Dreizehntes Kapitel.

[154] Ich war nun wieder eine alleinstehende Person, aller Ehe- und Freundschaftsbande ledig, denn auch von meinem früheren Gatten, dem Leinwandhändler, hatte ich seit 15 Jahren nichts mehr gehört, und niemand konnte mir es übel nehmen, wenn ich mich jetzt jeder Verpflichtung gegen ihn überhoben glaubte. Außerdem hatte er mir doch selbst gesagt, ich könne annehmen, wenn ich längere Zeit nichts mehr von ihm gehört, er sei nicht mehr unter den Lebenden, und mich wieder verheiraten, wenn sich mir eine Gelegenheit böte.

Nun begann ich, alles, was mir an Vermögen geblieben, zusammen zu zählen. Nach vielen Briefen und manchen Bitten schickte mir mein Bruder, nachdem auch meine Mutter sich für mich verwandt, eine zweite Ladung Güter aus Virginia als Entschädigung für die durchnäßte Ladung, die ich selbst mitgebracht; und zwar verlangte auch er eine allgemeine Quittung, die ich, wenn auch nur ungern, zu geben versprach. Ich ging jedoch so schlau zu Werke, daß ich in Besitz der Güter gelangte, ehe ich[155] das Papier unterzeichnet hatte, und fand dann stets eine Ausrede, um dies auch noch weiter hinauszuschieben, bis ich zum Schluß behauptete, ich müsse meinem Bruder noch einmal schreiben, ehe ich es überhaupt tun könne.

Der Wert der Ladung und das, was mir von früheren Einkünften geblieben, betrug ungefähr 400 Pfd. Dazu kamen die 50 Pfd., die ich zuletzt erhalten, so daß ich im ganzen 450 Pfd. besaß. Außerdem hatte ich einen Goldschmied 100 Pfd. ins Geschäft gegeben. Aber er machte bankrott, und ich verlor 70 Pfd., da die Konkursmasse nicht mehr als 30% ergab. Außerdem besaß ich ein wenig Silberzeug, doch nicht sehr viel. Mit Kleidern und Leinen dagegen war ich gut versehen.

Mit diesem Vermögen also mußte ich in der Welt noch einmal von vorn anfangen. Dazu muß man in Betracht ziehen, daß ich nicht mehr dieselbe Frau war, die ich einst gewesen. Vor allem war ich zwanzig Jahre älter geworden und sah infolgedessen, wie auch infolge der Anstrengungen der Reise nach Virginia und zurück und des Aufenthaltes daselbst, nicht gerade schöner aus. Und obwohl ich kein Mittel unversucht ließ, um mein Aussehen so vorteilhaft wie möglich zu gestalten, – Schminken ausgenommen, zu denen ich mich nie verstehen konnte – war es doch klar, daß zwischen einer Zweiundzwanzig. und einer Zweiundvierzigjährigen ein Unterschied sein mußte.

Ich sann nun auf tausend Wege, mein künftiges Leben zu gestalten, konnte jedoch lange zu keinem Entschluß kommen. Ich ließ es geschehen, daß mich die Welt für etwas mehr hielt, als ich wirklich war, und hatte verbreitet, daß ich Vermögen besitze und sich Güter in meiner eigenen Verwaltung befänden. Diese letzte Behauptung beruhte ja auch auf Wahrheit.

Ich hatte keine Bekannten, und dies war mein schlimmstes Unglück, da ich infolgedessen auch keinen Berater hatte und niemandem, dem ich mich und meine Verhältnisse anvertrauen konnte. Die Erfahrung hatte mich schon gelehrt, daß für eine Frau[156] nächst der Armut der Umstand, keine Freunde zu haben, das größte Übel ist. Ich sage für eine Frau, weil ein Mann sein eigener Ratgeber und Leiter sein kann und weiß, wie er sich in Schwierigkeiten und Geschäften zu benehmen hat. Wenn jedoch eine Frau keine Freunde hat, auf die sie sich verlassen kann, die ihr raten und ihr beistehen, so kann man zehn gegen eins wetten, daß sie verloren ist. Ja, je mehr Geld sie hat, um so größer ist die Gefahr, daß sie übervorteilt und betrogen wird; so wie es mir mit den 100 Pfd. gegangen war, die ich dem Goldschmied anvertraut hatte, dessen Verhältnisse sich schon in Unordnung befanden, ehe er mir mit Versprechungen das Geld ablockte, das ich ihm, da mir niemand widerraten, bereitwilligst gegeben.

Wenn eine Frau so allein und ohne Berater dasteht, kommt sie mir immer vor, wie ein Geldbeutel oder ein Juwel, das auf der Landstraße verloren worden und nun von dem ersten besten, der vorüberkommt, mitgenommen wird. Wenn ein ehrlicher und tugendhafter Mann zufällig der Finder ist, so mag die Sache noch ohne größeres Unglück hingehen, doch wie viel öfter gerät ein solcher Fund in Hände, die sich keinen Skrupel daraus machen, ihn sich anzueignen.

