1.

[84] In fernen und gewitterschwangern Tagen

Floh durch die Pampa hin ein Reisewagen.


Ein Gaucho, auf der Stirn das Todesmal,

Ein Häuptling saß darin, ein General,


Quiroga – von der heimatlichen Erde

Nur eines fordernd: Pferde, frische Pferde!


»Ha, ein Gespann!« – das war sein steter Ruf –

»Mein Schicksal hängt an eines Rosses Huf.«


Sein blutgetränktes Banner war zerrissen;

Doch durch die Wildnis trieb ihn sein Gewissen.


Er mußte sterben – und umsonst gewarnt

Kam er von Córdova, verfolgt, umgarnt.


»Fort, fort!« – Ein Dämon spornte seine Flanken;

Nach Buenos-Ayres flogen die Gedanken
[84]

Dem Feinde zu, den die Geschichte kennt1

Santos Peréz war dessen Instrument.


Ein Sohn der Pampa, grimmig, racheschnaubend,

Dabei an eine hohe Sendung glaubend;


Durchtobt von zügelloser Leidenschaft,

Und doch – ein junger Baum voll edler Kraft.


Beritten hält er dort mit Kameraden

Im Busche, die Pistolen scharf geladen.


Quiroga naht – Galopp und Peitschenknall

Verkünden ihn. – Vorwärts! – Ein Schuß – ein Fall – –


Durchs Auge ist die Kugel ihm geflogen,

Die schwarze That, der grause Mord vollzogen.


»Jetzt«, ruft Peréz, »das andre abgethan:

Begleiter, Diener – alle müssen dran;


Die Messer her, die Hälse abgeschnitten!«

Da kommt er auf den einen losgeschritten


Und fragt: »Wer ist der kleine Postillon

Dort auf dem Schimmel?« – »Meiner Schwester Sohn,«
[85]

Antwortet jener; »o es wäre schade

Für diesen Jungen; Gnade, Señor, Gnade –!«


»Was Gnade!« rast der Mörder; »er wie du! –

Blut fordert Blut.« Ein Fluch – dann stößt er zu.


Und von dem Leichnam wieder aufgesprungen,

Faßt er am Fuß den armen Gauchojungen.


Ein Knabe ist's – acht Jahre oder zehn –,

Die Mutter hat ihn ungern ziehen sehn.


Er aber, um den Onkel zu begleiten,

Um einmal recht nach Herzenslust zu reiten,


Bat lange, lange – und sie ließ ihn ziehn.

Jetzt ist's zu spät, zu ihr zurückzufliehn.


Wohl greift er krampfhaft in des Schimmels Mähne;

Umsonst – zu Boden reißt ihn die Hyäne.


Er fällt – des Henkers Messer ist gezückt,

Und auf des Kindes Brust sein Knie gedrückt.


Der Knabe windet sich in Todesschrecken;

Die Thränen, ach, die sein Gesicht bedecken,


Der Schweiß, der seine blonden Locken näßt,

Die Angst, die keine Worte finden läßt,


Des Kindes Wimmern, seiner Schwäche Zeichen –

Nichts kann des Ungeheuers Herz erweichen,
[86]

In seine Seele fällt kein Sonnenstrahl –

Und in die Gurgel bohrt er ihm den Stahl.


Er läßt die Leiche unbegraben liegen,

Und sprengt davon – die Toten sind verschwiegen.

Fußnoten

1 Juan Manuel de Rosas.


Quelle:
Ludwig Ferdinand Schmid: Dranmor’s Gesammelte Dichtungen, Frauenfeld 41900, S. 84-87.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Der Condor / Das Haidedorf

Der Condor / Das Haidedorf

Die ersten beiden literarischen Veröffentlichungen Stifters sind noch voll romantischen Nachklanges. Im »Condor« will die Wienerin Cornelia zwei englischen Wissenschaftlern beweisen wozu Frauen fähig sind, indem sie sie auf einer Fahrt mit dem Ballon »Condor« begleitet - bedauerlicherweise wird sie dabei ohnmächtig. Über das »Haidedorf« schreibt Stifter in einem Brief an seinen Bruder: »Es war meine Mutter und mein Vater, die mir bei der Dichtung dieses Werkes vorschwebten, und alle Liebe, welche nur so treuherzig auf dem Lande, und unter armen Menschen zu finden ist..., alle diese Liebe liegt in der kleinen Erzählung.«

48 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon