Das Urteil des Paris

[166] Eine Culturlegende.


Von den Höhen des Olympos löst sich eine lichte Wolke,

wallet über Flur und Fluten, weilet über Trojas Volke.

Und die Menge sieht mit Staunen, und die Priester sehn mit Beben

an dem glanzverklärten Himmel diese Eine Wolke schweben.

In den Tempel Aphrodites lenken sie die bangen Schritte; –

wo der Göttin uralt Bildnis raget in der Säulen Mitte,

sinken hin sie in die Kniee, küssen mit der Stirn die Erde,

breiten qualverzückt die Arme, flehn mit brünstiger Geberde:


Aphrodite, große Mutter,

Wollustzeugerin, wonnegebärende!

Deinem Schooß sind wir entsprossen,

Aphrodite Kybele!


Aphrodite, große Göttin,

Allbezwingerin, sinneberauschende!

Deiner Brüste Reiz umfängt uns,

Aphrodite Pandemos!


Aphrodite, Unheil droht uns!

Neidisch fühlen die anderen Göttinnen,

daß wir Deinem Dienst nur glühen;

Schönste, schütze deine Stadt!
[166]

Und von dannen zieht die Wolke; unten durch die grünen Matten

auf dem Ilischen Gefilde kriecht ein seltsam blasser Schatten.

Neue Furcht umstrickt die Beter, und sie wagen nicht zu danken;

und ein dunkles Schicksalsahnen will durch ihre Seelen schwanken,

wie der dichtgeballte Schatten durch die Ebene sich windet, –

bis im Wasser des Skamandros ihren Blicken er entschwindet.

Wo des Ida graue Kuppe schimmert in den blauen Lüften,

senket sich die Wolke nieder, bleich verschwimmend in den Klüften ...

Dort in einem Thal sitzt Paris, seines Vaters Herden hütend,

Priamos des Troërfürsten, – tief in Jünglingsträumen brütend.

Über seinem Haupt im Laube eines wilden Apfelbaumes

summt der laue West die Weise zu den Stimmen seines Traumes.

Gramverdrossen lauscht der Jüngling ihren sehnsuchtschwülen Klängen,

die mit buntverworrnen Bildern ihm das heiße Herz bedrängen.


Ich soll im Elend mein Leben vertrauern,

weil ich schöner als Alle bin?!

soll hier verbannt sein zu Hirten und Bauern

um meiner Brüder neidischen Sinn?!


Warum kann ihnen mein Vater nicht wehren!

Weil mich ein Kebsweib trug an der Brust,[167]

soll ich verzichten auf Glück und auf Ehren?

Ich soll büßen des Vaters Lust?!


Hör' ich die Stimmen hier in mir ringen,

packet mich Unrast in süßester Ruh'!

Sage, ach sage, was wirst du mir bringen,

Zukunft, Göttin der Jünglinge du!


In die Ferne, nach der Heimat schweift sein Blick in dunklem Harme,

und vor mächtigem Verlangen reckt er weithinaus die Arme:

Ach vergebens –! und mit müdem Seufzer sinkt zurück er wieder.

Plötzlich aus des Baumes Höhe fällt ein Apfel vor ihm nieder.

Zitternd auf der glatten Schale spielt des Mittagslichtes Flimmern,

durch die kummermatten Lider sieht er's schillern, sieht er's schimmern;

goldig flirrend lange Strahlen auf und nieder vor ihm schießen;

träge will die Frucht er greifen, sieht im Glanze sie zerfließen;

weiche Dünste ihn umhüllen, lichte Nebel ihn umwallen;

auf sein brennend Auge fühlt er einen linden Schlummer fallen, –

wie aus weiten Räumen hört er wunderreine Stimmen hallen, –

schaut, wie aus den Wolkenwogen sich verklärt Gestalten ballen;

ihm entgegen aus dem Nebel tauchen vor ihm auf die Leiber

eines leuchtend nackten Jünglings, drei gewandumwobner Weiber.[168]

Hermes, der Olymposbote, dehnt vor ihm die schlanken Glieder,

und mit seiner Göttermiene neigt er lächelnd sich hernieder:


All dein Trachten, schöner Schläfer,

aller Jugend Trachten ist es,

ist der ew'ge Traum der Menschheit:

Göttern gleich der Wünsche Fülle

mühelos erfüllt zu sehn!


Unaufhörlich seines Glückes

Eigne Wahl erfleht der Mensch sich;

darum unaufhörlich immer

steigen Himmlische gewährend

zu Erkorenen herab!


Sieh! mit ihren Gaben naht dir

jede Göttin des Olympos.

Wähle! Du, der Troër Schönster,

diesen Apfel gieb der Huldin,

welche dir die Schönste däucht!


Und er bückt sich rasch zu Boden, aus dem Gras den Apfel nimmt er;

kaum daß leicht er ihn gerühret, wie von lautrem Golde glimmt er.

Und er reicht ihn hin dem Jüngling, staunend läßt ihn Der fast sinken:

Träum' ich denn? ja nein, ich wache! sah ihn ja vorhin schon blinken,

fühle schwer ihn ja in Händen! – Prüfend will er um sich schauen,

da – mit stolz gemeßnem Gange tritt die Ragendste der Frauen

vor ihn hin. Gebietend steht sie. Und des Jünglings Blicke hangen[169]

scheugebannt an ihrer Stirne, die von Hoheit ganz umfangen.

Und er wagt es nicht zu sehen, wie sie würdevoll die Hülle

festen Griffes wirft zur Erde, ihm entblößt der Glieder Fülle.

Nur ein Leuchten ihrer Schultern fast sein schüchtern Auge blendet,

dann bloß horcht er, wie sie zu ihm sich erhobnen Hauptes wendet:


Ich bin Here. Meinem Wunsch

frönet selber Vater Zeus.

Wahrlich! nicht um Ehren buhlt

des Olympos Königin.


Doch geschmäht hat mich dein Volk.

Beugen sollst du mir dein Volk.

Deines Vaters Thron sei Dein,

preisest du als Schönste Mich!


Jedes Erdengut sei dein,

aller Reichtum, alle Macht!

Und dein Wort, es sei Gesetz!

und dein Wink sei heil'ges Recht!


Schwer des Schläfers Atem woget, jäh die Wangen ihm erblassen,

während mit gewalt'gen Schauern Lust und Furcht sein Herz umfassen.

Nach der Herrlichen auf einmal sein beklommner Mut begehret;

aber eh' er aufspäht, hat sie schon verhüllt sich abgekehret.

Langhinschleppend die Gewänder sieht er sie vondannen schreiten;

und aus tiefer Brust erseufzend schaut ins Antlitz er der Zweiten.[170]

Mit gesenkten Lidern sinnt sie, lässig langt sie nach den Hüften,

von des Kleides dichten Falten den geschuppten Gurt zu lüften.

Und der Jüngling folgt verstohlen ihrer Hand. Da bohrt's wie Flammen,

zuckt's wie Blitze ihm ins Auge, und er fährt bestürzt zusammen:

stahlhell treffen ihn der Göttin weiterschlossne Strahlenblicke,

wie sie nun die letzte Spange schnell sich nestelt vom Genicke.

Und verwirrt hört er sie reden, blöde auf den Apfel starrt er,

nur der streng geschürzten Lippen flücht'ges Lächeln noch gewahrt er.


Höchste Weisheit in dem Rat der Männer,

auf dem Feld der Ehre höchster Ruhm

sollen deinen Scheitel krönen,

kürest du als Schönste Mich!


Unvergänglich wirst durch mich du herrschen,

noch im Tode wird dein Name herrschen,

herrlicher im Leben herrschen:

Ruhm ist Reichtum, Weisheit Macht!


Und nicht feile Demut sollst du werben

für des Donnrers liebstes Kind, Athene:

deine Stadt sollst du erlösen

aus der Schmach der Üppigkeit!


Schwerer wogt des Schläfers Atem, schwellend seine Pulse springen,

während heiß ihm in der Seele Ehrfurcht und Begeistrung ringen.[171]

Hastig will der edlen Göttin schon den goldnen Preis er bieten,

da – rührt Hermes ihm die Achsel: »Höre erst noch Aphroditen!«

und ein schalkig boshaft Lachen meint der Jüngling zu vernehmen.

Doch als stutzend er sich umdreht, setzt der Gott sich mit bequemen

langen Schritten, ernsthaft nickend, wieder hin auf seine Hürde.

Unmut wölkt des Schläfers Stirne; und Athenes keusche Würde

will er prüfen doch und schauen, aber – still ist sie entschwunden ...