Und dies war nun mein Fall, denn ich war ein verlorenes, führerloses Wesen und hatte niemanden, der mir helfen, raten oder beistehen konnte. Ich wußte ja, worauf ich zielte und was ich erreichen wollte, wußte jedoch nicht, wie ich dieses Ziel mit den direktesten Mitteln erreichen konnte; mich verlangte ja nur danach, in geordnete, sichere Verhältnisse zu kommen, und hätte ich einen guten und ehrenhaften Gatten gefunden, so wäre ich ihm gewiß eine so treue Frau gewesen, wie nur die Tugend selbst ihn sich hätte wünschen können; wenn ich in meinem Leben je anders gehandelt habe, so kam das Laster stets durch die Türe der Notwendigkeit, nie durch die der Neigung zu mir herein. Und ich wußte den Wert eines geordneten Lebens, gerade weil ich es so oft hatte entbehren müssen, zu wohl[157] zu schätzen, um es durch irgend eine törichte Handlungsweise aufs Spiel zu setzen. Im Gegenteil, die Schwierigkeiten und Unregelmäßigkeiten meines vergangenen Lebens hätten mich gewiß eher zu einer besonders guten Hausfrau gemacht. Ich habe ja auch niemals, so oft und so lange ich verheiratet gewesen, meinem Gatten den geringsten Grund zu einem Argwohn oder der kleinsten Unzufriedenheit gegeben.

Doch half mir das jetzt alles nichts. Nirgends fand ich die geringste Ermutigung. Ich wartete, ich lebte so einfach und regelmäßig, wie meine Verhältnisse es verlangten. Und dennoch schmolz mein Kapital dahin. Ich wußte nicht, was ich tun sollte, und das Entsetzen vor dem nahenden Elend faßte mich immer stärker. Ich wußte nicht, wie ich das Wenige, was mir an Geld geblieben, anlegen sollte. Auch hätten mich die Zinsen davon doch nicht unterhalten können, wenigstens nicht in London.

Endlich schien sich etwas zu bieten. In dem Hause, in dem ich wohnte, traf ich eine Dame aus dem Nordland. In ihren Gesprächen mit mir rühmte sie mir stets die billige und einfache Lebensweise ihrer Landsleute; wie wohlfeil und reichlich in ihrer Heimat alle Lebensmittel zu haben seien, welch angenehme Sitten dort herrschten, und ähnliches mehr, so daß ich ihr zum Schluß sagte, sie mache mir beinahe Luft, mich dort niederzulassen. Dann erzählte ich ihr, daß ich Witwe sei und obgleich ich genügend zu leben habe, in dem teuren London dennoch hin und wieder gezwungen sei, mein Kapital anzugreifen, oder jedenfalls nichts zurücklegen könne. Man könne in London ja nicht unter 100 Pfd. leben, wenn man sich nicht jeder Geselligkeit enthalte, sich keine Magd und nicht den geringsten Luxus gestatte und sich ganz in Zurückhaltung begrabe, wie ich es ja, von der Notwendigkeit gezwungen, auch tue.

Ich muß hinzufügen, daß diese Dame ebenfalls, wie jedermann sonst, glaubte, ich besitze ein ansehnliches Vermögen, d.h. wenigstens 3 oder 4000 Pfd., wenn nicht mehr, und habe alles zu meiner Verfügung.[158] Als sie mich nun geneigt sah, in ihre Heimat zu ziehen, wurde sie plötzlich doppelt liebenswürdig zu mir, und ich erfuhr bald, daß in der Nähe von Liverpool ihre Schwester und ihr Bruder lebten, der ein sehr begüterter Herr sei und auch in Irland ein großes Gut besitze. Dann sagte sie, sie wolle in zwei Monaten in ihre Heimat zurückkehren, und wenn ich sie dahin begleite, so solle ich für einen Monat, oder so lange es mir gefiele, ihr willkommener Gast sein. Wenn mir der Aufenthalt zusage und ich die Lebensweise günstig fände, so wolle sie es gern unternehmen, mich einer angenehmen Familie zu empfehlen, bei der ich Wohnung und Aufenthalt zu meiner Zufriedenheit finden werde.

Wenn die Frau meine wirklichen Verhältnisse gekannt hätte, würde sie es sich gewiß nicht so sauer haben werden lassen, mich armes Geschöpf zu bereden, mit ihr zu kommen. Denn meine Lage war da mals wirklich verzweifelt; und da ich mir sagte, sie könne überhaupt nicht viel schlechter werden, machte ich mir auch nicht lange Kummer darüber, was werden würde, wenn ich auf den Plan einging, und ließ mich nur noch ein bißchen drängen und die vielen Beteuerungen wahrer Freundschaft seitens der Dame erst einmal ruhig über mich ergehen, um dann meine endgültige Einwilligung zu geben. Ich verschaffte mir alles, was für die Reise nötig war, obgleich ich noch nicht einmal recht wußte, wohin es gehen sollte.

Nun geriet ich aber wieder in eine neue Verlegenheit. Das Wenige, das ich in der Welt besaß, bestand in Geld, ausgenommen, wie ich schon vorher erwähnte, das bischen Silberzeug, mein Leinenzeug und meine Kleider. Haushaltungsgeschirr und derlei Gegenstände besaß ich fast gar nicht, da ich stets eingemietet gewohnt hatte. Und nun war niemand da, dem ich mein besagtes kleines Baarvermögen hätte anvertrauen, oder an den ich mich deswegen auch nur um Rat hätte wenden können. Ich dachte wohl an die Bank und andere Geldgeschäfte in London, wußte jedoch keine bekannte[159] Seele, die mich an den richtigen und sichern Ort geführt hätte. Und die Mäntel, Zinsscheine und Banknoten bei mir zu behalten, schien mir äußerst unsicher zu sein. Wenn ich diese Papiere verlor, war auch mein Geld und damit ich selbst verloren. Wie leicht konnte es nicht geschehen, wenn man mich in ihrem Besitze wußte, daß man mich auf der Reise überfiel, beraubte und ermordete! Kurz und gut, ich wußte nicht, was zu tun sei.

