Tugent kennt sich selber nit.

Virtus suijpsius nescia.

[146] Der gläubig glaubt nicht daß er glaube / vnn weyß doch wz od' wem er glaubt. Rechte tugēt ist so zart /dz sie sich selbs nit weyß od' sihet / sond' es steht jr allein jr fehl / abgang / vnnd gebrechen vor den augen / also daß ein demütiger nicht weniger weyß / dann daß er demütig ist. Die da betten / habē so vil zuschaffen mit vnserm Herrgot / daß sie nit wissen od' dran gedencken / dz sie bitten / so hoch lassen sie jn das gebett anligen. Also hat der glaubig so vil mit seinem vnglauben zukempffen vnnd außzufegen / hat auch seinn vnglauben so hoch vnd offt erfaren / daß er nit kan glauben / dz er glaubt / ob er gleich glaubt /Er hat vor auch offt gemeynt er glaube / vnnd stehe bloß auff Gott / so ist er erwan auff einem heymlichen abgot / Nemlich vff seinn henden / kunst / freund schafft / gesundtheyt / glück oder handtwerck gestanden / das er selbs nit gewißt hat / vnnd geacht / er hang bloß an Got / biß jm der abgot genommen vnd entzuckt ist worden / so ist sein glaub in der äschen gelegen / dann so hat er erfaren / daß sein glaub nit bloß auff Got ist gestanden / sonder auff disem seinem nebengot / mit dem sein glaub ist gefallen. Zuletzst fahet er an jm selbs nimmer zutrawen / vnn glaubt nit daß er glaube / ob er gleich glaubt / allzeit besorgende / es steck ein heymlicher abgot dar hinder / den er nit wiß / darauff er bawe. Vnd ist also vil mehr tugent / glauben / gebett / vnd frombkeyt hinder den Gottseligen / dann sie selbs glauben / wissen vnd anzeygen.

Die heuchelei aber hat allweg vil geschrey / wenig woll / vnd erzeygt vil tugent / darhinder nichts ist /vnd glaubt immerzů sie sei fromm /[146] auffrichtig / gläubig / etc. auch so sies nit ist / Ja nicht wenigers / noch bleibt der Gottloß jhm selbs vnd der welt heilig vnd gottselig. Aber der gottselig ist im gegentheyl nicht weniger dann fromm / in seinn vnd der welt augen / er richtet vnd vrteylt sich allzeit selbs / Prou. xviij. j. Cor xj. vnnd wirt von der gantzen welt als ein gottloser bůb geurteylt / j. Cor. iiij: Des er aber nit acht /weil er sich selbs dises zeihet vnn also vrteylt. Diß erscheint alles in Christo / den Aposteln / vnn allen Gottes heiligen. Wie wol es auch war ist / daß er in seinem vnglauben glaubt / vnnd etlicher maß auch sich selbs probiert / vnd weyß daß er im glauben ist /vnn Gott gefalle / ij. Corin. xij. iedoch dunckt es jn nit gnůg sein / sonder hat so vil zuschaffen / mit seinem vnglauben zukempffen / daß er seines glaubens daruor vergißt.

Quelle:
Egenolff, Christian: Sprichwörter / Schöne / Weise Klugredenn. Darinnen Teutscher vnd anderer Spraach-en Höfflichkeit [...] In Etliche Tausent zusamen bracht, Frankfurt/Main 1552. [Nachdruck Berlin 1968], S. 146-147.
Lizenz:
Kategorien: