Der Teetisch

[152] Leugnen willst du Zaubertränke,

Lachst mir höhnisch in die Zähne,

Wenn Isoldens ich gedenke,

Wenn Gudrunens ich erwähne?
[152]

Und was deine kluge Amme

In der Dämmrung dir vertraute,

Von Schneewittchen und der Flamme,

Die den Hexenschwaden braute;


Alles will dir nicht genügen,

Überweiser Mückensieber?

Nun, so laß die Feder liegen,

Schieb dich in den Zirkel, Lieber,


Wo des zopfigen Chinesen

Trank im Silberkessel zischet,

Sein Aroma auserlesen

Mit des Patschuls Düften mischet;


Wo ein schöner Geist, den Bogen

Feingefältelt in der Tasche,

Lauscht wie in den Redewogen

Er das Steuer sich erhasche;


Wo in zarten Händen hörbar

Blanke Nadelstäbe knittern,

Und die Herren stramm und ehrbar

Breiten ihrer Weisheit Flittern.


Alles scheint dir noch gewöhnlich,

Von der Sohle bis zum Scheitel,

Und du rufst, dem Weisen ähnlich:

»Alles unterm Mond ist eitel!«


Dir genüber und zur Seite

Hier Christinos, dort Carlisten,

Lauter ordinäre Leute,

Deutsche Michel, gute Christen!


Aber sieh die weißen schmalen

Finger sich zum Griff bereiten,[153]

Und die dampfumhüllten Schalen

Zierlich an die Lippen gleiten:


Noch Minuten – und die Stube

Ist zum Kiosk umgestaltet,

Wo der tränenreiche Bube,

Der Chinese zaubernd waltet;


Von der rosenfarbnen Rolle

Liest er seine Zauberreime,

Verse, zart wie Seidenwolle,

Süß wie Jungfernhonigseime;


»Ting, tang, tong« – das steigt und sinket,

Welch Gesäusel, welches Zischen!

Wie ein irres Hündlein hinket

Noch ein deutsches Wort dazwischen.


Und die süßen Damen lächeln,

Leise schaukelnde Pagoden;

Wie sie nicken, wie sie fächeln,

Wie der Knäuel hüpft am Boden!


Aber, weh, nun wird's gefährlich,

»Tschi, tsi, tsung.« – Die Töne schneiden,

Schnell hinweg die Messer! schwerlich

Übersteht er solche Leiden;


Denn er schaukelt und er dehnet

Ob der Zauberschale Rauche;

Weh, ich fürcht' am Boden stöhnet

Bald er mit geschlitztem Bauche!


Und die eingeschreckten Frauen

Sitzen stumm und abgetakelt,

Nur das schwanke Haupt vor Grauen

Noch im Pendelschwunge wackelt;
[154]

Tiefe Stille im Gemache –

Trän' im Auge – Kummermiene, –

Und wie Glöckchen an dem Dache

Spielt die siedende Maschine;


Alle die gesenkten Köpfe

Blinzelnd nach des Tisches Mitten,

Wo die Brezel stehn, wie Zöpfe

In Verzweiflung abgeschnitten;


Suche sacht nach deinem Hute,

Freund, entschleiche unterm Lesen,

Sonst, ich schwör's bei meinem Blute,

Zaubern sie dich zum Chinesen,


Löst sich deines Frackes Wedel,

Unwillkürlich mußt du zischen,

Und von deinem weißen Schädel

Fühlst du Haar um Haar entwischen,


Bis dir blieb nur eine Locke

Von des dunklen Wulstes Drängen,

Dich damit, lebend'ge Glocke,

An dem Kiosk aufzuhängen.


Quelle:
Annette von Droste-Hülshoff: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 1, München 1973, S. 152-155.
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