Und es nahet, schwebend, leise, milden Scheines ganz umwunden,

naht – von wehenden Geweben wie von Wolken sanft umflossen,

bebend nahet Aphrodite, steht von holder Scham umgossen;

und die Lüfte scheinen schmeichelnd sich in ihr Gewand zu schmiegen,

und der Jüngling glaubt den Dichtern, daß sie einst dem Schaum entstiegen.

Aus den langen Wimpern schmachtet feucht ihr Auge ihm entgegen,

schmelzen zärtlich ihre Blicke; und es schleicht ein heimlich Regen

und es rinnt ein süßes Grauen nieder ihm durch Brust und Lenden;

schauen mag er nur und schauen, wie sie nun mit zagen Händen

von den Armen streift die Schleier, wie des Busens weiße Wellen

fallend wallend durch die Spalten ihrer ros'gen Finger quellen.[172]

Tiefer tauchen seine Blicke, wilde Schauer ihn umbreiten,

durch die zarten Hüllen ahnt er ihres Leibs Verborgenheiten;

schwerer immer wogt sein Atem, heißer seine Schläfen glühen,

kaum den weichen Lauten lauscht er, die von ihren Lippen blühen:


Ach, ich kann nur Liebe geben;

aber jedes Glück sei Dein,

welches meine Zauber weben!

Sage: willst du mir dich weihn?

willst du immer selig sein?!


Jedes Weib soll dich begehren,

dem dein leiser Wunsch nur lacht!

und dein Volk – wird höchst dich ehren,

höher rühmen solche Macht

als des Ruhmes kalte Pracht!


Und das schönste Weib auf Erden

in der Ferne weis' ich dir!

und noch schöner soll sie werden!

alle Reize geb' ich ihr –

meine Reize! Schaue: hier –!


und in herrlich kühner Freude schwingt die Himmlische den Schleier,

sieghaft blickend, auseinander; glanzumspielt in göttlich freier

Nacktheit vor dem Jüngling steht sie; und sie lächelt; und zu Füßen,

mit dem Preise, der Berauschte, liegt er vor der Anmutsüßen:

»Nimm ihn! gieb mir! gieb mir Liebe! Liebe –!« Da: um seine wirren[173]

matten Sinne fühlt er's schwimmen, sieht er's flimmern, hört er's schwirren;

schwüle Dünste ihn umflechten, dichte Nebel aufwärts wallen;

wie aus weiten Räumen däucht ihm dumpf ein Zwiegesang zu hallen:

Fahre hin, du Sohn der Wollust! hast dir selbst den Stab gebrochen!

hast dir selbst das Urteil eben, hast es deiner Stadt gesprochen! –

Und erschreckt vom Boden will er auf sich raffen, da – – erwacht er,

sieht im Gras den Apfel liegen, und aus hellem Halse lacht er:

»Hei, solch Träumen lass' ich gelten! Morgen geht's hinaus ins Weite!

und nach Sparta zu der schönen Helena geht's auf die Freite,

und dem alten Menelaos raub' ich sie samt ihren Schätzen,

und am Neid der lieben Brüder will ich mich dann weidlich letzen!«

Pfeifend langt er sich den Apfel, schleudert lustig ihn gen Himmel,

lugt ihm nach ins Blau, da – sieht er, wie mit schwärzlichem Gewimmel

wirbelnd um des Berges Spitze sich ein Wolkenknäuel rühret;

und ein Ostwind hebt sich plötzlich, der die Wolke mit sich führet.

Gärend wälzt sie fort sich, bis sie drohend über Troja hanget,

wo – der Liebesgöttin huld'gend – alles Volk im Festschmuck pranget.

Seltsam graue Schatten winden sich auf einmal durch die Gassen,

bang verstummt der tolle Jubel, scheu die Taumelnden erblassen.[174]

Um die Türme, auf den Mauern sehn sie fahl die Sonne glänzen

und mit breitem Saum die Wolke feurig lohend sich umkränzen;

blutigrote Lichter fliegen unten durch die grünen Auen;

und die Menge sieht's mit Beben, und die Priester seh'ns mit Grauen, –

sehen angstvoll harrend endlich das Gewölk von dannen rollen,

während fernher – über Hellas – finstre Wetterschwärme grollen.

Quelle:
Richard Dehmel: Erlösungen, Stuttgart 1891, S. 166-175.
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