Dreiundzwanzigstes Kapitel.

[325] Ich befand mich nun allmählich in Vermögensverhältnissen, die fast schon vorzüglich zu nennen waren; und ich hätte jetzt nichts Besseres, Klügeres tun können, als endlich mein Gewerbe aufzugeben.

Meine Pflegerin pflegte oft zu sagen, ich sei die Reichste in meinem Beruf. Und das war wohl auch wirklich der Fall, denn ich besaß über 700 Pfd. in Geld, hatte viele, viele reiche und schöne Kleider, eine Menge Ringe und anderen Schmuck, zwei goldene Uhren, kostbares Silbergeschirr und sonstiges mehr. Und all' das war gestohlen!

Ach wirklich, ja, wäre mir jetzt wenigstens, in dem Augenblick, da ich so reich war, die Gnade der Reue zu teil geworden! dann hätte ich noch Muße gehabt, meine Schlechtigkeiten einzusehen und vielleicht auch manches wieder gut zu machen. Aber die Zeit, da ich für mein Diebesleben Sühne zahlen sollte, war noch immer nicht gekommen, und ich konnte nicht anders – ich mußte nach wie vor »ausgehen«, wie ich es nannte.[326]

Das nächste nach der Angelegenheit mit dem Kaufmann war, daß ich in einem ganz anderen Anzug »ausging«, als ich bisher je einen gewählt. Ich kleidete mich nämlich in die abscheulichsten, elendesten Lumpen, die ich auftreiben konnte, und stellte so ein Bettelweib vor, strich wie ein solches durch die Straßen und lugte in jede Tür, in jedes Fenster, wo ich vorüber kam.

Ich hatte dabei von Natur aus einen Abscheu vor Schmutz und Lumpen, ich war von Jugend auf an Sauberkeit gewöhnt und hatte immer, in welcher Lage ich mich auch befinden mochte, darauf gehalten, gut und gefällig auszusehen. So war es denn die für mich unangenehmste Verkleidung, die ich je gewählt. Ich sagte mir auch selbst sofort, daß sie wohl wenig Zweck haben werde, denn jeder Mensch hatte eine Scheu vor einem solchen Aufzuge, und mußte, wenn er mich nur erblickte, mich sofort darauf hin ansehen, ob ich ihm auch nicht zu verdächtig nahe komme und ihm etwas nehmen wolle; wie anderseits jeder sich hüten würde, mir zu nahe zu kommen, damit ich ihm nur ja nichts Unerwünschtes »gäbe«; denn so sah ich aus.

Als ich das erste Mal in dieser Verkleidung ausging, wanderte ich denn auch einen ganzen Abend umher, ohne irgend etwas zu »verdienen«, und kam durchnäßt, müde und noch schmutziger wieder nach Hause zurück.

Ich versuchte es jedoch den nächsten Abend noch einmal und hatte diesmal ein Abenteuer; und zwar eines, das mir beinahe teuer zu stehen gekommen wäre.

Als ich mich an einer Wirtshaustür aufgestellt hatte, kam nämlich ein Herr zu Pferde, klopfte an die Türe und verlangte nach einem Burschen, der sein Pferd halten könne, da er sich in dem Wirtshaus etwas aufhalten wolle. Es kam denn auch ein solcher Bursche heraus und hielt nun das Pferd fest. Der Herr blieb aber sehr lange in dem Wirtshaus und plötzlich wurde der Bursche von dem[327] Wirt wieder abgerufen; da er mich müßig herumstehen sah, sagte er zu mir:

»Hier Frau, haltet das Pferd einen Augenblick fest; wenn der Herr wiederkommt, wird er Euch etwas dafür schenken.«

»Gut,« sagte ich, nahm das Pferd und – ging gemütlich mit ihm von dannen und brachte es zu meiner Pflegerin.

Dies Pferd wäre nun natürlich eine vorzügliche Beute für jeden gewesen, der etwas mit ihm anzufangen gewußt, doch niemals war ein armer Dieb in größerer Verlegenheit, was er mit dem gestohlenen Gut beginnen solle, als ich in diesem Falle mit meinem Pferd. Auch meine Pflegerin sah keine Möglichkeit, sie war sogar zuerst ganz bestürzt; und keine von uns wußte: wohin mit dem Tiere? Es in irgend einem Mietsstalle unterzubringen, ging nicht an, denn wir mußten damit rechnen, daß man den Diebstahl öffentlich bekannt machte und das Pferd beschrieb, so daß wir es nicht hätten abholen können. Der einzige Ausweg aus diesem unglücklichen Abenteuer, zu dem wir uns schließlich entschlossen, war der, daß wir das Pferd in einem andern Gasthof abgaben und einen Dienstmann mit der Nachricht in die erste Kneipe sandten, daß das abhanden gekommene Pferd da und dort abzuholen sei; die Bettlerin, der man es zum Festhalten gegeben, habe es ein wenig auf- und abgeführt, dann jedoch nicht mehr halten können und später in dem zweiten Wirtshause eingestellt: so waren wir das Tier los, ohne daß man uns kannte. Wir hätten ja vielleicht noch warten können, bis der Eigentümer seinen Verlust veröffentlichte und eine Belohnung aussetzte, doch gingen wir auf diese Weise sicherer. So wars ein Diebstahl und auch wieder keiner, und es war dabei wenig verloren und nichts gewonnen.

Für mich hatte dabei das ganze Pferdeabenteuer das gute gehabt, daß es mir schon gleich anfangs bestätigte, wie wenig vorteilhaft es sei, als Bettlerin gekleidet »auszugehen«; ja es kam mir fast vor, als[328] stecke in diesem Anzug eine üble Vorbedeutung für mich, da ich mein Glück immer nur im Scheine des Reichtums gemacht.

Immerhin trug ich die Kleidung noch weiter, wenn auch nur eine kurze Zeit.

In diesen Tagen kam ich auch einmal mit Leuten schlimmerer Art zusammen, als ich sie bisher je angetroffen, und lernte auch etwas von ihrer Arbeit und Lebensweise kennen. Es waren Falschmünzer, und sie machten mir verschiedentlich gute Anerbieten für den Fall, daß ich mich an ihrem Geschäft beteiligen wolle; doch war mir das zu gefährlich; denn hätte man mich beim Falschmünzen gepackt, so wäre mir der Tod sicher gewesen – und zwar am Pfahl lebendig wäre ich verbrannt worden. Die Leute versprachen mir Berge von Gold und Silber, aber trotzdem ich in Bettlerkleidern herumlief, wollte ich mich nicht mit ihnen einlassen; wäre ich vielleicht wirklich eine Bettlerin gewesen, oder in einer ähnlich verzweifelten Lage, wie damals, als ich zu dem Handwerk einer Diebin gegriffen, so wäre es immerhin möglich gewesen, daß ich mich mit ihnen eingelassen hätte; denn was liegt dem daran, zu sterben, der nicht weiß, wie er leben soll! Ich befand mich jedoch nicht mehr in solch schlimmen Verhältnissen und deshalb war ich nicht für Wagnisse wie dieses, ja der bloße Gedanke, am Pfahle verbrannt zu werden, erfüllte mich bis ins innerste Mark mit Entsetzen und ließ mein Blut erstarren und meine Glieder erzittern.

Auch diese Begegnung machte es mir unmöglich, mich meiner Verkleidung in eine Bettlerin noch länger zu bedienen; denn obgleich ich auf den Vorschlag nicht eingehen wollte, hatte ich es ihnen doch nicht gesagt, sondern getan, als sage es mir zu, und auch versprochen, wieder mit ihnen zusammen zu treffen; doch durften sie mich nicht wiedersehen, denn hätte ich auch mit der aufrichtigsten Versicherung, sie nicht zu verraten, ihr Anerbieten abgelehnt, so würden sie mich ermordet haben, um sich »leicht« zu machen, wie sie es nennen. Was[329] für eine Art von »Leichtigkeit« das ist, kann der am besten verstehen, der sich recht lebhaft klar macht, welch ein »leichtes« Herz Menschen haben müssen, die andere umbringen können, nur um einer Gefahr vorzubeugen, die unter Umständen drohen könnte.

Falschmünzerarbeit und Pferdediebstahl lagen also ganz außerhalb des Bereiches meiner Tätigkeit. Diese erstreckte sich eben auf ein ganz anderes Gebiet, und obgleich auch dieses Gefahren genug in sich barg, war es doch angemessener für mich; auch verlangte es mehr Kunstfertigkeit und bot mehr Möglichkeiten, zu entkommen, wenn ich wirklich einmal ertappt worden wäre.