Da kam ich eines Tages auf den Gedanken, mich nach einer Bank zu begeben, auf der ich mir schon früher des öfteren die Zinsbeträge einiger meiner Papiere abgeholt, wobei ich bemerkt zu haben glaubte, daß der Angestellte, mit dem ich zu tun gehabt, ein außerordentlich ehrlicher Mann sei. War er doch einmal sogar so gewissenhaft gewesen, mir eine Summe Geldes, die ich irrtümlicherweise nicht eingestrichen, und die er sich gefahrlos hätte aneignen können, nachzuschicken.

Zu ihm also begab ich mich und fragte ihn, ob er sich der Mühe unterziehen wolle, mein Ratgeber zu sein. Ich sei eine arme ganz alleinstehende Witwe und wisse mir in einer Angelegenheit garnicht zu helfen. Er antwortete mir, wenn ich seine Meinung in irgend welchen geschäftlichen Angelegenheiten wünsche, so wolle er sie mir nach bestem Wissen und Gewissen geben und tun, was in seinen Kräften stünde, damit mir kein Unrecht widerfahre, noch Schaden erwüchse. Er könne mir jedoch auch die Bekanntschaft eines ehrenhaften tüchtigen Mannes verschaffen, der ebenfalls Angestellter in einem Bankgeschäfte sei, ein gutes Urteil besitze und auf dessen Ehrlichkeit ich mich unbedingt verlassen dürfe. Er fügte noch hinzu, er übernehme die volle Verantwortung für ihn, und für jeden Schritt, den dieser Mann tue; »wenn er sie auch nur um einen Pence übervorteilt, Madam,« sagte er, »so soll es auf meine Kappe kommen. Überdies macht sich dieser Mann ein Vergnügen daraus, Leuten in solchen Fällen beizustehen; er tut es aus Nächstenliebe.«[160]

Ich antwortete ihm nicht gleich auf diesen Vorschlag, sondern meinte erst nach einer nachdenklichen Pause, ich vertraue mich doch lieber ihm an, denn von seiner Ehrlichkeit hätte ich den besten Beweis. Wenn er mir aber nicht zu Diensten sein könne, würde ich mich gewiß gern an jemand wenden, den er mir empfehle, viel lieber als an jeden anderen.

»Ich glaube gewiß, Madam, daß Sie mit meinem Freunde ebenso zufrieden sein werden, wie Sie es mit mir gewesen wären; und er ist auch imstande, Ihnen jederzeit gründlich beizustehen, was ich leider von mir nicht sagen kann.«

Ich glaube, er hatte damals alle Hände voll in seinem eigenen Geschäfte zu tun, und das Versprechen abgeben müssen, sich nicht mit anderen Geschäftsangelegenheiten, als denen, die seine Bank betrafen, abzugeben. Er fügte noch hinzu, sein Freund werde selbstverständlich für seinen Rat und seine Hilfe nichts verlangen, und dieser Umstand bestimmte und ermutigte mich nicht zuletzt, mich an diesen Mann zu wenden.

Er bezeichnete mir noch eine Stunde nach Bankschluß für denselben Abend, in der ich ihn und seinen Freund treffen könne. Dieser begann dann gleich von meinen geschäftlichen Angelegenheiten zu sprechen, und ich sah mit Befriedigung, daß ich es mit einem ehrlichen Manne zu tun hatte, es stand ihm auf dem Gesichte geschrieben, und auch sein Ruf war, wie ich später hörte, überall so gut, daß jedes Bedenken ausgeschlossen war.

Bei diesem Zusammentreffen, bei dem ich nochmals meine Angelegenheiten auseinanderlegte, bat er mich, am folgenden Tage zu einer Besprechung wiederzukommen, mittlerweile könne ich mich ja auch nach ihm erkundigen; ich wußte allerdings nicht, wie ich dies anstellen sollte, da ich ja gar keine Bekannten hatte.

Unserer Absprache gemäß, begab ich mich dann am folgenden Tage zu ihm und redete nun eingehender über meine Angelegenheiten. Ich legte ihm meine Verhältnisse des Längeren auseinander,[161] erzählte ihm, daß ich eine aus Amerika herübergekommene, vollständig allein dastehende Witwe sei, daß ich etwas Geld, doch nur sehr wenig besitze, und so sehr fürchte, dies wenige auch noch zu verlieren, da ich tatsächlich niemanden habe, den ich vertrauensvoll bitten könne, mein kleines Vermögen für mich sicher anzulegen. Jetzt beabsichtige ich, mich nach Nord-England zu begeben, da ich dort billiger leben könne, und mein Kapital nicht weiter anzugreifen brauche. Ich wolle mein Geld gern in einer Bank deponieren, fürchte mich jedoch, die Papiere mit mir herumzuführen, und wisse auch nicht, wie ich es anfangen solle, meine Zinsen, ohne die Papiere stets persönlich vorweisen zu müssen, von Nord-England aus abzuheben.

