekretär, ihn für sich zu lesen, und wenn er nichts darin fände, was geheim bleiben müsse, möchte er ihn laut vortragen. Der Sekretär tat es und sagte, nachdem er ihn durchlaufen hatte: »Allerdings kann man ihn laut vorlesen, denn was der Herr Don Quixote Euer Gnaden hier schreibt, verdient gedruckt und in goldenen Buchstaben aufgezeichnet zu werden; es lautet nämlich folgendergestalt:


Brief des Don Quixote von la Mancha an Sancho Pansa, Statthalter der Insel Barataria

Indem ich Nachrichten von Deinen Unbedachtsamkeiten und albernen Taten zu hören fürchtete, Freund Sancho, höre ich von Deinen Verstandesäußerungen, wofür ich dem Himmel meinen aufrichtigen Dank sage, der ›aus dem Kote die Armen erheben‹ und aus den Dummen Verständige machen kann. Man sagt mir, daß Du regierst, als wenn Du ein Mensch wärst, und daß Du ein Mensch seist, als wenn Du ein Tier wärst, nach der Demütigkeit, mit welcher Du Dich beträgst. Du mußt wissen, Sancho, daß es sich oft geziemt, ja daß es die Würde eines Amtes oft notwendig macht, der Demütigkeit des Herzens zu widerstreben, denn der Schmuck einer Person, welche eine wichtige Stelle bekleidet, muß mit dem übereinstimmen, was sie vorstellt, nicht aber anzeigen, wohin sie von ihren demütigen Neigungen gelenkt wird. Kleide Dich gut, denn ein aufgezierter Block sieht keinem Blocke mehr ähnlich; ich meine nicht, daß Du Kleinodien und Juwelen tragen sollst, auch nicht, daß Du Dich wie ein Soldat anziehst, da Du ein Richter bist, sondern daß Du Dich mit einem Kleide schmückst, wie es Dein Amt erfordert, und daß diese Tracht reinlich und anständig sei. Um die Liebe des Volks zu gewinnen, welches Du regierst, hast Du unter andern zwei Sachen in acht zu nehmen: erstlich, gegen jedermann höflich zu sein, wie ich Dir schon sonst[346] einmal gesagt habe, und zweitens, für den Überfluß der Lebensmittel zu sorgen, denn nichts empört die Herzen der Armen mehr als Hunger und Mangel.

Mache nicht viele Gesetze, und wenn Du welche machst, so sorge dafür, daß sie gut sind, vorzüglich aber, daß sie beobachtet und gehalten werden: denn Gesetze, die nicht beobachtet werden, sind eigentlich nicht da; ja, sie zeigen vielmehr, daß der Regent, welcher Verstand und Gewalt genug hatte, um sie zu geben, nicht Stärke genug besitzt, um sie beobachten zu machen; und die Gesetze, welche drohen, ohne ausgeübt zu werden, sind nicht anders wie der Klotz, der König der Frösche, der sie anfangs erschreckte, den sie aber nachher verachteten und auf ihm herumsprangen. Sei ein Vater der Tugenden und ein Stiefvater der Laster. Sei nicht immer streng, auch nicht immer nachgiebig, sondern wähle das Mittel zwischen diesen beiden Gegensätzen, denn darin besteht der eigentliche Verstand. Besuche die Gefängnisse, die Fleischbänke und die Märkte, denn die Gegenwart des Statthalters an diesen Orten ist von der äußersten Wichtigkeit: sie tröstet die Gefangenen, welche ihre baldige Loslassung erwarten, sie ist ein Schreckbild für die Fleischer, die alsdann richtiges Gewicht geben, und aus derselben Ursache ein Entsetzen der Marktverkäufer. Zeige Dich nicht, wenn Du es auch zum Unglück sein solltest – was ich aber nicht glaube –, geizig, wollüstig oder gefräßig, denn wenn das Volk und diejenigen, welche Dich umgeben, eine bestimmte Leidenschaft an Dir kennen, so werden sie von dort aus auf Dich zielen, bis sie Dich in den Abgrund des Verderbens geschmettert haben. Lies und wiederhole das Lesen, erwäge und erwäge von neuem die Vorschriften und Ermahnungen, die ich Dir schriftlich gab, ehe Du in Deine Statthalterschaft gingst, und Du wirst sehen, wie Du in ihnen, wenn Du ihnen Folge leistest, eine Beisteuer hast, die Dich über viele Schwierigkeiten und Mühseligkeiten hinüberhilft, die den Statthaltern bei jedem Schritte in den Weg treten.

