Sineds Gesicht

[201] Rhingulphen, dem Freunde der Geister gewidmet.


Sined.


Der Mitternacht Geflüster wecket mich

Auf meinem Lager. Ist's Walhallas Laut? –

Kein frommer Barde bleibet unbesucht

Von Lüftesöhnen. – Ha! wer naht sich mir;

Wer bist du? Gestalt!

Dein Schweben ist schön,

Dein Stahlgeschmeid' hell,

Dein Harfenspiel golden

Vom Lenze bekränzet,

Dein Auge voll Ruhe!

Du lächelst auf mich.

Ha, bist du nicht Kleist?


Der Geist.


Der bin ich Sined! Lange sah' ich schon[202]

Auf meinen Hügel nieder, horchete

Nach allen Winden, ob kein Barde mir

Mit seiner Klage käme1. Keiner kam2.

Und meine Freude bey den Seligen

War, wie des Mondes Antlitz, wenn ein Dunst

Sich von der Erde schwingend es beschleicht. –


Doch jetzo trat zum Hügel ein Liedermund,

Der Söhne Sachsens einer, und gab mein Lob

Dem Winde3. Lüstern hing ich nieder,

Hörte mich Krieger und Barde nennen.


Drei Morgendämmerungen erklang sein Lied4;[203]

Die vierte sah ihn scheiden. Ich segnete

Des Edlen Abzug: Also soll dir,

Wenn sich im Felde dein Hügel aufhebt,


Gesang nicht fehlen! soll ein erhab'ner Sitz

Dein Lohn im liedervollen Walhalla seyn!

Ich habe meinen Ruhm empfangen.

Dank dir, o Sänger! o zeuch im Frieden!


Sined.


Wer war der Freund der Heldengeister? Wer

Der Edle, der zum Steine deines Ruhm's

Sein Harfenspiel aus dieser Ferne trug?

O nenne seinen Namen, Bard' und Held!

Ich will ihn segnen, lieben will ich ihn.


Der Geist.


Rhingulph war es, der den Legionentödter Herrmann sang5,[204]

Rhingulph, der dem Frömmsten uns'rer Barden

Von der Pleisse bis zur Wolkenburg

Mit dem schönsten Liede folgte6,

Rhingulph, dessen Mund auch dich

Vor den Söhnen deines Volkes ehrte. –


Sined.


Mich Rhingulph? vor den Söhnen meines Volks?

Du täuschest mich, Gestalt! Sein hoher Schwung

Wie fänd' er Sined in den Hunderten

Der Barden Teut's? Gestalt! du täuschest mich!


Der Geist.


O Barde! sieh zurücke.

Du sangest einst von Joseph,

Wo kühle Lüfte scherzten

Um junge Wiesenblumen.

Da kam ein fremder Bardensohn,

Und nannte dich Bindengeschmückter,[205]

Und nannte dich den Freund an Ossians Busen,

Dem Ossian am Abend seiner Augen

Die Harfe ließ. –

Wie war dir da?

Du sankest im süßesten Taumel

Entzücket auf Blumen dahin. –

Nun fuhrst du wieder auf,

Und wolltest ihn umarmen.

Weg war der Bardensohn,

Und – Rhingulph war der Bardensohn.


Sined.


War Rhingulph das? und ach! der Harte ließ

So lange mich in Ungewißheit! Fast

Ergänzten sich die Monden zwölfmal schon.

Ich fragte jeden Fluß, der Deutschland nezt,

Und keiner rauschte mir's. O Bard' und Held,

So wie im Leben, noch der Freundschaft hold!

Dein Geist sey mir gesegnet! Scheide nun

Auf deinem leichten Wirbel! Unentdeckt

Blieb' Rhingulph meinen Saiten ungeehrt.

So lange soll sich nun ihr Dank erfreu'n,[206]

Bis ihr Wonne Rhingulphs Ohr erreicht7.

Fußnoten

1 Man weiß aus Ossian, wie viel den Helden daran gelegen war, ihren Ruhm zu erlangen, d.i. besungen zu werden.


2 Mit einem größeren Gedichte.


3 Anspielung auf Kretschmanns Barden am Grabe des Majors von Kleist.


4 Es besteht aus drei Gesängen


5 Rhingulphs Gesang, als Varus geschlagen war, und Rhingulphs Klage, zwey unvergleichliche Nationalgedichte. –


6 Eines der vorzüglichsten Lieder auf Gellerts Tod.


7 Als sie dasselbe erreichte, sang Rhingulph entgegen:


Sined, treu'ster Freund von Fingals Sohne! –

(Bardenehre werde dir zum Lohne) –

Nimm geneigt die Klage, die bey Harfenklang

Rhingulph seinem Herrmann, seiner Irmgard sang1.


Ach dein Lied! – Noch bin ich ganz Entzücken! –

Möge Bardenfreude dich beglücken!

Hätt' ich Ullins Lieder2, böt ich sie dir an;

Aber! – nimm o Sined, was ich geben kann.


Freundschaft knüpf' um uns die heil'gen Bande!

Nimm dieß Lied, die Hand, dieß Herz zum Pfande!

Unsern Bunde staunen blöd're Geister schon:

»Sined der Druide! – und – der Bardensohn!«


1 Er sandte ihm zugleich die Klage.


2 Ullin war Fingals Oberbarde.


Quelle:
Michael Denis: Auserlesene Gedichte, Passau 1824, S. 201-207.
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