Venus Adultera

[219] Komm, Schatz; komm, Katz; laß das Wimmern!

Nein, das darf dich nicht bekümmern,

ob ich auch »treu« bin; rück nur her!

Komm: ich hab ein Dutzend Seelen,

wer kann all die Kammern zählen,

sechse stehen grade leer.
[219]

Sieh nicht auf den Ring an meinem Finger;

hoh, mein Kind, ich bin viel jünger

als mein narbiges Gesicht

Weißt du, die Runzeln und die Hiebe

thun erst die Würze zu Ehre und Liebe!

Ja, mein süßer Bösewicht:


Viel geliebt, noch mehr getrunken,

manchmal fast im Strom versunken,

heida wie der Schläger pfiff!

Soll das Leben dir was nützen,

lerne auch dein Blut versprützen:

nicht gezuckt! los! blick und triff!


Hast ja auch schon – Blut verspritzt,

oft ... ah! wie dein Auge blitzt:

zürnst wol gar dem frechen Buben?

Was denn: Thränen? o nicht doch! oh!

Herzchen, so'was lernt man so

in der Luft der Ehestuben!


Komm: sei gut, Kind! Gieb mir die Hand!

Hast mich ja lieb, Kind – und hast Verstand:

nein, ich will dich nicht verführen.

Aber gelt, du wärst gern Braut?

Hier das Venushalsband deiner Haut

läßt verhaltene Wünsche spüren!


Sieh mich doch an, du: bin kein Dieb!

habe das Halsband nur so lieb

und deine dunkeln Augenringe.

Sieh doch: mein Blick ist ein zündender Pfeil,

und meine Stimme ein sausendes Seil:

komm, durch Höllen und Himmel soll's dich schwingen!

Quelle:
Richard Dehmel: Aber die Liebe. München 1893, S. 219-220.
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