Darauf sagte er mir, ich solle das Geld als Depot in eine Bank niederlegen, und zwar mit der Vereinbarung, daß ich jederzeit berechtigt sei, es wieder ganz oder teilweise abzuheben; ich brauche dann vom Norden her an den Kassierer bloß die Nummer und Chiffren, unter denen mein Depot eingetragen sei, zu schreiben, und habe mein Geld jederzeit zu meiner Verfügung. Für eine derartige Einlage zahle die Bank allerdings keine Zinsen; doch könne ich ja eine für eine gewisse Zeit gesperrte Einlage machen, allerdings würde es dann immerhin schwieriger sein, die halbjährliche Dividende zu erhalten, wenn ich sie nicht persönlich abhole, oder einen Freund vorschiebe, auf dessen Namen das Kapital eingetragen werden könne, und der folglich auch die Zinsen für mich abzuheben berechtigt sei; fände sich ein solcher Freund nicht, so biete die Angelegenheit nach wie vor ihre Schwierigkeiten; und damit sah er mir gerade ins Gesicht und lächelte ein wenig. Zum Schluß sagte er:

»Weshalb suchen Sie sich nicht einfach einen tüchtigen Steuermann, Madam, der Sie samt ihrem Geld nimmt und damit aller Unruhe für Sie ein Ende macht?«

»Und meinem Kapitälchen auch,« erwiderte ich. »Ich finde, ich habe auf der einen Seite soviel zu riskieren, wie auf der anderen.«[162]

Im geheimen aber sagte ich noch zu mir selbst, wenn Sie mir einen ehrlichen Antrag machten, mein Lieber, so würde ich sehr ernstlich darüber nachdenken, ehe ich Nein sagte.

Er deutete dann auch noch einiges derart an, und ich dachte schon ein oder zweimal, er werde Ernst machen, als ich zu meiner Betrübnis vernahm, daß er schon eine Frau habe. Als er mir dies sagte, schüttelte er den Kopf dazu und fuhr bedauernd fort, er habe, wie gesagt, eine Frau und doch eigentlich wieder keine. Ich dachte schon, er befinde sich in derselben Lage, in der mein verflossener Liebhaber gewesen, und seine Frau sei wahnsinnig, oder dergleichen.

Wir sprachen jedoch auch bei dieser zweiten Zusammenkunft nichts Endgültiges, er sagte mir, seine Zeit sei augenblicklich sehr beschränkt, und er bitte mich, ich möge nach der Geschäftszeit zu ihm in sein Haus kommen, dann wolle er bestimmen, auf welche Weise mein Kapital sicher anzulegen sei. Ich versprach ihm, zu kommen. Er schrieb mir den Weg dorthin auf, und ehe er mir den Zettel übergab, las er ihn mir vor und sagte: »Da also wohne ich, wenn Sie mir die Ehre antun und sich mir anvertrauen wollen.«

Ich antwortete ihm, ich wolle kommen, denn ich glaubte, ihm könne ich mich ganz gewiß anvertrauen, er habe ja übrigens eine Frau, und ich kein Verlangen nach einem Gatten. Mein Geld vertraue ich ihm ja so wie so an, und wenn dies verloren ginge, wäre es mir ganz gleich, wo ich selbst bliebe.

Er sagte darauf im Scherz noch einige Dinge, die sehr angenehm und liebenswürdig klangen, und die ich sehr gerne gehört hätte, wenn sie im Ernst und von einem unverheirateten Manne gesprochen worden wären. So aber nahm ich nur den Zettel mit der Weisung des Weges an mich und versprach noch einmal, am selben Abend um sieben Uhr in seiner Wohnung zu sein.

Als ich dann bei ihm war, machte er mich zunächst mit mehreren Arten von Geldplazierungen[163] bekannt, erklärte mir, wie ich mein Geld anlegen könne, so daß es mir auch Zinsen einbringe; doch bot sich noch immer die eine oder andere Schwierigkeit, so daß keine Art und Weise eine ganz untrügliche Sicherheit darzubieten schien. Ich sah, daß der Mann so uneigennützig und ehrlich war, wie ich es mir nur wünschen und daß ich mein Geld keinen besseren Händen anvertrauen konnte. Ich sagte ihm denn auch mit großer Freimütigkeit, daß ich noch nie einen Mann oder eine Frau getroffen, die mir Vertrauen erweckt, daß ich jedoch empfinde, mit welch uneigennütziger Sorgfalt er meine Angelegenheit führe, daß ich ihm also das Wenige, was ich hätte, mit ruhigem Herzen anvertraue, wenn er sich dazu verstehen wolle, der Steuermann einer armen Witwe zu sein, die ihm kein Gehalt geben könne.

Er lächelte, erhob sich, machte eine respektvolle Verbeugung vor mir und sagte, es freue ihn sehr, daß ich eine solche Meinung von ihm habe; er werde mich nicht täuschen, sondern alles, was in seinen Kräften stehe, tun, um mir behilflich zu sein, und nicht die geringste äußere Erkenntlichkeit erwarten. Immerhin dürfe er mein Vertrauen nicht so einfach hinnehmen, denn angenommen den nicht unwahrscheinlichen und nicht wünschenswerten Fall, ich käme vor ihm zum Sterben, so hätte er die Scherereien mit meinen Erben, die ihn der Eigennützigkeit anklagen könnten; und er hasse nichts mehr, als derartige Auseinandersetzungen.

Ich antwortete ihm, daß ich diese Einwürfe bald und ohne Schwierigkeit zunichte machen könne. Wenn ich den mindesten Argwohn gegen ihn hätte, brauchte ich ihm ja jetzt meine Angelegenheit gar nicht anzuvertrauen; und merke er später jemals, daß ich ihn verdächtige, so könne er mir seine weitere Hilfe eben verweigern. Und was die Erben angehe – nun, so hätte ich in England weder Bekannte noch Verwandte, weder Erben noch also auch einen Testamentsvollstrecker; er sei mein einziger, ich lächelte ihn an und fuhr dann fort: ändern aber, davon könne er überzeugt sein, würde ich[164] meinen Willen nicht; nach meinem Tode solle vielmehr alles ganz bestimmt sein Eigentum werden, denn er verdiene es um mich durch seine Ehrlichkeit und Treue, von der ich ganz und gar überzeugt sei.