Just um diese Zeit erhielt ich auch das Anerbieten, mich einer Bande von Einbrechern anzuschließen, doch hatte ich ebenso wenig Luft, mich den Gefahren ihres Handwerkes auszusetzen. Sehr gern hätte ich mich dagegen zwei Männern und einer Frau angeschlossen, die sich in Privathäuser einzuschleichen und sozusagen Familiendiebstähle auszuführen pflegten; doch sie waren schon zu dreien und wollten sich weder trennen, noch ihren Trupp vergrößern, deshalb kam es auch mit ihnen zu keinem Abkommen.

Ich zog also schließlich meine Bettlerlumpen wieder aus und beschloß, mit neuem Eifer etwas anderes zu versuchen, denn ich war nicht gewöhnt, so oft ohne Erwerb nach Hause zu kommen.

Gleich am nächsten Tage zog ich mich sehr gut an und spazierte bis ans andere Ende der Stadt, durch die Börse an den Strand, ohne zunächst eine Gelegenheit zu finden und etwas auszurichten, als plötzlich ein großer Menschenauflauf entstand und jedermann, Ladenbesitzer und Hausbewohner, an die Türe eilte und neugierig hinausblickte. Es fuhr nämlich gerade irgend eine bekannte Herzogin in die Börse und man rief, auch die Königin werde kommen. Ich drückte mich nun in einen Laden hinein, und zwar mit dem Rücken der Theke zugewandt, als wolle ich die Menge vorüber eilen[330] lassen. Dabei hielt ich aber mein Auge auf einen Packen Spitzen gerichtet, welchen die Ladeninhaberin einigen Damen, die in meiner Nähe standen, gerade zu zeigen im Begriffe war; augenblicklich jedoch hatten sie alle genug zu tun, auf die Straße hinaus zu schauen, um zu sehen, wer eigentlich komme, so daß es mir möglich war, ein großes Stück Spitze, und natürlich das kostbarste, in meine Tasche gleiten zu lassen und mich davon zu machen: Wahrlich, die Putzmacherin mußte ihr Gaffen teuer genug bezahlen!

Ich verließ mit meiner Beute den Laden wieder, tat so, als dränge mich die Menge hinweg, stürzte mich dann in den dichtesten Haufen, ließ mich zum anderen Tor der Börse wieder hinausschieben, und rief, um nicht verfolgt werden zu können, einen Wagen heran. Kaum hatte ich die Wagentür hinter mir geschlossen, so sah ich auch schon die Putzmacherin und fünf oder sechs andere Menschen die Straße hinunterstürzen und hörte sie fürchterlich schreien. Sie riefen nicht: »Haltet den Dieb!« weil ja niemand fortlief, doch hörte ich immer und immer wieder die Worte: »Gestohlen« – »Spitze gestohlen« – »Spitze« und sah das Weibsbild die Hände ringen und auf- und ablaufen und so wild um sich herblicken, als sei sie von Sinnen. Der Kutscher, der mich fahren sollte, stieg gerade auf den Bock und die Pferde hatten sich noch nicht in Bewegung gesetzt, so daß ich in furchtbare Angst geriet und schon das Stück Spitze bereit legte, um es zum Kutschenfenster, das sich gerade hinter dem Kutscher befand, hinaus zu werfen. In demselben Augenblick jedoch setzte sich der Wagen in Bewegung, und ich machte mich endgültig mit meiner Beute, die ungefähr zwanzig Pfund wert war, davon.

Am folgenden Tage zog ich mich wieder reich an und machte denselben Weg, doch bot sich mir nichts dar, bis ich in den St. James Park kam. Da gingen viele vornehme Damen spazieren, und ich erblickte ein junges Fräulein von vielleicht zwölf oder dreizehn Jahren mit ihrem kleinen Schwesterchen,[331] das etwa neun Jahre alt sein mochte. Ich sah, daß die größere eine wertvolle goldene Uhr trug und ein schönes Perlenhalsband, und daß ihnen ein Diener in Livree folgte. Da es jedoch nicht gebräuchlich ist, daß die Diener den Damen in den Spazierpark folgen, in den diese jungen Damen, wie viele der Spaziergängerinnen, hineingehen wollten, bedeutete ihn alsbald die ältere der Schwestern, er möge hier stehen bleiben und sie erwarten.

