[192] Da bin ich Dir schon wieder, meine Theuerste, und will mich recht herzlich mit Dir unterhalten. Wenn Du mir aber so oft antworten müßtest, als ich Dir schriebe, so würdest Du wahrlich nicht viele andere Geschäfte darneben treiben können. Indessen will ich es mit Dir nicht so genau nehmen, wenn Du mir auf drei Briefe nur eine Antwort zukommen lässest, so bin ich völlig zufrieden. Genug ich habe es mir einmal vorgenommen, Dir so oft und so viel zu schreiben, als es mich gelüsten wird. Und auf diese Art, sollst Du heute schon wieder etwas von meinem ungezogenen Mann zu lesen bekommen. – Bedenke einmal, kaum sind wir Beide einige Wochen hier, und schon fängt der Leichtsinnige seine alten Ausschweifungen wieder an, ohne sich Schranken zu sezzen. – Mein guter Oheim hat ihm mit dem besten Zutrauen Geld vorgestrekt; das war gerade sein Verderben, weil er wieder damit aufs Neue zu spielen anfieng. – Ich habe bis jezt seine Aufführung mit allem Fleiß – blos um nachher meinen Oheim desto augenscheinlicher davon zu überzeugen – verborgen gehalten. – Wenn der Elende aber so fortfährt,[192] so wird er sich selbst bald in einem Lichte zeigen, worüber mein Oheim staunen wird. – Da er nebst dem so viele Werbungsgelder in Händen hat, so ängstige ich mich fast zu Tode, denn es sind lauter Reize fürs Spiel. – Auch ist er sehr unordentlich und nachläßig in seiner Pflicht. – Gott! wie kann bei so einem Betragen sein guter Name vor den Stabsoffizieren ohne Argwohn bleiben? – Selbst seine Untergebnen murren über seine Lüderlichkeit; und Militärdienste sollten doch heilig seyn; die geringste Nachläßigkeit darinn ist ein Verbrechen. – Will denn um Gotteswillen dieser Mann nicht begreifen lernen, daß er ganz anders handeln muß, wenn er seiner Uniform Ehre machen will? – Allgütiger, gieb ihm doch Vernunft und Rechtschaffenheit! – O möchte er als ehrlicher Mann sein Leben durchwandeln! Möchte es mir nie an Geduld fehlen, seine Aufführung zu ertragen; denn bessern werde ich ihn doch nimmermehr! – Nun aber, holde Fanny, will ich von diesem Punkte abbrechen, sonst werde ich wieder schwermüthig, und schade meiner Gesundheit. – Also zu etwas anderm! – Und das wäre? Was meinst Du wohl? – Eine kleine Beschreibung vom hiesigen Orte will ich Dir jezt liefern: Der Hof ist ein altes adeliches Stift, das aus lauter stiftsmäßigen Kavalieren besteht. Sie erwählen unter einander selbst ihren eigenen Fürsten, der zugleich souveräner Herr seines Landes wird. – Dieser Fürst hält sein eigen Militär und alle Zierden eines vornehmen Hofes, ist aber nebst den übrigen Stiftsherren einem geistlichen Orden zugethan, zu dessen Pflichterfüllung einige Stunden des Tages in der Frühe gewiedmet werden. – So bald nun diese Stunden der Andacht vorüber sind, so genießen die Geistlichen alle möglichen Freuden eines weltlichen Hofes. Sie halten große Tafel, fahren, reiten, haben prächtige Zusammenkünften, ergözzen sich auf ihren Landgütern, stellen Jagden an, u.s.w. Doch geschieht[193] dies alles, wie ich glaube, mit Erlaubnis ihres Fürsten. – Ich muß überhaupt die ganze schöne Einrichtung dieses Hofes loben; nur eines gefällt mir nicht; und es will mir durchaus nicht in den Kopf, daß zwischen diesem Hofe und der so nahe daran gebauten protestantischen Stadt, bei unsern aufgeklärten Zeiten, noch ein Bischen Religionshaß Plaz findet. – Aber leider ist es nur zu wahr, man nekt sich von beiden Seiten; man ist gegen einander mehr kalt als brüderlich, mehr mistrauisch als gütig, mehr böse als christlich, und das alles aus eingewurzeltem Vorurtheil, das sich wie Klettensamen in den Familien fortpflanzt. – Uebrigens haben bei allem dem die schönen Wissenschaften auch in der Stadt ihren Wohnsiz. – Versteht sich, wie in den meisten Reichsstädten, nur in einigen Häusern. Eben das ist auch die Ursache, warum der vortrefliche, aufgeklärte junge Baron Sch..., so wie mein Oheim, sehr freundschaftlich mit diesen Häusern verbunden ist. Es herrscht unter diesen Denkern, troz der Verschiedenheit ihrer Religion, eine Harmonie des Geistes, die kein katholischer Bigottismus und kein protestantischer Eigensinn zerstören kann. – Preßfreiheit, Duldung der beßten Schriften ist auch da zu Hause; und was braucht es mehr, um sich einstens die herrlichste Aufklärung von beiden Seiten zu versprechen? – Mein Oheim arbeitet unermüdet an der beiderseitigen Duldung. Ueberall erblikke ich in ihm den thätigen Menschenfreund. Wirklich hat er auch einen jungen Anverwandten bei sich, den er selbst erzieht. Was der neunjährige Knabe für Talenten zeigt, ist nicht zu beschreiben; und dann die liebevolle, schöne Art meines Oheims ihn zu bilden, läßt mir von diesem Jungen alles Gute hoffen. – Er ist jezt schon frei und natürlich in seinem Betragen, offenherzig, gut und sanft, sein Herz öffnet sich allem Guten, das in der lieben Natur liegt. Der wakkere Junge liebt seinen Oheim eben so sehr, als ich[194] ihn liebe. So viel für heute, traute, liebe Fanny, von deiner Dich gewis liebenden
Amalie.
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Amalie. Eine wahre Geschichte in Briefen
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