LXIX. Brief

An Amalie

[175] Arme, bedaurungswürdige Freundin! So ist denn immer und ewig wahr, daß Du die Unglüklichste unter den weiblichen Geschöpfen bist! – Gräßlich ist deine Lage, grausam das Betragen deines Mannes, tirannisch dein Schiksal; ich möchte weinen, bis mir das Herz bräche, ich möchte trauern, bis zum Tage deiner Auflösung, wenn ich der Stimme ganz[175] Gehör geben wollte, die mir laut zuruft: Herr Jesus! – Wie wird mit deiner Amalie gehandelt! – Man martert Dich bis auf den Tod! – Man raubt Dir Gesundheit und Seelenruhe! – So jung, und so unendlich unglüklich! – So jung, und so erbärmlich mishandelt! – Mein Gott! – Mein Gott! – Wenn ich nur bei Dir seyn könnte! – Wenn ich sie nur auffangen könnte, die Streiche deines schröklichen Schiksals! – Wenn ich nun vollends deine Lebhaftigkeit bedenke; wenn ich denke, daß ein beleidigtes gutes Herz zu Allem fähig ist; wenn ich denke, daß Dich einst Verzweiflung zu Allem verleiten könnte; o dann schwindelt mir vor der Zukunft! – Aber wie? – Auch dein guter Oheim ist für Dich nicht mehr das, was er war? – Nein, das ist unmöglich, Malchen! – Die Heuchelei deines Mannes hat blos die Oberfläche berührt, sie ist nicht in sein Herz gedrungen. Ich kenne sein Menschengefühl, ich kenne seine Liebe für Dich. Vaterliebe, Gewißen, Vernunft, Mitleiden, werden bald wieder an die Stelle dieser Kälte tretten; Du wirst siegen über ihn, dein Mann mag ihm geschrieben haben, was er will! – Hat dieser Oheim Dich nicht erzogen? – kennt er nicht die innersten Falten deines Herzens? – Liebt er Dich nicht innig und warm? – Getrost, Liebe! bald wird dein Oheim Dich selbst trösten. – Herr Gott im Himmel! – Wie der Gedanke an deinen Mann wieder von neuem in meinem Kopf stürmt! – Und dieses Ungeheuer hatte den Muth, Dich arme Dulderin bey den Haaren herumzuschleppen? – Und Du Engel der Sanftmuth, ließest Dich ohne Murren, ohne den geringsten Laut von Dir zu geben, so teuflisch behandeln! – O diese Standhaftigkeit ist unbegreiflich, ist die größte Seelenstärke, die je in einem Weibe wohnte! – Auftretten mag sie, das Weib in der Schöpfung, wenn es noch eine giebt, und mit Dir um Preis einer solchen Tugend ringen! – Malchen! – Malchen! – Du mußt schon Ueberdruß[176] an deinem Leben fühlen, sonst könntest Du nicht mit der Gelaßenheit die Gefahr Deiner Gesundheit ertragen. – Herrliche, brave Seele von einem Weib! – Schone Dich um Gottes Willen, kehre zurük zu den Freuden der Natur! – Höre auf, Dich selbst zu tödten! Welches Gesez wird es billigen? – Höre auf, dein Leben zu Grunde zu richten! – Natur, Gott und Menschen sind nicht so grausam, daß sie eine Unschuldige mit den Ausschweifungen eines Lasterhaften geißeln wollen! – Dein Mann ist verloren, keine Beßerung ist mehr zu hoffen! – Sein Gefühl ist weg für Dich, für ihn selbst! – Wer könnte Dir rathen an der Seite eines Barbaren zu schlafen, der alle Augenblikke bereit ist, dein Mörder zu werden! – Wer wäre unempfindsam genug, ein holdes weibliches Geschöpf länger unter der Tirannei eines Verrükten zu laßen? – So ein armes schwaches Weibchen sollte, bei dem geringsten Geräusche, bei dem mindesten Knarren der Wand, zittern, beben, und Todesangst fühlen? – sollte sich gutherzig unter den Klauen eines Unsinnigen würgen laßen? – Und warum? – Weil ihre Gutheit an einen Unglükseligen gerieth, der sie nicht zu schäzzen weis! – An einen Mann, der seine Uebermacht blos darum fühlt, weil seine Frau nicht pöbelhaft genug ist, bei dem Richter Hülfe zu suchen. – Bei Gott! – Das wäre wider die Menschheit! – Da sinkt sie hin in einem Winkel des Zimmers, das Opfer der schröklichsten Grausamkeit, kämpft mit der augenscheinlichsten Lebensgefahr, schreit zu Gott um Beistand, ringt die Hände, und bittet im Stillen ihren Henker um den lezten Todesstreich! – So ein armes, schwaches, empfindsames Weib sollte noch länger ihre feinen Glieder peinigen laßen! – O menschliches Gesez, ich würde dich verabscheuen, wenn du das fodern wolltest! – Du hast wohl gethan, Freundin, Dich zu entfernen, jede Pflicht ist nur dann heilig, wenn unsere Selbsterhaltung nicht darunter leidet! – Wie kann die Religion,[177] wie können die Gesezze von Dir ein so theures Opfer fodern? – Ist Deine Entfernung nicht Klugheit? – Nimmermehr kann ich zugeben, daß Du Dich neuen Auftritten blosgiebst. Laß ihn fortwandeln, den Verworfnen auf dem Wege, der zum Abgrunde führt! – Bleib seinem Auge verborgen; sorge für deine Gesundheit, und bitte den Allgütigen um Standhaftigkeit in deinem Entschluß. O Amalie! – Was wäre Dir bevorgestanden, wenn Du geblieben wärest! – Mord und Tod wäre vielleicht das Ende dieser unglükseligen Ehe! – Wer weis, ob Dich nicht Raserei zu einem blutigen Entschluß verleitet hätte! – Ich kenne den Grad deiner Leidenschaften und deiner Melankolie. Dank dem Ewigen im Himmel, daß Du weg bist! – Nimm hin tausend Küße von Deiner


Fanny.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 175-178.
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