LXXII. Brief

An Amalie

[184] Du bist also wieder bei deinem Manne, und mein Brief, worinn ich Dich so innig bat, von ihm weg zu bleiben, that auf Dich keine Wirkung? – Liebes, liebes Malchen, diese Tugend ist übertrieben, aber sie macht demungeachtet deiner Denkungsart Ehre. Gott gebe, daß es lange bei ihm gut thun möge! Wenn ich aber aufrichtig reden soll, so zweifle ich sehr daran. – Ihr beide habt nun einmal eure Herzen gegen einander verstimmt, und schwerlich werden sie sich wieder finden. Ist es möglich, dein Mann vernachläßigt sein Hauswesen und läßt Dich darben? – Wahrhaftig Stoff genug zur vollkommenen Abneigung! – Ein Herz dessen Güte durch die Noth muß auf die Probe gestellt werden, hält selten die Probe aus. Ich zweifle nun nicht an der Güte deines Herzens, aber Mangel macht doch den willkührlichen Urheber desselben verabscheuen. – Wenn es in einer Haushaltung zu fehlen anfängt, o dann kommen tausend unerwartete Verdrüßlichkeiten dazu, die dem beßten Menschen seine Geduld benehmen. Schulden, Troz von Seiten der Dienstboten, Kummer für Nahrung beugen ein empfindliches Herz zu sehr, als daß es nicht oft in üble Laune ausarten sollte. Man fühlt sein Unglük weit lebhafter, wenn man die Ursache davon vor Augen sieht; die Galle wirkt heftiger, sobald ihr der Stoff dazu alle Augenblikke aufstößt. – Gute Herzen sind zwar nicht unversöhnlich, aber wenn gute Herzen zu stark beleidigt werden, dann werden sie gleichgültig. – Daß Dir in deiner harten Lage niederträchtige Mannspersonen Unterstüzzung anboten, darüber wundere ich mich keineswegs. Es giebt ja[184] eine Menge solcher Elenden, die ein kummervolles, zerrißenes Herz blos um ihrer teuflischen Wollust willen unterstüzzen. Wie kann man doch an einem Körper Freude haben, wenn die Seele darinn blutet? – Wie kann der reiche Schwelger um sein Geld bei armen, aber fein denkenden Frauenzimmern Gunstbezeugungen genießen, wenn jeder Angrif von ihm ein Schlangenbiß für so eine Unglükliche ist? – O Menschen, wie lange wird es noch dauern, bis ihr denken lernt, und dadurch euer Gefühl verfeinert? – Doch, um jezt auf was anderes zu kommen: ja wohl ist es traurig, meine Freundin, daß oft so disharmonirende Karakter in der Ehe ewig an einander gefesselt bleiben müßen! – Wir haben doch nur eine Glükseligkeit im menschlichen Leben, die in der Zufriedenheit eines mit uns gleichdenkenden Geschöpfs besteht, und wenn wir nun gerade das Unglük haben, an etwas Unrechtes zu gerathen, so ruht der Fluch einer zeitlichen Verdammniß schwer auf unserm Herzen. Sie schleichen dahin, die schröklichen Tage des Haßes, in Gesellschaft einer Person, mit der man nichts gemein hat, als den Zwang sich einander zur Last seyn zu müßen. So lange die Eltern nicht in der Wahl für ihre Kinder vorsichtiger werden, so lange die Mädchen und Jungens nicht denken und absichtlos, blos aus Güte des Herzens und mit Ueberlegung lieben lernen, eben so lange werden die vielen unzufriedenen Ehen nicht aufhören, und die Menschheit wird durch dieses göttliche Band mehr unglüklich als glüklich seyn. Galanterie schleicht sich an die Stelle der Liebe, Eigennuz an die Stelle der Güte, Verstellung an die Stelle der Redlichkeit, Widerspruch an die Stelle der Nachsicht, Falschheit an die Stelle des Nachdenkens; und so leben diese Miethlinge des Lasters mit entferntem Herzen, blos zum Schein, in einer entlehnten und nie empfundenen Glükseligkeit ihre Tage fort, ohne Vergnügen, ohne Zutrauen, ohne wechselseitigen Antheil, kalt gegen einander bis ins Grab.