[Die Sonn' erhob sich aus der See]

[11] Die Sonn' erhob sich aus der See,

Ging nun zur Rechten auf;

Von Nebeln noch verschleiert, senkt'

Sie links ins Meer den Lauf.


Und der gute Südwind blieb am Wehn;

Doch nicht folgt durch die Luft

Der Vogel treu und schwebt herbei,

Wenn der Matrose ruft.


Ich hatt' ein übel Ding getan;10

Das brachte nimmer Segen.

Sie sagten: Kühn erschlugst du ihn,

Der sich den Süd ließ regen!

Sie alle sprechen: Welch ein Verbrechen,

Der sich den Süd ließ regen!


[11] Herrlich, wie Gottes eignes Haupt,11

Ging auf die Sonn' und lachte!

Sie sagten: Kühn erschlugst du ihn,

Der uns den Nebel brachte!

Den Vogel traf gerechte Straf',

Der uns den Nebel brachte!


Der Wind bläst gut, weiß schäumt die Flut;12

Wir furchen rasch die Wogen.

Wir waren sicher die ersten Schiffer,

Die diese See durchzogen.


Der Wind läßt nach! Rings hangen schlaff13

Die Segel an den Raa'n;

Nur sprechen alle, daß etwas schalle

Doch auf dem Ozean.


Am heißen Kupferfirmament,

Hoch überm Maste, thront

Die glut'ge Sonn' zur Mittagszeit,

Nicht größer als der Mond.


Wir lagen Tage, Tage lang;

Kein Lüftchen rings umher!

Wie ein gemaltes Schiff, so träg,

Auf einem gemalten Meer.


Wasser, Wasser überall!14

Doch jede Fuge klafft;

Wasser, Wasser überall!

Nur was zu trinken schafft!


Die Tiefe selbst verfaulte, – Gott

Im Himmel, gib uns Mut!

Schlammtiere krabbeln zahllos rings

Auf schlamm'ger Moderflut.


Und jede Nacht sahn wirbelnd wir

Die Totenfeuer glühn;

Wie Hexenöl, so flackerte

Die Flut blau, weiß und grün.


[12] Und manchem sagt' im Traum der Geist,15

Der uns gesandt solch Weh:

Neun Faden tief verfolg' er uns

Von jenes Landes Schnee.


Und jede Zunge war verdorrt,

War trocken bis zum Schlunde;

Wir konnten all' nicht sprechen, grad

Als wär' uns Ruß im Munde.


Und Alt und Jung mit finsterm Blick16

Kam auf mich zugegangen;

Den Albatros, den ich erschoß,

Hat man mir umgehangen.


Quelle:
Coleridge, S[amuel] T[aylor]: Der alte Matrose. München 1925, S. 11-13.
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