LV. Brief

An Fanny

[135] Dein lezter Brief, meine Liebe, wurde mir ins Kloster nach A*** nachgeschikt. Mit allem Fleis hab ich ihn einen ganzen Monat bis zur Beantwortung liegen lassen. – Um Dir jezt desto besser sagen zu können, wie mir meine Einsamkeit behagt. – Du hast alles errathen, meine Freundin! – Die fürchterlich stillen Mauern reizen mich zum tiefsten Nachdenken. Das von Menschen entfernte Leben häuft Empfindungen in meinem Herzen, die in eine völlige Sehnsucht der Mittheilung ausbrechen. Ich finde, daß die Natur durchaus keinen andern Zwang leidet, als den, der von der gesunden Vernunft gebilligt wird. – Ein Herz, das mit gesunden Gefühlen und mit einem heitern Kopfe geschaffen worden, muß etwas haben, wo es sich anschmiegen kann. Liebe ist nun freilich das erste, nach welchem ein solches Herz greift, und wenn es dann im Kerker des Vorurtheils eingesperrt nichts erhaschen kann, was zur Befriedigung seiner[135] Leere beiträgt, dann ist es lebendig todt, dieses Herz. – Unzufrieden, mit einer todkranken Seele schleichen die armen Nonnen dem Grabe zu, das ihrer Jugend von Naturfeinden, von Menschenhassern so frühzeitig ist gegraben worden. – Das ist nun der erbärmliche Zustand so mancher gefühlvollen Nonne, die aus Leichtgläubigkeit oder Uebereilung auf ewig der Liebe und ihren Seligkeiten entsagte! – So manches gute Mädchen welkt da mit den tobenden Trieben der Natur im Busen als eine Märtirin der Grausamkeit dahin! – Die ganze Natur erinnert sie im düstern Klostergarten an Freiheit, an Liebe; mit Wehmuth sieht sie die kleinsten Insekten sich paaren, und schröklich schwer drükt dann der Gedanke der Unmöglichkeit ihr unglükliches Herz. – Sie flucht im Stillen der Schöpfung, weil sie ihr Triebe gab, die ihr zur lebenslänglichen Marter dienen. – Zwang reizt ohnehin jede Schwachheit zum Laster, und eine gute Seele braucht keine Schranken, weil sie sie selbst hinlänglich zu sezzen weis. – Dummköpfe und von der Natur Verwahrloste schleppen blind die Kette des Vorurtheils, und kleiden ihre Ausschweifungen in die Maske der Heimlichkeit ein. - - - - Es ist zum Entsezzen, was man da leblose, gebeugte Mädchen an den hohen fürchterlichen Klostermauern herumschleichen sieht. – Die Unglüklichen können sich der Natur nicht freuen, weil sie ihnen eine fürchterliche Tirannin scheint, der sie mit tausend Kämpfen, mit tausend Thränen entgegenstreiten müßen. – Natur und Vernunft können recht gut miteinander bestehen, und die leztere giebt der erstern mit gewisser Mäßigung nach. Aber Dummheit, Vorurtheil, Bigotterie und Natur sind von jeher die schröklichsten Feinde gewesen. – Mich deucht, die Einsamkeit des Klosters ist der Tugend eben so schädlich, als das große Getümmel der Welt. Das leztere überstimmt die Tugend, und führt aus Taumel, aus Zerstreuung, aus Beispiel zum Laster, und[136] die erste aus Langerweile, aus Mangel der nöthigen Erholung, wozu die Natur uns schuf. – Aber im mittelmäßigen Bürgerleben, entfernt von den Thorheiten, frei vom Zwang in den Armen eines Gatten, (scheint mir) ist der Weg zur zeitlichen und ewigen Glükseligkeit. Der Mensch braucht in diesem mühsamen Leben Aufmunterung, und wo findet er sie besser, als in den Armen der tugendhaften Liebe? – Weich gestimmt ist dann seine Seele, und selten wird man einen wahrhaft Liebenden lasterhaft