LXVII. Brief

An Fanny

[170] Vier Wochen sind wieder vorbei, und ich habe sie durchgeweint und durchgeseufzt! – Es ist aus, meine Fanny, mit der Beßerung meines Mannes! – Ich habe Alles angewandt, Alles versucht, und nichts hat auf ihn gewirkt! – Er fängt an über meine Sanftmuth mürrisch zu werden, er bleibt jezt des Nachts länger als jemals aus. Wenn er dann zu Hause kömmt, so beherrscht ihn eine Laune, die mich durch und durch erschüttert! – Schlaflos, voller Furcht, unter banger Erwartung schleichen meine Stunden des Nachts dahin, bis ich die Thüre öffnen höre. Mein ganzer Körper fängt an zu zittern, noch eh er sich mir naht. Erwürgen möchten mich beinahe der innerliche Schmerz über beleidigte[170] Liebe, der Verdruß und Aerger über seine Zügellosigkeit; und doch wagte ich es noch nie, nur eine Silbe von Vorwurf gegen ihn fahren zu laßen. – Ich bin gewis, daß in dieser kurzen Zeit unser halbes Vermögen verspielt worden ist. Dieser Gedanke an seine Verschwendung tobt fürchterlich in mir; ich betrachte ihn als einen Niederträchtigen; der mich unsinnig dem Elend Preis geben wird. – Du weißt, Freundin, wir sind Menschen, wir haben Galle... und wenn Du empfändest wie eiskalt mir seine Schmeicheleien, denen er sich bisweilen aus Temperament überläßt, durch den ganzen Körper schaudern, Du würdest Dich entsezzen, und für meine Liebe zittern! – Ich habe sein Herz, seinen Antheil an mir verloren, und nichts ist mir übriggeblieben, als die Bedürfniße seines Temperaments. O das ist eine abscheuliche Entheiligung der Liebe, wenn ihre Triebe nicht aus gutem Herzen quillen! – Und wie kann sein Herz gut seyn, wenn er mich mit sich zur Dürftigkeit hinschleppt? – Wenn er mich hinschleppt zu jenen Abgründen der Armuth, die das wohlgezogene Weib entweder zum Grab führen – oder wenn sie nicht standhaft genug ist, wenn sie glitscht, die Elende, in die Arme der Ausschweifung. Gott! – Ich kann den Ueberrest unsers Vermögens durch keine Zwangsmittel verwahren laßen. Ich laufe Gefahr von seiner Wut mishandelt zu werden! – Und wer läßt überhaupt gerne die Streitigkeiten der Ehe wissen? – Gutgezogene Menschen scheuen sich ihr Unglük öffentlich bekannt zu machen; denn der Mitleidigen sind wenige, aber desto mehr der Verläumder, besonders bei einer unglüklichen Ehe, wo die Stimmen so getheilt sind. Oft trag ich in Gesellschaft, worein mich der Wohlstand zwingt, die lachende Gestalt der Freude, und im Herzen sieht es finster wie die Nacht aus. – Der Kummer welkt meine blühende Farbe, sie sind beinahe abgepflükt vom Gram, die Rosen des Frühlings. Alles neigt sich bei mir immer mehr[171] und mehr zur Schwermuth. Jede Kleinigkeit rührt mich bis zu Thränen, jeder Hauch erschüttert mich, jeder Schatten macht mich zittern; sie fangen an zu sinken die weichen Nerven der weiblichen Natur! – Und wenn ich denn vollends einen Blik auf mein Kind werfe, das ich unter dem Herzen trage, o dann wacht alles Feuer der Leidenschaft wieder in mir auf, ich möchte ihm dann um den Hals fallen, dem Vater meines Kindes; ich möchte so lang an seinem Halse hängen bleiben, bis mein Schluchzen die Natur erweichte! – Kurz war die Freude, die diese Nachricht meiner Schwangerschaft auf sein Herz machte; kalt ist dieses Andenken des Entzükkens in ihm; übertäubt ist sein Gefühl vom Eigennuz. – Kein Mitleid, keine Schonung, keine Sorgfalt für die Mutter seines Kindes läßt er blikken. Das Spiel macht ihn grausam, hart und unmenschlich! – Gott! gieb mir Mässigung! – Ich fürchte, ich fürchte, wenn meine Heftigkeit einstens losbricht, daß ich dann die Schranken der Gattin übertretten werde!!! – Lange läßt sich der Wurm tretten; aber wenn er sich loswindet, so sind seine lezten Krümmungen die schrekhaftesten! – Blos um meines Kindes Willen trag ich die Last mit der möglichsten Duldung. Aber wer bürgt mir für die Standhaftigkeit dieses Vorsazzes? – Wer ist fühlloser Mensch genug, mich zur andauernden Marter zu verdammen? – Fanny! – Fanny! – Ich bin in der gefährlichsten Stimmung! – Nur die Religion ist mir noch ehrwürdig, sonst würde ich sie zerreißen diese Bande der Barbarei, die den Pflichtlosen an den Unschuldigen, zu des Leztern Verzweiflung, ketten! – Mein Oheim ist zurük; er hat mir vergeben, und fodert Rechenschaft von meines Mannes Verhalten. Weh mir! – Was kann ich ihm sagen, als .... o Gott! Laß mich nicht murren, laß mich dulden, so lange es Dir gefällig ist!


Deine Amalie.[172]

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 170-173.
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