Ein Dichter

[58] Ich kann ein Dichtersmann werden,

ich weiß schon, was das heißt;

das ist ein Mensch auf Erden

mit einem himmlischen Geist,

und der auf Leben und Tod pfeift.


Er pfeift: mir lacht das Leben,

weil ich unsterblich bin!

Er pfeift: ich lache aufs Sterben,

mir lebt ein Lied im Sinn,

das geht so weit wie die Welt!


So einen Dichter kenn ich;

er streicht mir manchmal die Stirn,

und wie ein Fernrohr rührt sein Blick

hell an mein Gehirn,[58]

dann seh ich den Himmel offen.


Da tanzen die Sterne und singen:

»Nur wen wir auserwählt,

dem kann das Lied gelingen!

Wird er's wohl fertig bringen,

unser kleiner Held?«

Quelle:
Richard Dehmel: Gesammelte Werke, Band 6, Berlin 1908, S. 58-59.
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