XXVI. Brief

An Amalie

[50] Wahrhaftig! – Du bist ein tolles Mädchen! In deiner verliebten Schwärmerei sehr gefährlich für deine eigene Ruhe. Es würde Dir sehr übel bekommen, wenn man Dich so deinen Trab fortschlendern ließ. Höre, Mädchen, meine Furcht in der Liebe hat ihre Ursachen, wenn Dir diese Liebe, die bei Dir so herzlich willkommen ist, so oft und so garstig den Kopf verrükt hat, wie mir, denn wirst Du Dich gewiß auch vor ihr hüten. Noch einmal! Du bist zu leichtgläubig gegen die Männer; – oder hast Du etwa mit den Zufällen in der Welt einen Bund geschloßen, daß sie just dich vor einem Modegekken schüzzen? – Dünkt Dich denn die Zahl der bieder Liebenden so groß? – Warum willst Du Dich so leicht von einer Hoffnung täuschen lassen, die so lokkend zum Abgrunde führt, und nur Wenige nicht betrügt? – Blinde Träumerin! – Dein Doktor wird so dumm nicht seyn, und sein Schleichen merken laßen. Dem Feind zur Schlacht Muth machen, thut kein erfahrner Kriegsheld. – Fahre meinetwegen fort, so oft und so lange zu lieben als Du willst, nur nicht zu aufrichtig, zu heftig, eh Du gewis bist, daß man Dich wieder liebt. – Freundin, sey mir nicht zu gutherzig gegen die Männer; die wenigsten verdienen es. Adle deine Neigung mit Mistrauen, hernach darfst Du Dir nicht so vielen Zwang anthun; denn jedes Mädchen, das in der[50] Liebe sich verstellt, stolpert um desto geschwinder, weil Zwang einen feurigern Ausbruch zubereitet. Es giebt Menschen, die eine Zeitlang unterdrükt handeln, aber um so viel närrischer nach der Hand, wenn der Daum wieder wegglitscht, den sie auf die Leidenschaften drükten. – Dein Traum vom Doktor war drolligt; so etwas muß freilich die Eitelkeit eines Liebhabers kizzeln. – Nur hätte deine Freundin ihn nicht wieder erzählen sollen, das war unvorsichtig von ihr gehandelt. – Es taugt gar nicht, daß er nun ganz überzeugt von deiner Liebe ist. Wer weis, ob er bei dieser Gewisheit nicht aufs Neue nach einer andern lüstern wird, wenigstens ist dies die herrschende Krankheit unserer jezzigen Adamssöhnen. – Ich wünsche zum Schluß von Herzen, daß Du bald einen harmonischen Wiederhall finden mögest – für izt kann ich es noch nicht glauben. Lebe wohl!


Deine Fanny.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 50-51.
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