LXV. Brief

An Fanny

[165] Du liebe Freundin wirst über mein Stillschweigen gestaunt, gezittert und unabläßlich der Ursache davon nachgeforscht haben. Ich weis, daß ich dadurch dein Herz zerrißen, deine Freundschaft beleidigt und deiner Seele Kummer gemacht habe. Es war nicht meine Schuld, Fanny; halte es zurük dein Verdammungsurtheil! – Ich habe deinen leztern Brief wohl tausendmal gelesen, eben so innig gefühlt, und ihn bei seiner Durchlesung durch Thränen des guten Willens völlig aufgezehrt. Bei Gott sey es geschworen, meine Freundin! – Ich habe alles versucht, mein neues Unglük, das deine ganze Vernunft niederdonnern wird, zu dulden! – Ich lebte vier ganzer Monat ohne Trost mit der Gelassenheit einer Christin; aber nun harre ich nicht länger in der entsezlichen Lage aus, ich muß mir Luft machen! Du sollst es erfahren, was mit deiner Amalie vorgeht; Du sollst mich in der Welt allein bedauern, denn von Andern mag ich nicht bedauert seyn! – Ich kann ihn nicht wieder zurükthun, diesen Schritt, der mir eine schaudervolle Zukunft verspricht! – Er ist geknüpft vor dem Altar der Knoten meines ewigen Kummers! – Und nun höre wie deine Freundin für ihr gutes Herz belohnt wird. – Ungefähr einen Monat nach der Zurükkunft meines Mannes, genos ich noch selige, wonnevolle Tage, doch die Täuschung wurde kurz hernach in eine schrökliche Aussicht verwandelt. Ich entdekte in meinem Manne den leidenschaftlichsten Spieler, den je die Erde trug! – Er war schon so tief in diesem Laster gesunken, daß er mich in dem zweiten Monate meiner Ehe ganze Nächte durch von ihm verlassen mit der Verzweiflung ringen lies.[165] Ich versuchte alles, um ihn durch Sanftmuth davon abzuhalten, anfänglich schien es auf ihn zu wirken, er versprach mir Besserung, aber der Schwache täuschte sich selbst, denn er war wieder auf dem alten Weg, eh er mir nur Zeit lies, neue Kunstgriffe der Zärtlichkeit gegen ihn anzuwenden. Die Gewohnheit des Spiels half ihm zur Verstellung, zur Lüge, er täuschte meine Leichtgläubigkeit mit Unwahrheit, wenn er sein langes Ausbleiben mit nichts anders zu entschuldigen wußte. Er ist kalt, rauh, leichtsinnig, nachläßig in seiner Pflicht durchs Spiel geworden. Er nährt nur den Endzwek des Eigennuzzes, und diesen verfolgt er auf Kosten seiner Ehre und seines guten Namens. Er war von jeher Spieler von Profeßion; und die niederträchtigen Stifter meiner Ehe, sagten mir es nicht, oder wußten es vielleicht selbst nicht. – Aus Barmherzigkeit, Freundin, gieb mir Rath, gieb mit Auskunft, wie ich mich in dieses Elend finden soll! – Mein Mann herrscht unumschränkt über unser beiderseitiges Vermögen, und ist schon so weit verwildert, daß er mir keinen Blik in seine ökonomische Lage erlaubt. Er befriedigte zwar bis jezt die Bedürfniße des Hauses, lies es mir an nichts fehlen, aber ist übrigens verschloßen und geheimnisvoll. Ich habe ihn beobachten lassen; er verspielt täglich große Summen und gewinnt selten; er hat noch überdies die rasende Sucht an sich, das Spiel zwingen zu wollen, und nichts bringt ihn vom Spieltisch weg, wenn er sichs in den Kopf gesezt hat zu gewinnen. Gott! – Gott! – Wie kann ein fühlender Mensch seine Ruhe, die Liebe seines Weibs, die Glükseligkeit seines Hauses dem eigensinnigen Glük des Spiels entgegensezzen? – Lokkere Gesellen sind sein Umgang, eine Art kalter Sorglosigkeit seine Philosophie, Ekkel an Allem, außer dem Spiel, scheint seine Seele zu bemeistern. Sein Herz dünkt mich nicht ganz böse, aber seine Grundsäzze sind nicht weit her. Er scheint mich mehr im Taumel seiner[166] Leidenschaften zu vergessen als zu verachten. Seine Liebe sucht nicht die moralische Nahrung in meinem Herzen, die unser Beider Glük ausmachen könnte. Er sieht mehr auf die Befriedigung körperlicher Pflichten bei mir, als auf die Beruhigung meines verstimmten Gemüths. Er hat nicht unbefangenen Geist genug, um in den innern unglüklichen Zustand meines Herzens zu dringen. Er hält mein sprachloses Leiden für Schüchternheit, meine Thränen für Schwachheit, meine Gutheit für Einfalt, mein Nachgeben für Sklaverei, meine Liebe für überspannt. So beurtheilt er mich, und so bin ich sein Geschöpf, aus dem er machen kann, was er will. Heimliche Raserei hat sich schon oft meiner bemächtigt, oft war ich im Begrif bei Erblikkung der nächsten lebenden Kreatur in lautes Geheul auszubrechen und ein Menschenherz zu suchen, das Antheil an meinen Leiden nähme! Blos die Schonung unsers beiderseitigen guten Namens hielt mich bis jezt noch von Entschlüßen ab, die fürchterlich ausfallen könnten! – In vier Wochen kömmt mein Oheim von seiner Reise zurük; wie werde ich mein Verbrechen vor ihm entschuldigen können? – Wie werde ich erscheinen, vor einem Manne, der Freude an mir zu erleben glaubte? – Wie werde ich beben, ihm das Geständniß meiner übel getroffenen Ehe zu entdekken! – Wie gräßlich wird mein selbstgewähltes Schiksal seine Vorwürfe erschweren! – Er wird mich von sich stoßen, er wird mich meinem Gram überlassen! – Ich werde erliegen unter der Last meines Elends! – O Freundin! – Mitleiden – Mitleiden mit deiner äußerst schwermüthigen


Amalie.[167]

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 165-168.
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