Schreibe an Deine Gebieter und zeige Dich ihnen dankbar; denn die Undankbarkeit ist eine Tochter des Stolzes und eine von den größten Sünden; der Mensch aber, der gegen diejenigen dankbar ist, die ihm Gutes getan haben, zeigt an, daß er es auch gegen Gott sein wird, der ihm so viel Gutes getan hat und immerwährend tut.

Die Frau Herzogin hat einen Expressen mit Deinem Kleide und einem anderen Geschenke an Deine Frau Therese Pansa abgeschickt; wir erwarten stündlich ihre Antwort. Ich bin etwas unpäßlich gewesen von einer gewissen Zerkratzung, die nicht zum Besten meiner Nase diente; doch hatte es nichts zu bedeuten; denn wenn es Zauberer gibt, die mich mißhandeln, so gibt es auch andere, die mich beschützen. Gib mir Nachricht, ob der Haushofmeister, den Du bei Dir hast, wohl mit den Begebenheiten der Dreischleppina zusammenhängt, wie Du argwöhntest, und benachrichtige mich von allem, was Dir begegnet, denn der Weg ist sehr kurz; auch denke ich sehr bald dieses müßige Leben, in welchem ich mich befinde, aufzugeben, denn ich wurde nicht dazu geboren. Mir ist ein Geschäft aufgestoßen, das, wie ich glaube, mir die Ungnade dieser Herrschaft zuziehen wird; aber so sehr mich das kümmert, so kümmert es mich doch nicht, denn wahrlich! wahrlich! mehr liegt mir auf alle Fälle ob, die Pflichten meines Standes zu erfüllen als ihren Beifall zu haben, wie es das Sprichwort ausdrückt: Amicus Plato, sed magis amicus veritas. Ich schreibe Dir dieses Latein, weil ich mir einbilde,[347] daß Du es wohl, seit Du Statthalter bist, gelernt haben wirst. Gott befohlen, er schütze Dich, damit Du von niemandem Bedrängnis erleiden mögest.


Dein Freund

Don Quixote von la Mancha«


Sancho hörte den Brief mit vieler Aufmerksamkeit an, der gelobt und von allen, die ihn gehört hatten, sehr verständig gefunden wurde; Sancho stand schnell vom Tische auf, rief den Sekretär und schloß sich mit diesem in seinem Zimmer ein, um sogleich, ohne es länger aufzuschieben, seinem Herrn Don Quixote zu antworten; er sagte dem Sekretär, daß er alles, ohne etwas zuzusetzen oder auszulassen, so schreiben solle, wie er es ihm vorsagte, dieser tat es auch, und die Antwort, die er schrieb, lautete hierauf folgenderweise:


Brief des Sancho Pansa an Don Quixote von la Mancha

Die Arbeit mit meinem Amte ist so groß, daß ich nicht Zeit habe, mir im Kopf zu kratzen oder mir die Nägel abzuschneiden, die mir deswegen auch so lang gewachsen sind, daß Gott darin ein Einsehen tun mag. Ich sage dies nur, mein allerliebster Herr, damit Ihr Euch nicht darüber verwundert, daß ich Euch bisher noch keine Nachricht gegeben habe, ob es mir in meiner Statthalterschaft wohl oder übel geht, in der ich aber mehr Hunger leide, als da wir noch beide durch Wälder und Einöden zogen.