Darauf änderte sich seine Miene, und er fragte mich, wie ich eigentlich dazu komme, ihm so viel Vertrauen und Wohlwollen entgegen zu bringen? Und mit einem Ausdruck, der halb fröhlich, halb betrübt schien, fügte er seufzend hinzu, er wünsche von ganzem Herzen, noch ein Junggeselle zu sein!

Ich lachte auf und antwortete, da ich ja wisse, daß er keiner mehr sei, solle er sich nur keinen falschen Hoffnungen hingeben, oder gar glauben, ich beabsichtige mit meinem Anerbieten irgend etwas ... O nein, ich wolle ihn wahrhaftig nicht zu Wünschen bewegen, die ihm, dem Verheirateten, nicht wohl anstünden.

Darauf antwortete er: »Ach, verheiratet – Gewiß, ich habe eine Frau und ich habe auch wieder keine; nein, es wäre wirklich keine Sünde, wenn ich mir wünschte, sie am liebsten am Galgen zu sehen!«

»Ich kenne Ihre Familienverhältnisse ja nicht, mein Herr,« entgegnete ich darauf, »nur glaube ich auf keinen Fall, daß man seiner Frau den Tod an den Hals wünschen darf.«

»Aber ich sage Ihnen doch,« rief er, »es ist meine Frau und ist es auch wieder nicht! Sie wissen ja gar nicht, wer und was ich in dieser Ehe bin und was sie ist –«

»Sicherlich nicht,« entgegnete ich, »ich weiß weiter nichts von Ihnen, als daß Sie ein ehrlicher Mann sind, dem ich deshalb mein ganzes Vertrauen schenke.«

»Schön, ein ehrlicher Mann,« gab er bitter zurück, »das bin ich wohl auch, aber sonst bin ich noch etwas mehr. Ein Hahnrei bin ich, um es Ihnen gerade heraus zu sagen, und sie, die sich meine Gattin nennen darf, ist ein gewöhnliches Hurenmensch.«

Er hatte die letzten Worte, wohl um ihnen das Harte zu nehmen, schließlich doch noch in einem[165] halb scherzhaften Tone herausgebracht, von einem Lächeln begleitet, dem man anmerkte, wie peinlich und betrübend es ihm war, in solchen Ausdrücken von seinem Familienleben reden zu müssen.

»Das würde Ihre Lage allerdings ändern, was Sie da andeuten,« entgegnete ich, »und ich gebe Ihnen zu, wenn Ihre Frau wirklich unehrlich gegen Sie ist, so haben Sie das Recht, sie nicht länger als Ihre Frau, Ihre Gattin anzuerkennen.«

»O, ich gehe auch schon lange mit der Absicht um, mich von ihr loszumachen, denn ich sage mir, bessern wird sie sich doch nicht, und wer einmal liederlich ist, wird immer liederlich bleiben.«

Ich lenkte das Gespräch auf etwas anderes und fing wieder vom Geschäftlichen zu reden an. Doch sah ich bald, daß er mir jetzt keine Aufmerksamkeit mehr schenkte. So ließ ich ihn denn gewähren und mir von seinem Leben daheim weiter erzählen; doch würde es zu weit führen, wenn ich hier alle Einzelheiten wiederholen wollte. Das Wesentliche war, daß die Frau einmal während einer längeren Abwesenheit ihres Mannes zwei Kinder von einem Offizier bekommen hatte. Als der Mann darauf nach England zurückkehrte und den Betrug erfuhr, verzieh er ihr jedoch, machte ihr auch keine langen Vorwürfe, sondern nahm sie auf ihre Bitten hin wieder zu sich in sein Haus und behandelte sie so gut wie vordem. Sie aber lohnte ihm damit, daß sie sehr bald darauf mit dem Lehrling eines Leinwarenhändlers durchging, nachdem sie den abermals Betrogenen erst noch tüchtig und, wo sie nur konnte, bestohlen hatte.

»Denn sehen Sie, Madam,« fuhr der bedauernswerte Gatte in seiner Erzählung fort, »nicht die Not in ihrem Hause, wie das ja sonst wohl der Fall ist, machte sie zur Ehebrecherin, zur Dirne, zur Hure, nein, ihre angeborene Neigung zum Laster tat das.«

Ich hatte Mitleid mit ihm und wünschte jetzt selber, daß er sie los werden möchte. Doch sagte ich nichts, vielmehr versuchte ich wieder, von Geschäftlichem[166] zu reden. Er aber ging nun erst recht nicht mehr auf meine Verhältnisse ein und blieb bei den seinen, sah mich eine Weile still und ernsthaft an und sagte dann: »Sehen Sie, Madam, Sie kamen zu mir, um sich Rat bei mir zu holen, und Sie können überzeugt sein, daß ich Ihnen so treulich wie einer Schwester beistehen werde. Doch nun hat es sich gefügt, daß ich Ihnen von meinen Bedrängnissen sprechen konnte – und ich komme zu Ihnen, um Sie um Ihren Rat für mich zu bitten: Sagen Sie mir, was soll ich mit dem Weibsstück anfangen? Was soll ich tun, um mir Gerechtigkeit zu verschaffen? und die Möglichkeit, eine andere Frau und damit noch einmal Glück in mein Haus zu bekommen?«

