Neuntes Buch

Hier herrschet nicht die Liebe, die dort verehret war;

Der Wollust, nicht der Cypris, raucht hier der Brandaltar;

Der Gott der Zärtlichkeit erregt hier wilde Triebe;

Sein Reich ist Sklaverey, und Wollust heißt hier Liebe.

Todt zum Gefühl der Tugend, in Weichlichkeit ersäuft,

Reißt seine Hand den Sklaven, den seine Wuth ergreift,

Im Taumel niedrer Lust, verliebt in seine Bande,

Vom Schmachten zum Genuß, und vom Genuß in Schande.

Unmännlich sinkt der Jüngling im Arm der Buhlerinn,

Und schmelzet in dem Schooße der Weichlichkeit dahin;

Verehrt ein falsches Weib, das seine Schätze liebet,

Und ihn geplündert dann dem Elend übergiebet.

Am Rande des Verderbens empfängt ihn dann die Wuth,

Und Raserey vollendet, was nicht die Wollust thut.[83]

Gepeinigt, in den Schimpf der Armuth tief versunken,

Entfliehet dann der Rausch; er sieht, nicht mehr betrunken,

Die Blumenvollen Thäler, wo alles sonst gescherzt,

Von keinem Strahl erleuchtet, tief, wie die Nacht, geschwärzt.

Die Wälder die ihn sonst an ihrer Brust umfingen,

Die Büsche, die ihr Laub um seine Laster hingen,

Der Bach, an dem die Wollust die Träume zu ihm rief,

Wenn er hier saß, und staunte, wenn er auf Blumen schlief,

Erinnern ihn an Schimpf; er sieht, sich stets verhaßter,

Statt seiner Freude, nichts, als Zeichen seiner Laster.

Da, wo die Amors scherzten, wo er den Himmel fand,

Da schütteln Furien die Fackeln in der Hand;

Da sieht er seine Schmach: dann pocht, von Angst zerrissen,

Sein Herz Verzweifelung, dann stürmet sein Gewissen;

Bis sein erzürntes Schicksal, das schon den Dolch entblößt,

An seiner Qual gesättigt, ihn in sein Opfer stößt,

Und der verjagte Geist, der diese Welt verfluchet,

Zur Höllen niederfährt, und dort die Ruhe suchet.

So herrschet hier die Liebe: die Wollust, und die Schmach,

Und Reue, und Verderben schleicht ihren Tritten nach.

Hier malt romantischer die Gegend ihre Bilder

Dem scheuen Auge vor, und die Natur ist wilder.

Es läuft nicht über Flächen, vom Himmel nur umgränzt,

Die hier ein niedrer Hügel, und dort ein Wald bekränzt:

Im Schwindel stürzt der Blick von abgerißnen Höhen,

Die ein versenktes Thal gigantisch übersehen.

Der Wald an ihrer Stirne verweilt den Mittagsstrahl,

Und gießet Nacht und Kälte ins wilde finstre Thal.[84]

Die Eiche drohet hier, der Winde Raub zu werden;

Die Wurzeln starren schon, wie Adern aus der Erden.

Ein Strom, in dessen Welle der Sand des Ufers schmelzt,

Der unter Felsen naget, und sie dann niederwälzt,

Gießt donnernd seine Fluth durch zitternde Gesträuche

Der über seinen Strom herabgesunknen Eiche.

Der Vogel eilt von dannen, durch sein Geräusch verjagt,

Der Wiederhall entsetzt sich, und das Gebüsche klagt.

Die Furcht sträubt hier das Haar; von wütenden Gedanken

Pocht hier des Wandrers Herz, und seine Füße wanken;

Wenn über seinem Haupte, zum Himmel aufgethürmt,

Um des Gebirges Stirne der ganze Buchwald stürmt.

Nie schaut in dieses Thal der hellste Frühlingsmorgen;

Der Argwohn wohnet hier, die Reu, und finstre Sorgen,

Der Abscheu für das Leben, der Grimm, die Rachbegier.

Ein sanftrer Himmel decket ein stilleres Revier,

Wo bald ein Mirthenhain des Thales weite Fläche

Mit dunklern Schatten bricht, und bald geschlungne Bäche.

Hier athmet man die Wollust; die Adern schwellen hier

Von einer matten Sehnsucht, und trunkener Begier.

Vergessenheit der Scham, Einschläferung der Tugend,

Beschleichen hier das Herz der aufgefeurten Jugend.

Hier feyret man der Göttinn ein ärgerliches Fest,

Wo alles sich den Flammen der Wollust überläßt;

Nichts ist dann untersagt; und Bachus, der Verwüster

Der Unschuld, und der Scham, begeistert seine Priester.