Vor einiger Zeit schrieb mir der gnädige Herzog und gab mir die Nachricht, daß sich etliche Spione auf diese Insel geschlichen hätten, mich umzubringen, bis jetzt aber habe ich noch keinen entdecken können, außer einen gewissen Doktor, der in diesem Orte besoldet wird, alle Statthalter, die nur herkommen, umzubringen; er heißt der Doktor Pedro Recio und ist aus Tirteafuera gebürtig, woraus Ihr selbst urteilen mögt, ob das nicht ein Name ist, der einem Furcht einjagt, daß man unter seinen Händen sterben wird. Dieser Doktor sagt von sich selber, daß er die Krankheiten nicht kuriert, wenn sie da sind, sondern daß er dem zuvorkommt, daß sie nicht kommen, und die Medizin, die er braucht, ist Hunger und immer wieder Hunger, bis er den Menschen zum bloßen Gerippe heruntergebracht hat, als wenn eine solche Magerkeit nicht schlimmer wäre als das Fieber. Kurz, er bringt mich durch Hunger um, und ich sterbe vor Verdruß, denn wenn ich dachte, in diese Statthalterschaft zu kommen, um warm zu essen und kühl zu trinken, um meinen Leib auf holländischer Leinewand und Federkissen zu pflegen, so muß ich statt dessen Buße tun, als wenn ich ein Eremit wäre, und da ich es nun nicht freiwillig tue, so denke ich, daß mich zu guter Letzt noch gar der Teufel holen wird.

Bisher habe ich noch sowenig Rechtmäßiges bekommen wie Unrechtmäßiges eingenommen, und ich kann nicht begreifen, woran das liegt, denn man hat mir hier gesagt, daß die Statthalter, die auf diese Insel zu kommen pflegen, ehe sie hierher gelangen, von den Einwohnern vieles Geld geschenkt oder geliehen kriegen und daß dieses auch ein gewöhnlicher Gebrauch bei allen sei, die in eine Statthalterschaft ziehen, und es nicht bloß auf der hiesigen Sitte ist.[348]

Als ich in der Nacht die Ronde machte, fand ich ein sehr schönes Mädchen in Mannskleidern und ihren Bruder in Weibertracht; in das Mädchen hat sich mein Speisemeister verliebt und sie in seiner Einbildung zur Frau erwählt, wie er sagt; ich habe mir den jungen Menschen zum Schwiegersohn ausgesucht; heute wollen wir beide unsere Gedanken dem Vater von den zweien vortragen, der ein gewisser Diego de la Llana, ein Edelmann und so alter Christ ist, als man sich nur wünschen kann.

Ich habe die Märkte besucht, wie Ihr mir ratet, und gestern habe ich eine Hökerin gefunden, welche neue Nüsse verkaufte, ich brachte aber heraus, daß sie unter einen Scheffel neuer Nüsse einen andern alter, wurmstichiger und verdorbener gemengt hatte; ich gab sie alle den Schuljungen preis, die sie wohl aussuchen werden, und gebot ihr, in vierzehn Tagen sich nicht auf dem Markte sehen zu lassen; man hat mir gesagt, daß ich brav gehandelt hätte. Was ich Euch sagen kann, ist, daß hier alle Leute meinen, es gäbe kein so böses Volk als die Marktverkäufer, denn alle sind unverschämt, frech und gewissenlos, und ich glaube es selbst, denn ich habe sie auch an anderen Orten so gefunden.

Daß meine gnädigste Herzogin an meine Frau Therese Pansa geschrieben und ihr das Geschenk übersandt hat, wie Ihr mir erzählt, ist mir sehr angenehm, und ich werde mich bemühen, mich zu seiner Zeit dankbar zu erzeigen; küßt ihr doch in meinem Namen die Hände und sagt ihr, daß ich beteuere, sie habe es in keinen zerrissenen Sack gesteckt, wie sie es durch die Tat sehen sollte. Ich wünschte nicht, daß Ihr in Verwickelungen von Unfrieden mit den Herrschaften gerietet, denn wenn Ihr Euch mit ihnen erzürnt, so wird es natürlich zu meinem Schaden ausfallen; und es wäre nicht gut, daß Ihr mir die Ermahnung gebt, dankbar zu sein, wenn Ihr es selber nicht wäret und die viele Gnade, die man Euch erzeigt, und die Freundschaft, mit der man Euch im Schlosse bewirtet hat, vergessen könntet.

