XXXVII. Brief

An Fanny

[77] Wenn ich Dich so lange Zeit auf einen Brief warten lies, so schreibe diese Nachläßigkeit nicht auf Rechnung meines Herzens. Die vielen Modearbeiten gaben mir und meiner Freundin so viel zu thun, daß ich mein Lieblingsgeschäft, Dir zu schreiben, hintansezzen mußte. Ich habe seither im Puz wakker arbeiten gelernt, und Frau Mama lies mich zur Belohnung meines Fleißes öfters das hiesige Schauspielhaus besuchen. Da sah ich allerhand Zeugs und besonders mehr schlechte als gute Stükke. – Meine Kenntniße in diesem Fache fangen nun an sich zu entwikkeln, weil ich jede Vorstellung in Gesellschaft von Kennern mitansehe und beobachte. Da wird denn nun vieles über diese Kunst gesprochen und kritisirt, bei welcher Gelegenheit ich mir immer das Wichtigste merke. Das Schauspiel ist mir nun nicht mehr so neu, als da ich es zum erstenmale besuchte, und eben darum sind jezt meine Urtheile mit kälterm Blute abgefaßt und wie mir dabei dünkt, richtiger, als zu Anfang, wo meine lebhafte Einbildungskraft alles gierig verschlang, was ich vorher noch nicht gesehen hatte. Der Direktor der Gesellschaft ist Herr Sch***, ein schöner junger Mann; Schade nur, daß seine Gesundheit durch ein unregelmäßiges Leben auf der Neige steht. – Eine gewiße M*** spielt die Rolle einer Liebhaberin auf der Bühne mit viel treuer Schwärmerei; wenn sie nur außer der Bühne nicht das Gegentheil behauptete! – Des Direktors Weibchen ist ein lebhaftes, feuriges Ding, handelt aber wie die meisten Schauspielerinnen, denen es an Erziehung fehlt, ohne Grundsäzze, blos sinnlich. – Mangelt es bei solchen herumreisenden Gesellschaften dem Haupte davon[77] an guten Sitten, so weis man, was sich von den Uebrigen denken läßt. Während der Zeit, daß diese Schauspielergesellschaft sich hier aufhielt, fielen unter ihnen einige merkwürdige Auftritte vor, die dem Zuschauer jede Moral, die aus dergleichen Leute Munde kömmt, unwahrscheinlich machen muß. So feurigen Hang ich in mir fühle, mich einstens dieser Kunst widmen zu können, so sehr schrökt mich der zügellose Wandel dieser Leute davon ab. – Ist es nun zu verwundern, wenn der gesittete Mann die Thüre vor solchen Geschöpfen schließt? – Ist es zu verwundern, daß der gemeine Mann, der nicht Einsicht genug hat, hie und dort eine Ausnahme zu machen, den Schauspieler bei lebendigem Leibe für verdammt hält? – Ich finde es unverzeihlich, daß die Obrigkeit auf reisende Schauspieler kein wachsameres Auge hat. Sie machen doch einen wichtigen Gegenstand aus, und sollten eben darum, weil sie zu Verbeßerung der Sitten bestimmt sind, zu einem exemplarischern Lebenswandel, als andere Menschen, gehalten werden. Doch jezt zu andern Neuigkeiten! Ich schrieb meinem Vater von hier aus schon einige Briefe, und lezthin antwortete mir der junge schwärmerische Vetter B**** im Namen meines Vaters. Ich kann Dir nicht genug sagen, wie sehr er meine Schreibart erhebt. Lies einmal eine Stelle aus einem seiner Briefe, die ich Dir hersezzen will. – Du bist ein theures vortrefliches Geschöpf, und wirst einstens manchem von unserm Geschlecht den Kopf verdrehen! Dein Geist bildet sich täglich mehr, und welche Wonne für Den, der Dich einstens mit deinen Engelsvorzügen ganz besizzen wird! – Ei, du kreuzbraver Schmeichler! dachte ich mir bei Lesung seines Briefs, und antwortete ihm mit einer beissenden Satire. – Aber, nicht wahr, meine Freundin, er hat sie verdient? – Warum schreibt mir der Junge Albernheiten von der Art? – Die gefährlichen Jungens, wenn sie kaum lallen können, so fangen[78] sie schon an uns zu schmeicheln, und wißen recht gut, daß das bei den meisten Mädchen der Weg zum gefallen ist. Zu allem Unglük für uns hat uns die Natur weich genug gemacht, diesen Weihrauch mit Güte des Herzens zu erwiedern. Ich wünschte, daß alle Mädchen philosophisch dächten, um jedes Gefühl vom andern Geschlecht für Betrug anzusehen und die Männer so lange mit Ungewisheit zu kränken, bis sie uns beßer und treuer behandelten. Ueberall findet man so viele von beiden Geschlechtern betrogen. Woher kömmt denn doch ein so ungeheures Kaos von beiderseitigem Betrug? – Ich bin so böse, wenn ich die wechselseitigen Lügen betrachte, die man sich in der Liebe so leicht, so ungezwungen hinsagt. – In meinen vaterländischen Alpen, da geht's nicht so zu, man sagt einander nie was von Liebe, wenn man es nicht fühlt, aber wenn man es sagt, dann hält man sich auch Wort. Mich deucht, nur standhafte Liebe allein kann das Band der Glükseligkeit im menschlichen Leben knüpfen, und ich freue mich so herzlich, wenn ich so von ungefähr auf zwei Verliebte stoße, ich möchte alsdann den Schöpfer laut loben, der der Urheber dieser beiderseitigen namenlosen Gutherzigkeit ist, die zwei Zärtliche so gränzenlos mit einander theilen! – Länger kann ich aber heute nicht mehr mit Dir schwazzen, und außer einem Mäulchen, das ich dir aufdrükke, sag ich blos noch, daß ich bin


Deine Amalie.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 77-79.
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