[185] Die adeliche Dame schämt sich des Worts Mann, sie nennt ihren Gatten den Herrn von .... Sie mag der Redlichkeit keine Lüge aufbürden, wenn sie ihren Gatten nach deutscher biederer Art ihren Mann nennen würde. – Der vertrauliche Ton der gefühlvollen Gutherzigkeit ist aus den adelichen Ehen verbannt. Komplimenten, steife Zurükhaltung, süße Betrügereien, affektirte Zierereien, ist der Gang ihrer beiderseitigen Lebensart. – Der Mann schläft in der vordern Ekke des Hauses voll Projekten für das Wohl seiner Konkubinen; die Frau in der hintern Ekke voll Beschäftigung für die Erhaltung ihrer Sklaven. Keines kümmert sich um das Andere. Die Kinder, wenn je der erste Taumel der Triebe noch welche erzeugt hat, werden wie Fremdlinge, weit von Vater und Mutter erzogen, lernen, wenn sie wieder zu ihnen kommen dürfen, Stolz und Fühllosigkeit vom Vater, Thorheit und Eitelkeit von der Mutter. – Das sind die sogenannten adelichen Verbindungen, wo bei der Wahl weder gesunde Vernunft noch Neigung, sondern blos Eigennuz und Konvenienz herrscht. Doch nun wieder auf deine Ehe zurük: Du bist wirklich geschaffen das Glük eines guten Mannes zu machen. Mußtest Du denn gerade auf so einen Wildfang stossen, der dein Herz verstimmt und deinen Kopf widerspenstig macht? – O Schade! – Schade, Amalie, für Dich! – Das will ich Dir wohl glauben, daß seine rohe Behandlung deine Neigung verkleinert. Wenn sich der Stoff zur Hochachtung für einen Mann durch sein Betragen verliert, was bleibt denn dem guten Weib übrig, als Mitleid und Abneigung? – Wir Weiber sind in diesem Stük zu tieffühlend, um den Mann schwärmerisch fortzulieben, der sich selbsten unserer Hochachtung unwürdig machte. Wir bleiben einem solchen Manne wohl so treu, als möglich, aus Pflicht; aber Pflicht ist doch noch lange nicht das entzükkende Opfer der Liebe! – Ein Opfer, das sonst ein schwärmerisch liebendes Weib so frei,[186] so feurig ihrem Gatten bringt! Wenn es den Männern geräth ein Weiberherz zur wirklichen Liebe zu reizen, o dann darf, bei Gott, keiner besorgen, daß sie ihm untreu werde. – Aber er muß Vernunft, Leidenschaft, Güte des Herzens besizzen und das Ehrengefühl eines Weibes anfachen können, auch manchmal kleinen Grillen auszuweichen wissen, und dann möchte ich das empfindsam denkende Weib sehen, die so einen Gatten nicht blos lieben, sondern anbeten würde! Versteht sich, wenn anders ihr Herz noch von Modesucht und Lastern frei ist. Die angeborne Güte eines Weibes ist so leicht für die Glükseligkeit eines Mannes zu gebrauchen, wenn der Mann Feinheit genug hat, diese Güte zu seinem Vortheil zu nüzzen und ihren Schwachheiten mit männlichen Grundsäzzen zu Hülfe kömmt. Das Weib ist nicht als Furie geboren, sie wird erst zur Furie gemacht, wenn ihre Güte durch Mishandlung verhärtet, ihre Schwachheit durch Bosheit gereizt, und ihre Sanftmuth durch Undank beleidigt wird. Das, meine Liebe, wäre gerade dein Fall, Du würdest das beßte, getreueste, herrlichste Weibchen auf Gottes Erdboden seyn, wenn deine Güte erkannt und nach Verdienst behandelt würde. Harre standhaft meine Traute, vielleicht knüpfest Du einst ein anderes Band, das Dir doppelte Seligkeiten verspricht. – Doch noch Eins: Brich den Briefwechsel mit dem Jungen ab, der an Dich schrieb; er ist ein undankbarer Tollkopf, der zu spät an deine Rettung dachte. Die Liebe ist erfindsam, sie zwingt zwar nicht immer die Umstände, aber bei kalten, furchtsamen Menschen zwingen immer die Umstände die Liebe. Ein Weibergeklatsch, das Gebrumm der Verwandten kann leicht einen haasenfüßigen Liebhaber wanken machen. Aber so etwas, das wanken kann, war nie Liebe – es war Lüge, es war Betrug, es war elender Alltagskram! – Warum ließ denn der Einfältige von Dir ab, sobald er fand, daß Du das Mädchen wärest, welches sein Leben beglükken[187] könnte? – Warum überließ er ein junges, unerfahrnes Mädchen dem Ungefähr der Lage? – Warum überdachte er nicht statt Deiner die Folgen deiner Verbindung? – Du gabst ihm ja Nachricht von deinen Aussichten; hätte er sich nicht wenigstens als Menschenfreund, um den Karakter deines Mannes erkundigen sollen? – Er brachte Dir aus Stolz ein Opfer seiner Leidenschaft, und ließ sich dabei fühllos, unvorsichtig einem Abgrund zugängeln, worein er sich jezt selbst gerne noch stürzen möchte. Brich ab, Amalie, mit diesem unvernünftigen Geschöpfe, und erinnere Dich deiner Dich liebenden


Fanny.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 184-188.
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