Als ich dies wahrnahm, trat ich auf den Diener, sobald er allein war, zu und fragte ihn, wer seine kleine Herrin denn sei, und ließ mich in eine Plauderei darüber ein, welch' ein hübsches Kind sie bei sich habe und welch' gute Haltung und anmutiges Wesen die ältere besitze, wie frauenhaft und gesetzt sie schon sei – und der Esel von einem Diener sagte mir auch gleich ihren Namen, erzählte, daß sie die älteste Tochter des Herrn Thomas V. W aus Essex, eine außerordentlich gute Partie und jetzt mit ihrer Frau Mutter in London zu Besuch sei, und noch vieles mehr; sie hätten z.B. eine Magd und eine Wartefrau zu ihrer Bedienung, außerdem ständen Herrn Thomas V. Ws. Kutsche, deren Kutscher, und er selbst, der Diener, den beiden Fräuleins zur Verfügung; die junge Dame sei der Liebling der ganzen Familie, hier sowohl wie bei sich zu Hause. Und noch manches Nähere sagte er mir, jedenfalls genug für meinen Plan, den ich mir schon gleich ausgeheckt hatte.

Ich war wie erwähnt, sehr gut gekleidet und trug meine beste goldene Uhr, sowie reichen Schmuck. Und so verließ ich denn den Diener und gesellte mich zu der jungen Dame und ihrem Schwesterchen, die gerade eine Promenade in dem Rundgang des Parkes gemacht hatten und sich anschickten, eben zum zweitenmale herum zu gehen. Ich trat auf sie zu, begrüßte sie, nannte dabei den Namen der älteren »Lady Betty«; dann fragte ich, wann sie von ihrem Vater die letzte Nachricht bekommen, und wie es ihrer Frau Mutter ginge.

Ich sprach so vertraulich von der ganzen Familie[332] mit ihr, daß sie nur glauben konnte, ich kenne sie alle sehr genau, zudem fragte ich sie, warum sie Madam Chime nicht mitgenommen habe – das war der Name ihrer Wartefrau – damit sie auf Mrs. Judith – das war ihre kleine Schwester – Obacht gäbe. Dann ließ ich mich in eine längere Plauderei über diese kleine Schwester mit ihr ein, fragte, ob die kleine Dame auch französisch gelernt habe, und tausend ähnliche harmlose Sachen, als plötzlich die Wache kam und die Menge sich zusammenballte, um den König, der sich ins Parlament begab, vorüberreiten zu sehen.

Die Damen eilten alle auf die betreffende Parkseite zu, und ich half meinem jungen Fräulein, sich auf eine Bank stellen, damit sie auch etwas sehen könne; die Kleine nahm ich auf den Arm, hatte aber schon mittlerweile der anderen, der Lady Betty, so geschickt die goldene Uhr abgenommen, daß sie es nicht merkte, ehe die Menge sich verlaufen hatte und alle wieder von derselben in den Park zurückgedrängt worden waren.

Ich selbst tat, als würde ich etwas von ihr seitab und hinweg geschoben und rief ihr nur noch eilig zu: »Liebe Lady Betty, geben Sie nur ja auf Ihre kleine Schwester Obacht,« wobei ich ein Gesicht machte, als täte es mir sehr leid, auf diese Weise, durch die drängende Masse von ihnen getrennt zu werden.

Das Gedränge dauert in solchen Fällen nie sehr lange und verläuft sich sofort wieder, wenn der König vorbei ist. Da ihm jedoch immer noch eine große Menge Menschen eiligst folgt, so ließ ich mich jetzt von dieser weiter treiben, als läge mir viel daran, den König noch länger zu sehen, winkte dann schnell einen Wagen heran und entkam in ihm.

Jedenfalls aber, des können Sie versichert sein, hielt ich der Lady Betty mein Versprechen nicht – ich hatte nämlich versprochen, ich werde sie besuchen.

