Schneeflocken

[69] Gnädige Frau, es schneit, es schneit!

Tragen Sie heut Ihr weißes Kleid?


Gnädige Frau, hier in der Ferne

schneit's bei hellichtem Tage Sterne.


Und diese Sterne flimmern genau

wie die Zähne der gnädigen Frau.


Oder wie Blüten von weißem Flieder,

gnädige Frau, an Dero Mieder.


Oder die Blicke des Herrn Gemahls

am Tage Ihres Hochzeitsballs.


Nein, sie flimmern, ich kann mir nit helfen,

gnädige Frau, wie tanzende Elfen.


Hänseln jeglichen Parapluie;

will man sie fassen, zerflimmern sie.
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Flimmern in Wirbeln, flimmern in Bildern,

die sind wirklich nit zu schildern.


Gnädige Frau, so wild, so mild

wie ein opalisch flimmerndes Bild.


Und, ach Gnädigste, diese Sterne

tanzen auf manchermanns Nase gerne.


Und auf solchermanns Nase, gnädige Frau,

zertanzen sie zu Thränentau.


Zertanzen sie wie kichernde Lieder:

morgen, morgen tanzen wir wieder!


Gnädige Frau, leb wohl! Schluß, Kuß!

Frechheit – aber wer muß, der muß.


Quelle:
Richard Dehmel: Weib und Welt, Berlin 1896, S. 69-71.
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