Sie schütteln hier den Thyrsus; der volle Becher blinkt,

Die Herzen schlagen wilder, man liebet, tanzt, und trinkt.[85]

Hier sah ich einen Schwarm von Paphos Buhlerinnen;

Ihr Auge flog umher, um Herzen zu gewinnen.

Beladen mit der Beute, die ihren Schimpf bezahlt,

Erschienen sie voll Reichthum, gesalbet, und gemalt;

Stolz schien die volle Brust, die Last empor zu heben,

Die eine halbe Welt zum Schmucke hergegeben.

Ihr Gang war frey, und reizend; ein leicht und flatternd Kleid

Verrieth die schönen Füsse, und machte Lüsternheit.

Ich sah von jedem Tritt ihr Kopfgeschmeid erschüttern,

Und wie ihr Busen gieng, der Steine Strahlen zittern.

Ein flüchtigs, brennend Auge, der Schimmer dieser Pracht,

Die Sehnsucht ihrer Blicke, die Ueppigkeit der Tracht,

Die wilde Zärtlichkeit, womit sie sich umfingen,

Versammleten um sie den Schwarm von Wollüstlingen.

Sie hingen ungesittet an ihrer Führer Hand;

Die Wangen glühten feurig, ihr glänzend Auge brannt;

Sie lachten, neigten sich, und husteten mit Willen,

Und zwangen mit Gewalt, die Brust empor zu quillen.

Sie zogen an dem Schleyer, und zeigten oft dem Blick

Des Führers, was er suchte, und bogen sich zurück.

Ihr fliegendes Gewand, das um die Glieder rollte,

Verhüllte gar zu schlecht, was es verrathen sollte;

Und ließ, der heißen Sehnsucht des Buhlers noch zu karg,

Das übrige nur denken, was es nicht gern verbarg.

Ich fühlte die Gefahr, und schlug die Augen nieder;

Ein nie gefühltes Feur schlich sich durch meine Glieder;

Mein Herz fing an zu klopfen; Zephise, sprach ich, nein,

Hier kann nicht das Gebiethe von unsrer Cypris seyn.[86]

Ach! flieh mit mir die Luft! ich fürchte diese Erde;

Ich fühle, daß ich hier nicht widerstehen werde.

Zephise, die das wünschte, was ich zu fühlen schien,

Sprach seufzend: das Gebiethe der Liebe willst du fliehn?

Wenn willst du doch einmal, den Kummer zu entfernen,

Das reizendste Gefühl der Cypris kennen lernen!

Du kanntest nur den Schatten. Du scheutest dich, Aedon,

Vergnügen zu empfinden, und Kummer war dein Lohn!

Ach wie bedaur ich dich! dein Glück ist dir verborgen;

Die Liebe willst du nicht, du willst nur ihre Sorgen!

Was willst du, daß ich fühle? sprach ich, o willst du wohl,

Daß meine Scham der Liebe ein Opfer werden soll?

Willst du, daß ich mich frey der Flamme überlasse,

Nicht mehr unschuldig sey, und mich dann selber hasse;

Was soll ich mehr empfinden? Ich fühle, daß ich nie

Von solchen Flammen brannte, und kaum bekämpf ich sie!

Cephise sah mich an, mit aufgeblühten Wangen,

Und jeder Blick auf mich sprach feuriges Verlangen.

Hier, sprach sie, herrscht die Liebe, nicht, um bekämpft zu seyn;

Verlacht den Stolz der Tugend, und strafet sie mit Pein.

Ihr Stolz ist ihre Lust, besiegt seyn, und besiegen:

Hier fesselt sie kein Zwang, sie nimmt und giebt Vergnügen.

Was hat sie in Cythere, das Herzen fesseln kann?

Ihr seufzt, ihr fleht um Liebe, und bethet ewig an.

Der Abgott eurer Gluth verschmachtet nach Vergnügen,

Und sieht euch mit Verdruß zu seinen Füssen liegen.

Oft haßt er diese Demuth; und statt der Zärtlichkeit

In Worten, oder Blicken, wünscht er Verwegenheit.[87]

Chimerisch ist der Stolz, und Qual ein Zwang der Triebe!

Ist nicht der Gott der Lust zugleich der Gott der Liebe!

Sie sagts, ein Blick voll Sehnsucht, der durch die Seele fuhr,

Erweckte alle Geister der stürmenden Natur.

Ihr Götter! rief ich aus, du kannst die Tugend hassen?

Cephise, lebe wohl! – und gieng, sie zu verlassen.

Mit Zittern trug mein Fuß mich von dem verwünschten Ort,

Mein Herz flog, und ich seufzte; allein, ich riß mich fort.

Dem Tempel gieng ich zu: hier sah ich ein Gedränge

Von beyderley Geschlecht, und folgte dieser Menge.