Zuerst hatte ich übrigens beabsichtigt, bei der Lady Betty zu bleiben, bis sie ihre Uhr vermißte, dann mit ihr nach dem Diebe zu schreien, sie darauf[333] in einen Wagen zu setzen und mit ihr nach Hause zu fahren. Sie schien mich nämlich sehr gern zu haben und mir, weil ich mit ihr von ihrer Familie gesprochen, so vollständig zu vertrauen, daß es mir gewiß nicht schwer gefallen wäre, meinen Verdienst noch zu vergrößern und auf der Fahrt auch das Perlenhalsband noch zu ergattern. Es kam mir jedoch rechtzeitig in den Sinn, daß mich, wenn das Kind auch arglos war, so doch andere Leute verdächtigen, und vielleicht gar untersuchen könnten, wobei man dann die goldene Uhr gefunden haben würde. Ich hielt es deshalb für besser, mich mit dem, was ich hatte, zufrieden zu geben.

Später hörte ich übrigens zufällig einmal, von einer anderen Diebin, die auch in dem Park gewesen, daß die junge Dame, als sie ihre Uhr vermißt hatte, den Diebstahl laut ausrufen ließ und ihren Diener herumschickte, mich zu suchen, denn sie hatte gleich auf mich Verdacht gefaßt und mich ihm so gut beschrieben, daß er mich als dieselbe Person erkannte, die längere Zeit bei ihm gestanden, mit ihm gesprochen und die ihn so viel gefragt hatte; doch war ich schon weit genug aus ihrem Bereiche, ehe sie dem Diener ihren Verlust überhaupt mitteilen konnte.

Nach diesem Abenteuer bestand ich bald ein anderes, das ganz verschieden war von allen, die ich je aufgesucht.

Der Schauplatz war ein Spielsaal in der Nähe von Convent Garden.

Ich sah dort die Kavaliere aus- und eingehen und stellte mich mit einer Freundin an den Eingang. Schließlich kam ein besonders reich gekleideter Herr, der auch hinein wollte. Auf diesen ging ich zu und fragte ihn:

»Entschuldigen Sie, haben eigentlich auch Damen Zutritt?«

»Aber natürlich,« war die Antwort, »und nicht nur Zutritt, sie dürfen auch spielen.«

»Das eben wollte ich vor allem wissen,« meinte ich.[334]

Und sofort bot er mir liebenswürdigst an, mich hineinzuführen.

Ich folgte ihm, und er öffnete die Tür zu einem Saale.

»Gehen Sie, Madam, da sind die Spieltische – wenn Sie also ihr Glück wagen wollen?«

Ich blickte in den Saal hinein und sagte dann laut zu meiner Freundin, die mitgekommen war: »Aber da sind ja doch bloß Herren! Nein, da wage ich mich nicht hinein!«

Worauf mein Kavalier jedoch sofort meinte: »Sie brauchen keine Angst zu haben, Madam, die Spieler sind alle Gentlemen, und Sie dürften gewiß allen will kommen sein – außerdem, Sie können setzen, was Ihnen beliebt.«

Ich trat also ein wenig näher, man brachte mir einen Stuhl, ich nahm Platz und sah zu, wie der Würfelbecher die Kunde machte.

Schließlich aber meinte ich zu meiner Freundin: »Die Herren spielen zu hoch für uns, kommen Sie und lassen Sie uns lieber gehen.«

Die Anwesenden waren jedoch außerordentlich höflich, und einer der Herren ermutigte mich und sagte: »Spielen Sie doch nur, Madam, Sie können es wirklich wagen, und ich kann mich dafür verbürgen, daß Ihnen nichts Unrechtes geschieht.«

»Ich danke Ihnen sehr, mein Herr,« erwiderte ich lächelnd, »ich bin überzeugt davon, daß diese Herren eine Dame nicht übervorteilen würden.«

Doch lehnte ich es auch ietzt noch ab, zu spielen, obwohl ich eine wohlgefüllte Börse herausgezogen hatte, damit sie sähen, es fehle mir nicht an Geld.

Nachdem ich nun wieder eine Weile still gesessen hatte, sagte derselbe Herr scherzend zu mir: »Ich sehe, Madam, Sie haben Angst, für sich selbst zu spielen, ich hatte jedoch immer Glück durch die Damen, setzen Sie für mich, wenn Sie nicht für sich selbst spielen wollen.«

Ich erwiderte ihm: »Es wäre mir sehr unangenehm, mein Herr, Ihr Geld zu verlieren, zwar habe ich immer für mich selbst viel Glück im Spiel,[335] aber diese Herren spielen so hoch, daß ich mein Geld nicht daran wagen will.«

»Schön, schön Madam,« erwiderte er, »da sind fünf Guineen, setzen Sie die für mich.«

Ich nahm also das Geld, setzte es für ihn und gewann. Ich setzte nochmals und gewann wieder. Und ein drittes Mal ging es nicht anders.

