Theresia die Mutter

[76] Werthwig der Barde.


Schön ist einer Eiche

Wolkennaher Wipfel,

Wenn ihr jung' Geschoß

Unter ihren Armen

Fette Spitzen hebet;

Aber schöner ist doch Eine noch.


Schön ist in der Mitte

Silberweißer Kinder

Ein erhab'ner Schwan,

Wenn er auf dem Teiche

Frohbegleitet segelt:

Aber schöner ist doch Eine noch.


Schön ist an des Himmels

Blauem Nachtgesichte

Dünsteloser Mond,

Wenn er unter Sternen

Sanftbeleuchtend wandelt;

Aber schöner ist doch Eine noch.
[77]

Schöner in dem Kreise

Göttergleicher Kinder

Ist Theresia;

Schöner unter Söhnen,

Schöner unter Töchtern.

Weicht der Mutter, Eiche, Schwan und Mond!


Wie das Aug' des Tages

Auf der hellen Quelle

Seine Schimmer sieht;

Also sieht an jedem

Ihrer Liebespfänder

Ihr entzückend Bild Theresia.


Als Allvater ihre

Gabenvollen Geister

Weisheithauchend schuf,

Feierten die Himmel,

Und Walhallas Barden

Sangen einen neuen Weihgesang.


Als Allvater ihre

Reizevollen Leiber

Wonnelächelnd schuf,[78]

Blinketen die Sonnen,

Dufteten die Rosen,

Hub sich aller Nachtigallen Lied.


Denn zum Völkerheile,

Zu der Erde Freude

Schuf Allvater sie,

Las für sie von allen

Menschenherrscherinnen

Nur Theresien zur Mutter aus.


Schwer sind Mutterpflichten,

Füllen ganz die Seele,

Wie die Lüfte Raum;

Schwer sind Herrscherpflichten,

Liegen auf der Seele,

Wie ein Berg auf Donauflächen liegt.


Doch im Riesenschwunge

Warf sich beide Pflichten

Uns're Fürstinn auf.

Wie Sie Völker weidet,

Bildete Sie Kinder:

Folge, Feierlied, der Bildenden!
[79]

Jede zarte Regung,

Die vom Herzen Ihrer

Liebespfänder sproß,

Ward von Ihr entdecket,

Weichlich angefühlet,

Und zum ächten Zwecke sanft gelenkt.


Liebe zu der Gottheit,

Die sich Menschenherrscher

Aehnlich sehen will,

Liebe zu der Tugend,

Die der Gottheit nähert,

War Ihr früh und war Ihr spät Gebot.


Liebe zu den Menschen,

Liebe zu der Arbeit,

Eifer für das Recht,

Durst nach edlen Thaten,

Und nach wahrem Ruhme

Floßen von der Mutter Lippen stets.


Haß des blöden Stolzes,

Und des feilen Lobes,

Und der niedren Lust,[80]

Haß des dunklen Herzens,

Das die Rache liebet,

Tönten immer in der Kinder Ohr.


Und soll Werthwig singen

Von des Unterrichtes

Hoher Wunderkraft?

Ha! wer kennt in allen

Deinen weiten Gränzen,

Deutschland! uns're Fürstenkinder nicht?


Wenn in aller deiner

Tapfren Herrscher Kreise

Joseph mitten sitzt,

In des Alters Sommer

Milde Greisenweisheit

Von den Lippen, von der Stirne spricht;


Wenn in Waffenfeldern

Seiner Eisenträger

Wolken ihn umzieh'n;

Wenn's von seinem Auge

Durch die Wolken blitzet,

Ha! wie schwillt der großen Mutter Herz!
[81]

Wenn durch Leopolden

An dem Arnostrande

Kunst und Fülle blüht;

Wenn für ihn zum Himmel

Tausend Wünsche streben,

Ha! wie schwillt der großen Mutter Herz!


Wenn von deinen Kindern,

Wien! der jüngern Brüder

Holdes Paar erscheint,

Und dann Augen starren,

Und dann Seelen schmelzen,

Ha! wie schwillt der großen Mutter Herz!


Wenn der Kaisertöchter

Unschuld, Zucht und Schönheit

Jede Zunge preißt;

Wenn sie ferner Erden,

Hoher Fürstensöhne

Heißer Wunsch und langer Seufzer sind;


Wenn von allen Völkern,

Welche sie besitzen,

Solch ein Jauchzen steigt,[82]

Daß des Kaisersitzes

Giebel es verhallen,

Ha! wie schwillt der großen Mutter Herz!


Ha! wie schmeckt die Fürstinn

Ihres Unterrichtes

Himmelsüßen Lohn!

Welchen Segen spricht Sie

Jeder reichen Stunde,

Die Sie, Weltbeglücker bildend, saß!


Soll ich noch in's Graue

Ferner Afterwelten

Bardenblicke thun?

Singen, wie der großen

Mutter Fürstenlehre

Von Geschlechtern auf Geschlechter wirkt?


Aber schon zu lange

Sang ich kühner Jüngling

In der Greisen Schaar.

Einen Neugeweihten

Zieret sittsam Schweigen

Unter hohen Liederkönigen.

Quelle:
Michael Denis: Auserlesene Gedichte, Passau 1824, S. 76-83.
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