Das von der Zerkratzung verstehe ich nicht; ich bilde mir aber ein, daß es wohl wieder eine von den nichtsnutzigen Taten sein wird, womit Euch die bösen Zauberer zu verfolgen pflegen; ich werde es ja erfahren, wenn wir uns wiedersehen. Ich möchte Euch wohl irgend etwas schicken; aber ich weiß nicht, was ich schicken könnte, es müßten einige Zwicker, Kneipzangen oder auch Schröpfer sein, die man auf dieser Insel sehr fein ausarbeitet; wenn aber mein Amt länger währt, so will ich doch suchen, Euch irgend etwas von Gehalt zu schenken. Wenn meine Frau Therese Pansa an mich schreibt, so legt doch das Postgeld aus und schickt mir den Brief, denn ich wünsche von ganzem Herzen zu wissen, wie es in meinem Hause steht und was meine Frau und Kinder machen. Gott erlöse übrigens Euer Gnaden von den schlecht denkenden Zauberern und nehme mich in Ruhe und Frieden aus dieser Statthalterschaft, woran ich aber zweifle, denn ich werde sie wohl nur mit dem Leben verlassen, so wie der Doktor Pedro Recio mit mir umgeht.


Euer gehorsamer Diener

Sancho Pansa, der Statthalter
[349]

Der Sekretär siegelte den Brief und schickte den Kurier sogleich ab; in ebendem Augenblicke machten diejenigen, die mit Sancho Spaß trieben, alle nötigen Anstalten, um ihm von der Statthalterschaft zu helfen. Diesen Abend brachte Sancho damit zu, einige Verordnungen zu machen, die auf die gute Verfassung dessen abzweckten, was er für eine Insel hielt; er befahl nämlich, daß es keine Aufkäufer der Lebensmittel im Staate geben sollte und daß man den Wein verschreiben könne, von wo man wolle, mit der Bedingung, daß der Ort angezeigt werde, von wo er sei, um ihn nach dem Werte und nach seiner Güte zu taxieren; wer ihn aber mit Wasser mische oder ihm einen anderen Namen gebe, solle mit dem Leben gestraft werden; er setzte den Preis alles Lederwerks herunter, vorzüglich der Schuhe, die ihm ausnehmend teuer schienen; er machte für die Dienstboden einen bestimmten Lohn aus, die ohne alle Beschränkung nur ihrem Eigennutze folgten; sehr schwere Strafen bestimmte er für diejenigen, die wollüstige und anstößige Lieder am Tage oder in der Nacht absängen; er befahl, daß kein Blinder ein Wunderwerk in Reimen singen sollte, wenn er nicht einen gültigen Zeugen aufstellen könne, daß es wahr sei; weil er meinte, daß die meisten Wunder, die die Blinden absängen, erdichtet wären und den wahrhaftigen zum Nachteil gereichten; er setzte einen Alguazil über die Armen, nicht daß er sie verfolgen, sondern daß er untersuchen sollte, ob sie arm wären, denn unter dem Scheine des erdichteten Mangels und verstellter Krankheit sind die Bettler Diebe und Trunkenbolde. Kurz, er machte so treffliche Verordnungen, daß sie in jenem Orte noch bis auf den heutigen Tag beobachtet werden und den Namen führen: Die Einrichtungen des großen Statthalters Sancho Pansa.

Quelle:
Cervantes Saavedra, Miguel de: Leben und Taten des scharfsinnigen Edlen Don Quixote von la Mancha. Berlin 1966, Band 2, S. 343-350.
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