Die zweite Nacht

[117] Drum komm, o komm, noch einmal schweigt

so voll ins Feld, so weiß und weit

der Mond ins Feld; noch einmal zeigt

die weite Nacht,

die zweite Nacht,

uns unsre nackte Seligkeit.


O komm, o komm, ich will dich sehn –

und silbern rauscht der Eichenhain;

die langen Wiesenhalme stehn

so still, so weich

am kleinen Teich,

und schimmernd tauchen wir hinein.


Und schimmernd, schimmernd heb'ich dich

heraus ins dunkelgrüne Kraut,

dein schwarzes Haar umrieselt mich,

der Tau wird warm,

und Arm um Arm

erkennt den Bräutigam die Braut.


Und dann, o komm – oh flieh! denn dann:

wir hatten Schooß in Schooß geruht:

von einer gelben Blüte rann,

du sahst es nicht,

im bleichen Licht

ein Tropfen Blut – Dein Tropfen Blut.

Quelle:
Richard Dehmel: Aber die Liebe. München 1893, S. 117-118.
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