Das ermutigte dann meinen Herrn so, daß er mich aufforderte, doch die Bank zu halten. Und auch jetzt blieb das Glück mir so treu, daß ich schließlich einen ganz beträchtlichen Haufen Guineen in meinem Schoße liegen hatte.

Am Ende forderte ich meinen Herrn auf, das Geld an sich zu nehmen, da es ihm ja gehöre; zum mindesten wollte ich ihm einmal vorzählen, wieviel er eigentlich gewonnen habe.

Er aber meinte: »Nein, nein, zählen Sie das Geld lieber nicht, Sie sind ja ehrlich, und ich weiß, daß es Unglück bedeutet, den Gewinn zu zählen.«

So spielte ich also weiter, und zwar so vorsichtig, ohne all zu große Einsätze zu wagen, daß ich stets eine größere Geldsumme in meinem Schoße liegen behielt. Von dieser Geldsumme wanderte dann immer ein kleiner Teil in meine Tasche; doch ging ich dabei so geschickt zu Werke, daß niemand es sehen konnte.

Nach und nach wurde ich dabei kühner, und als ich zum letztenmal die Bank hielt, setzte ich auf einen Schlag vierzig Guineen. Aber da verließ das Glück mich, und ich verlor.

Ich kannte den Brauch erfahrener Spieler und stand sofort auf; aus Furcht nämlich, schließlich noch alles zu verlieren. Zu dem Herrn aber sagte ich:

»Spielen Sie jetzt bitte selbst weiter, ich glaube, ich habe immerhin Ihre Sache ganz gut vertreten.« Er wollte jedoch nichts davon wissen, daß ich das Spiel aufgab, und bat mich, doch das Glück für ihn noch weiter zu versuchen.

Ich aber meinte, es würde zu spät für mich, er möge mich jetzt wirklich einmal zählen lassen, damit er siehe, wieviel er durch mich gewonnen.[336]

Solange wolle ich noch bleiben, dann aber müsse ich sofort gehen.

Ich zählte also und fand 63 Guineen.

»Ach« rief ich dabei aus, »hätte ich doch nur nur den unglückseligen letzten Wurf nicht getan, dann hätte ich ja über 100 für Sie gewonnen!«

Ich gab ihm darauf das Geld, er wollte es jedoch nicht eher nehmen, bis ich etwas für mich zurückbehalten, und bat mich, ich möge nur zugreifen.

Ich dankte jedoch und meinte, ich würde mir nie selbst etwas nehmen. Wenn er mir irgend etwas zugedacht habe, so möge er es mir aus freien Stücken geben.

Als die übrigen Herren das Gespräch hörten, riefen sie: »Aber so geben Sie ihr doch das ganze Geld!«

Ich wies das jedoch entschieden zurück.

»Zum Donnerwetter, Sack, so teile es doch wenigstens, weißt Du nicht, daß man mit Damen immer Halbpart macht?«

Er teilte denn darauf auch wirklich mit mir und ich konnte 22 Guineen mit mir nehmen – abgesehen von 43 Guineen, die ich in meiner Tasche schon hatte verschwinden lassen; was mir übrigens jetzt beinahe leid tat, da ich gesehen, daß der Herr sich so tadellos benommen hatte.

Ich brachte also im Ganzen 85 Guineen mit nach Hause und erzählte lachend meiner Pflegerin, welches Glück ich im Spiel gehabt.

Sie freute sich auch weidlich über den Streich. Trotzdem riet sie mir, ich solle lieber das Glück nicht mehr auf diese Weise versuchen.

Und da ich so gut wie sie wußte, daß der Spielteufel, wenn er einen einmal gepackt hat, allen und jeden Besitz gefährdet, so folgte ich ihrem Rat und ging nicht wieder in einen Spielsaal.

Quelle:
Daniel De Foe: Glück und Unglück der berühmten Moll Flanders. Berlin [1903]., S. 325-337.
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