Itzt war ich in der Halle; was war es, was ich sah?

Was für ein Dienst? ihr Götter! erschrocken stand ich da!

Wie ist durch Barbarey der Venus Dienst verwildert!

Ich sah die Wollust hier, statt Cypris abgeschildert;

Ich sah den Gott der Liebe, – den Gott der Liebe? ach!

Ein Gott des Hasses war er, der Schrecken, und der Schmach!

Der Maler stellt ihn hier auf umgestürzten Thronen,

Die er zu Boden tritt, und seinen Fuß auf Kronen.

Er schwingt, mit wildem Lächeln, die Fackel in der Hand,

Das Schwert frißt hier die Menschen, die Städte dort der Brand.

Den Kampfplatz decken Blut, und theure Niederlagen,

Und Helden, die die Faust der Eifersucht erschlagen.

Hier reißt der wilde Sieger entweihte Töchter fort,

Und schleppet sie in Ketten, als Sklavinnen, an Bord.

Ein ander schrecklich Bild malt Klytemnestrens Schande:

Die Furie zerreißt des erstern Hymens Bande.

Zertreten von Aegysthen, krümmt Atreus Sohn sich hier,

Verwundet an der Erde; der Grimm, die Rachbegier,[88]

Erscheint ihm im Gesicht; er sinkt, und will sich halten;

Und Blut strömt von der Stirn, die schon das Beil gespalten.

Cassandra liegt im Blute, und Klytemnestra stößt

Den Dolch in ihren Busen, der Unordnung entblößt.

Electra flüchtet hier, und trägt in wilder Eile

Den weinenden Orest, und raubet ihn dem Beile.

Auf schrecklichern Gemälden erscheint hier Cyniras;

Das eine zeigt sein Laster, das andre seinen Haß.

Die Wollust führet hier, an einer ehrnen Kette,

Die Myrrha, ohne Schleyr, in ihr verfluchtes Bette;

Die wilden Mänaiden, gehn ihrem Opfer vor,

Und halten, ihr zu leuchten, die Fakeln hoch empor.

Dort fliegt sie voller Angst, und rettet kaum ihr Leben:

Ihr Antlitz redet Furcht, und ihre Haare schweben

Wild um die blassen Wangen: Grimm, Blutbegier und Haß,

Durchfalten hier die Stirne des finstern Cyniras,

Der, da er Myrrha kennt, die Furcht entfliehen heißet,

Voll Wuth sein Schwert ergreift, und aus der Scheide reißet.

Dort bildet dir der Pinsel, mit schandenfroher Kunst,

Die Weichlichkeit auf Rosen, der Liebe letzte Gunst;

Und um der Sittsamkeit das Laster zu verstecken,

Weis er die Göttinn selbst auf Blumen auszustrecken.

Adonis leget schmachtend sein Haupt in ihren Schooß,

Und Amor reißt, im Spiele, den leichten Gürtel los.

Dort wallt die ebne Fluth in Kreisen um Najaden,

Die, nicht belauscht zu seyn, sich unter Schatten baden:

Ein Faun, gereizt von Neugier, lauscht aus dem dichten Rohr,

Womit der Strand ihn decket, voll Lüsternheit hervor.[89]

Dort läßt er von dem Hauch neugieriger Zephyren,

Der schönen Schlummernden ihr ganz Gewand entführen.

In mehr, als tausend Bildern, die sie zu Hülfe nahm,

Bestreitet hier die Wollust die Unschuld, und die Scham,

O! sollte Cypris hier noch ihren Tempel kennen,

Und Opfern gnädig seyn, die ihr zur Schande brennen?

Man kennt hier nicht der Seelen beglückte Harmonie;

Man ehrt hier nicht die Liebe, nein, man entheiligt sie!

Welch schrecklicher Betrug hat mich hieher gezogen!

Cephise lasterhaft? – Cephise mich betrogen? –

Ihr Götter! hat die Erde, die ich nun halb durchirrt,

Kein Herz, das meiner Freundschaft nicht zum Verräther wird?

Ich will den Boden fliehn; verderblich sind die Lüfte,

Und Wollust, was man schöpft, die Rosen hauchen Gifte.

So seufzt ich voller Schwermuth; und wünschte bald zu fliehn,

Bald fühlt ich eine Trägheit, die mich zu halten schien.

Oft gieng ich voll Entschluß; doch meine müden Glieder

Versagten mir den Dienst, und matt sank ich darnieder.

Dann dacht ich an Zephisen, dann zog mich die Begier,

Sie einmal noch zu sehen, gewaltiger zu ihr.


Quelle:
Johann Jakob Dusch: Der Tempel der Liebe, Hamburg und Leipzig 1757, S. 80-90.
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