»Ja, Herr,« entgegnete ich, »Ihr Fall ist doch wohl zu vertraulicher Art, als daß Ihnen ein dritter, als daß ich Ihnen raten könnte. Übrigens, da Ihre Frau Ihnen durchgegangen ist, sind Sie sie doch damit schon einfach los? Denn noch einmal zurückgekehrt ist sie Ihnen doch wohlso wenig, wie Sie sie noch einmal wieder bei sich aufnehmen würden?! Nun also – was wollen Sie mehr?«

»O, wenn sie auch weg ist,« erwiderte er, »so ist sie deshalb doch noch meine Frau, führt meinen Namen –«

»Sie meinen, daß sie auf diesen Namen noch Schulden machen könnte?« entgegnete ich und fuhr fort: »Gewiß, das könnte sie; aber das Gesetz gibt Ihnen doch genug Möglichkeiten an die Hand, derlei zu verhindern. Sie brauchten nur einfach eine öffentliche Bekanntmachung zu veranlassen, und es wird sich jeder Kaufmann hüten, Ihrer Frau auf Ihren Namen Kredit zu gewähren.«

»Von dieser Seite der Angelegenheit rede ich eigentlich nicht. Ich möchte sie nur gern los sein, um wieder heiraten zu können.«

»Nun denn, mein Herr,« sagte ich, »so müssen Sie sich eben von ihr scheiden lassen. Wenn Sie das, was Sie sagen, beweisen können, so wird es[167] Ihnen nicht schwer werden, Ihre Freiheit wieder zu erlangen.«

»Es ist aber sehr langwierig und teuer obendrein,« sagte er.

»Nun,« entgegnete ich darauf, »wenn Sie eine Frau bekommen können, die Sie gern haben, so dürfte das doch nicht so schlimm sein; und im übrigen glaube ich, Ihre Gattin wird Ihnen die Freiheit gar nicht streitig machen, die sie selbst für sich in Anspruch nimmt.«

»Ach,« sagte er, »es wird nur sehr schwer sein, eine anständige Frau zu bewegen, mich zu nehmen; und was die andere Sorte anbetrifft, so habe ich von denen längst genug und keine Luft, mich weiter mit solchen Weibsen abzugeben.«

Es kam mir in den Sinn, daß ich sofort auf seine Wünsche eingegangen wäre, wenn er mir nur einen ordentlichen Antrag gemacht hätte. Doch sagte ich dies natürlich nur zu mir selbst und erwiderte ihm: »Sie verschließen ja aber auch jeder anständigen Frau die Tür, da Sie ja alle, die auf Ihre Wünsche eingehen, für nicht ehrenhaft halten.«

»Wenn Sie mich davon überzeugen könnten, daß mich eine ehrenhafte Frau nimmt, würde ich natürlich zugreifen.« Und ganz plötzlich fragte er mich: »Wollen Sie mich, Madam?«

»Nach allem, was Sie gesagt haben, ist die Frage nicht sehr höflich. Damit Sie jedoch noch nicht meinen, ich wolle mich drängen lassen, antworte ich Ihnen hiermit klar und deutlich: Nein – ich nicht! Meine Angelegenheiten beziehen sich auf etwas anderes, mein Herr, und ich hätte nicht geglaubt, daß Sie meine ernstliche Bitte und meine traurige Lage zu einer Komödie benutzen würden.«

»Aber Madam,« antwortete er mir, »meine Lage ist ebenso bedrängt wie Ihre; und ich habe Rat ebenso nötig, wie Sie; und ich glaube, wenn ich nicht bald Trost finde, werde ich noch trübsinnig werden. Jedenfalls weiß ich nicht, was ich tun soll.«

»In Ihrem Falle ist es doch leichter, Rat und Hilfe zu finden, als in meinem.«[168]

»So sprechen Sie doch, ich bitte Sie darum, Sie machen mir ja wieder Mut.«

»Ihr Fall liegt sehr einfach, Sie können rechtmäßig geschieden werden und ehrenhafte Frauen genug finden, denen Sie Ihren Antrag machen können. Wir sind unserer ja nicht so wenig, als daß es einem Mann an einer Frau fehlen könnte! Nicht wahr?«

»Also,« begann er wieder, »ich will Ihrem Rat folgen. Darf ich Ihnen vorher eine ernsthafte Frage stellen?«

»Jede, die Sie wollen,« antwortete ich, »ausgenommen die eine, die Sie vorhin getan.«

»Diese Antwort genügt mir nicht,« entgegnete er, »denn gerade diese Frage wollte ich wiederholen.«

»Und gerade auf diese habe ich Ihnen schon geantwortet. Halten Sie mich übrigens für so töricht, daß ich Ihnen eine solche Frage im Voraus beantworten würde? Könnte irgend eine Frau dann noch glauben, Sie meinten es ernsthaft, oder annehmen, sie beabsichtigten etwas anderes, als sich über sie lustig zu machen?«

»Nun, nun,« sagte er, »ich will mich durchaus nicht über sie lustig machen. Ich rede vollständig im Ernst und bitte Sie, das zu bedenken.«

»Aber mein Herr,« entgegnete ich sehr ruhig, »ich kam doch in meinen eigenen Geschäften zu Ihnen und bitte Sie noch einmal, mich wissen zu lassen, ob Sie mir einen Rat zu erteilen vermögen?«

»Ich werde Ihnen darauf besser antworten können, wenn Sie das nächste Mal wiederkommen.«

»Sie haben es mir unmöglich gemacht, noch einmal wieder zu kommen,« entgegnete ich.

»Wieso?« fragte er und sah sehr überrascht aus.

»Weil Sie vielleicht denken könnten, ich besuchte Sie um ihrer vorigen Frage willen.«

»Sie müssen mir dennoch versprechen, mich wieder aufzusuchen,« rief er. »Ich will mich dafür verpflichten, nichts mehr von der Angelegenheit zu reden, bis ich die Scheidung erlangt habe. Dafür bitte ich Sie, dann aber auch eine Antwort für mich[169] in Bereitschaft zu haben, denn Sie sind die Frau, die ich will, oder ich will mich überhaupt nicht scheiden lassen. Das schulde ich Ihnen schon allein Ihrer unerwarteten Güte halber ... doch habe ich auch noch andre Gründe.«

Es gab nichts auf der Welt, das ich lieber gehört hätte, als diese Worte. Doch wußte ich, der sicherste Weg, ihn festzuhalten, war, mich – so lange die Erfüllung meiner Wünsche noch in so weiter Ferne lag – seinen Bitten abgeneigt zu zeigen ... und ferner wußte ich, daß es noch immer Zeit war, auf seine Vorschläge einzugehen, wenn die Umstände es auch wirklich gestatteten, unsere Pläne in die Tat umzusetzen.

So antwortete ich ihm denn sehr respektvoll, es sei ja noch immer Zeit, die Dinge ernsthaft in Erwägung zu ziehen, wenn er in der Lage sei, nach eigenem Willen zu handeln. Mittlerweile wolle ich mich jedoch in möglichster Entfernung von ihm halten. Er werde schon Objekte finden, die ihm vielleicht noch besser gefielen als ich.

Damit brachen wir unser Gespräch einen Augenblick ab, und er verlangte nur noch die Zusage von mir, am anderen Tage in meiner eigenen Angelegenheit wieder zu ihm zu kommen. Nach vielem Drängen ließ ich mich denn auch dazu bereitfinden, obwohl es, wenn er es hätte sehen können, dieser Hartnäckigkeit seinerseits gar nicht bedurft hätte.

Ich besuchte ihn also am nächsten Abend wieder und ließ mich dabei von der Magd meiner Wirtsleute begleiten, damit er glauben solle, daß ich mir den Luxus einer Bedienten erlauben könne. Er wollte zuerst, die Magd sollte den ganzen Abend über auf mich warten, doch zeigte ich mich damit nicht einverstanden und trug ihr auf, wegzugehen und mich gegen neun wieder abzuholen. Er verbat sich dieses jedoch, indem er sagte, er werde mich selbst sicher nach Hause begleiten, was mir garnicht angenehm war, da ich annehmen mußte, er wolle auf diese Weise nur erfahren, wo ich wohnte, um sich nach meinem Charakter und meinen Verhältnissen erkundigen zu[170] können. Immerhin ging ich auf das Wagnis ein, denn was die Leute dort von mir wußten, konnte mir schließlich nur zum Vorteil gereichen, da mein Leumund dahin ging, ich sei eine Frau mit etwas Vermögen und eine ehrenhafte, vernünftige Person. Ob dies in der Hauptsache nun auf Wahrheit beruhte oder nicht – Sie werden jedenfalls bald sehen, wie notwendig es für jede Frau ist, die in der Welt etwas erreichen will, im Ruf der Tugendhaftigkeit zu stehen, selbst wenn sie nicht mehr die geringste besitzt.

Ich sah mit vieler Freude, daß er ein Abendessen hatte bereiten lassen. Und an gewissen Einzelheiten merkte ich bald heraus, daß er überhaupt gut leben mußte, wie denn auch sein Heim sehr hübsch eingerichtet war. Ich freute mich doppelt darüber, weil ich schon alles als mein Eigentum betrachtete, in dem ich schalten und walten würde.

Wir waren natürlich sofort bei unserem alten Thema, und er rückte alsbald klar mit seinen Absichten heraus. Zunächst beteuerte er mir seine Zuneigung – nun, und an der zu zweifeln hatte ich wirklich keinen Grund. Dann erzählte er mir des Langen und Breiten, wie diese Zuneigung ihn gleich von dem ersten Augenblick an erfaßt habe, da er mit mir gesprochen, und lange bevor ich ihm noch meine Angelegenheiten anvertraut – worauf ich mir dachte, daß es ziemlich gleichgültig sei, wann sie begonnen habe, wenn sie nur haltbar wäre. Weiter erzählte er, wie sehr das Anerbieten, das er mir gemacht, mich ihm noch näher gebracht habe – und ich dachte in meinem Sinn, wie sehr es das auch gesollt habe, zumal ich ja anfänglich glaubte, er sei ein alleinstehender Mann.

Nachdem wir gespeist hatten, bot er mir Wein an und drängte mich, zwei oder drei Glas zu trinken. Ich lehnte es zuerst vorsichtig ab, trank dann aber doch im Laufe des abends eins oder zwei.

Beim Weine nun sagte er mir, er habe mir einen Vorschlag zu machen, und bitte mich, denselben nicht übel zu nehmen, auch wenn ich nicht auf ihn eingehen wolle.[171]

Ich entgegnete ihm, ich hoffe, er werde mir keinen unehrenhaften Vorschlag machen, besonders nicht hier in seinem Hause. Wenn er dies etwa vorhabe, so möge er lieber schweigen, damit ich ihm keine Antwort geben müßte, die zu der Achtung, die ich ihm bis jetzt und besonders dadurch bewiesen, daß ich in sein Haus gekommen, schlecht passen würde. Es sei wohl überhaupt besser, ich bräche jetzt auf, und damit zog ich auch schon meine Handschuhe an und machte mich zum Gehen fertig ... ich hatte dabei natürlich durchaus nicht die Absicht, wirklich zu gehen, so wenig wie er den Willen hatte, mich gehen zu lassen.

Er bestürmte mich denn auch sofort, doch nur nicht schon vom Gehen zu sprechen, und beteuerte, er sei weit davon entfernt, mir etwas Unehrenhaftes vorzuschlagen; wenn ich dies jedoch fürchte, wolle er kein Wort mehr davon sagen.

Das wollte ich natürlich ebensowenig, und so lenkte ich denn ein und sagte: ich sei bereit, alles zu hören, was er zu sagen habe, denn ich verließe mich darauf, daß er nichts seiner unwürdiges vorbringen werde.

Worauf er mit folgendem Vorschlag herausrückte: Ich solle ihn heiraten, wenn er die Scheidung von seiner Frau, dem Hurenmensch, auch noch nicht erlangt habe. Und um mir zu beweisen, wie ehrenhaft er alles meine, verspreche er mir, er wolle nie verlangen, ich solle mit ihm leben oder gar bei ihm schlafen, bis er das Urteil gegen seine Frau tatsächlich in der Hand habe.

Ich war mit diesem Vorschlag an sich natürlich durchaus einverstanden, doch hielt ich es für richtiger, erst noch ein wenig die Spröde, ja, Verstimmte zu spielen. Mit ziemlicher Lebhaftigkeit wies ich ihn deshalb als doch nicht so ganz ehrenhaft zurück und hielt entgegen, ein derartiges Versprechen könne schließlich nur die Wirkung haben, daß wir beide in große Schwierigkeiten gerieten ... denn, wenn er die Scheidung nun nicht durchsetzte, was dann? Wir könnten dann die Ehe, die wir formell[172] eingegangen, weder auflösen noch andrerseits offiziell werden lassen! Er möge sich nur einmal vorstellen, in welch eigentümliche Lage wir beide geraten würden, wenn es ihm tatsächlich nicht gelänge, ein Scheidungsurteil zu erstreiten!

Ich überzeugte ihn denn wohl auch schließlich, daß ein solches Übereinkommen, wie er es mir da angeboten, einstweilen keinen Sinn habe.

Er kam jedoch gleich wieder mit einem anderen Vorschlage und suchte mich zu überreden, dann doch wenigstens einen Kontrakt zu unterzeichnen, in welchem ich versprach, in dem Augenblick seine Ehefrau zu werden, in dem er das Scheidungsurteil in den Händen haben werde; sei dies nach einer bestimmten Zeit nicht der Fall, so solle ich meines Versprechens los und ledig sein.

Ich antwortete ihm, dieser Vorschlag sei zweifellos schon weit vernünftiger als der vorige; da ich mir aber jetzt sagen müsse, er nehme unser beider Zukunft so ernst, wie ein Mann sie nur nehmen könne, so wolle ich mich auch nicht sofort entscheiden, sondern den Plan erst reiflich bedenken. Ich spielte also mit meinem Bewerber ungefähr so wie ein Angler mit der Forelle. Jetzt fand ich, daß er fest genug angebissen hatte, und brachte es sogar fertig, über diesen neuen Vorschlag mit ihm in einer nicht ganz ungefährlichen Weise zu scherzen; er wisse ja so wenig von mir, sagte ich nämlich, er müsse sich doch auch erst nach mir erkundigen – und derlei mehr.

Schließlich gestattete ich ihm, mich zu meiner Wohnung zurückzubegleiten, forderte ihn jedoch nicht auf, einzutreten, weil ich, wie ich nicht verfehlte zu bemerken, dies nicht für »passend« hielte.

So schob ich also die Unterzeichnung des Kontraktes hinaus; und zwar aus dem sehr einfachen Grunde, weil die Dame, die mich eingeladen, mit ihr nach Lancashire zu gehen, immer fester auf meiner Zusage bestand. Sie versprach mir dort ein so schönes, billiges Leben und so viel andere gute Dinge, daß ich der Luft nicht widerstehen konnte,[173] zum mindesten einmal zu erkunden, wie es dort oben war und was sich mir bieten würde; vielleicht konnte ich mich da noch ganz anders verbessern? und ich würde mir dann wirklich kein Gewissen daraus machen, meinen braven Spießbürger aufzugeben; ich liebte ihn ja wohl nicht so sehr, um ihn nicht mit Freuden für den ersten besten Reicheren sitzen zu lassen, wo er saß.

Also wie gesagt, ich drückte mich zunächst wohlweislich um den Kontrakt herum, sagte ihm, ich müsse ins Nordland verreisen, er werde jedoch bald erfahren, wohin er mir schreiben solle; als genügenden Beweis meiner unwandelbaren Gesinnung, all meiner Hochachtung und meines Vertrauens, hinterlasse ich ihm und seiner Sorge ja fast mein ganzes Besitztum. Auch gab ich ihm mein Wort, sobald ich von ihm gehört, er habe die Scheidung erlangt, würde ich unverzüglich nach London zurückkehren, und dann wollten wir weiter über unsere Heirat reden und sie ernsthaft betreiben.

Ich ging mithin, wie ich gestehen muß, mit einer niederträchtigen Absicht auf die Reise, war jedoch, wie die Folge zeigen sollte, aus noch viel schlimmeren Beweggründen zu ihr veranlaßt worden.

Quelle:
Daniel De Foe: Glück und Unglück der berühmten Moll Flanders. Berlin [1903]., S. 154-174.
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