sehen. Zufrieden im Zirkel seiner Wünsche arbeitet er fleißig, flieht das Geräusch, und lebt ohne übrige Leidenschaften, blos für sich und seine Familie. – O meine Theuerste! – Die Liebe hat für mich unendlich viele Reize. – Noch kenne ich zwar ihre Schiksale nicht ganz, aber wenn sie sich meinem schönen Ideal nur halb nahen, dann verlasse ich diese Mauern in aller Eilfertigkeit, so bald sich die Liebe meldet. Zum Denken ist mir zwar dieser Ort reizend, aber das Denken macht wollüstig, und eben dadurch fühlt ein junges Herz die traurige Leere desto heftiger. Ich habe hier eine Freundin; sie ist schon seit einigen Jahren Nonne. Jung, feurig und voll Schwärmerei mußte sie aus tollem Eigensinn ihrer Eltern den Schleier ergreifen. Sie kann weder dem Gefühle der Liebe, noch der Frömmigkeit opfern; ihr Wille ist zwar der Sklave ihrer Handlungen, aber ihr Herz, ihr Kopf murrt bis zum Grausen über die vorgesezten Regeln, womit man die Natur tirannisirt. – Die Frömmigkeit, die man in Gesezze einkleidet, ist immer das Werk der träumenden Bigotten, und nicht des freiwilligen Herzens. – Wenn das arme menschliche Herz nicht von selbst aus Ueberzeugung nach Moral greift, so ist das übrige ein erpreßtes Opfer aus Gewohnheit, aus Menschenfurcht. – Andacht und Laster haben ihre Extremen, beide werden zur kalten Gewohnheit, und manchmal ist das leztere nicht weit vom erstern, wenigstens[137] in Gedanken. Mich deucht, man kann in der Welt eben so gut das Gute üben und das Böse lassen, wie in Klöstern, und vielleicht besser, denn wer will in diesen Häusern des Haders dem Neid und der Feindschaft entgehen? – Es giebt ja in Klöstern vollkommene Sündenerfinderinnen, die in ihren phantastischen Köpfen an ihrem Nebenmenschen Alles als strafbar verdammen. Kurz, unser Geschlecht ist zu seicht im Kopfe, um die reine Moral nicht ins Abentheuerliche zu verwandeln. Ebendeswegen sollte man durchaus keine solche Pflanzschulen des Aberglaubens dulden. Die Weiber, die sich auf ein Häufchen sammeln, sind zu blödsichtig, um das Ehrwürdige der Religion nicht auf lächerliche Abwege zu leiten. Ihre Absicht in den Mauern, der Natur zum Troz, aus Selbstbezwingung zu vergrauen, mag für kurzsichtige Weiberköpfe gut seyn, aber für hellere taugt sie nicht. Die Tugend, die keinen öffentlichen Streit auszuhalten vermag, hat keinen Werth. Die Gelegenheit zur Sünde, die man in der Welt freiwillig meidet, verdient weit mehr Belohnung, als die Aufopferung seiner Begierden in Klöstern, die nie anders als durch eigne Gedanken gereizt werden. – Wenn ein Mädchen in der Welt frühe ans Denken gewöhnt wird, wenn ihre Leidenschaften geordnet, ihr Herz gefühlvoll und gut ist, dann wird sie triumphirend mit ihrem Ehrengefühl durch das Verderbnis der Welt hinwandern, und wenn sie auch zuweilen strauchelt, so versöhnt ihre empfindsame Reue den Schöpfer weit besser, als jene monotonen Bußgebeter der Nonnen, die nur die Oberfläche von den bei ihnen im stillen wütenden Leidenschaften berühren. – Du wirst über meine Anmerkung lachen, und beinahe glauben, daß ich diesen Aufenthalt blos wählte, um die darinn herrschenden Thorheiten auszukundschaften. – Ganz Unrecht hast Du darinn wohl nicht. Lebe wohl! Deine


Amalie.[138]

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 135-139.
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