XCIV. Brief

An Fanny

[48] Liebste, Theuerste! –


Laß mich an deinem Busen ausweinen, und hilf mir dann tragen! – Der Kummer fängt wieder aufs Neue an in mein Herz zu schleichen – und meine Schwermuth rükt an ihre vorige Stelle. – O des elenden Kerls von einem Manne! Er schreibt seit seiner langen Abwesenheit auch nicht eine Zeile des Dankes an meinen Oheim. Er kümmert sich mehr um seine Hunde, als um sein armes Weib. Dürftigkeit und Gram könnten mich hinraffen, ehe der Undankbare nur einen Laut von Erbarmung von sich hören ließe. Das Herz dieses Ruchlosen ist verstokt; er hat mich izt auf ewig verlassen. Nun so lebe denn wohl, grausamer Störer meiner zeitlichen Ruhe! – Genieße dein leichtsinniges Leben, Bösewicht, bis wir uns einst an jenem Tage wiedersehen, wo der Allgewaltige dir die Last meines Elends vorwägen wird! – Gott möge an dir die Flüche nicht ahnden, die dein Leichtsinn mir abzwingt! – Du – du Verworfener! – wußtest mich in Ketten zu lokken, die ich nun mein ganzes Leben hindurch verzweiflungsvoll nachschleppen muß! – Gebunden ist izt meine Freiheit an dich, Sünder! – O Freundin! – verloren sind in der Zukunft für mich alle Freuden der Liebe! – Erstikken soll ich meine Gefühle für fremde, aber bessere Herzen. Widerspenstig gegen dieses Gebot werde ich hinwelken, bis mein Blut aus Raserei stokt! – Gott im Himmel! – Sieh herab auf meine Kämpfe! – Erbarme dich meines Händeringens! – Sieh, wie ich ringe und streite, um der Menschen grausame Gesezze zu befolgen! – Sieh, wie[48] die Wallung meines jugendlichen Bluts mir Angstschweis kostet! – Schon in meinen Kinderjahren war Liebe für mich das einzige Geschenk deiner Güte, das für mein fühlendes Herz so sehr paßte. Liebe war die einzige Empfindung, nach welcher ich so feurig haschte! – Mein ganzes Wesen schien nur Liebe zu athmen. Alle meine Glükseligkeit suchte ich blos in ihr; und die seligste Wonne, mich an etwas Liebendes vertraut schmiegen zu dürfen, wurde mir dann zum Bedürfnis. Feurig klopfte mein warmes Herz einem zukünftigen Gatten entgegen, und.... O Allmächtiger! – wie gräßlich fand ich mich betrogen!!! – So soll ich denn auf immer meine Stunden so einsam verwimmern? Soll ich gänzlich entsagen allen meinen schönsten Hofnungen, die mir dieses irdische Leben in den Armen eines gutdenkenden Gatten schon zum voraus zum Paradiese schufen! – Und das alles um eines Bubens willen, der mich so künstlich zu einem unzerbrechlichen Schwur vor dem Altare lokte! – Ha! – weh mir! – weh mir! – Ich werde entweder rasend, oder unterliege! – Außer der Liebe ist für mich alles zu einsam, zu leer; eine tödtliche Langeweile richtet mich zu Grunde! – Meine unbeschäftigte Einbildungskraft kann sich an nichts mehr halten, was ihr in der Liebe Schwungkraft zu allem Entzükken gab. O, die Augenblikke des herrlichsten Vergnügens, wo die stärkste Liebe um noch stärkere gegenseitige zu erringen sich bemühet, dürfen sich mir von nun an nicht mehr nähern! – Ich kann nicht hinsinken an den Busen eines andern Gatten, um dorten unter wollüstigen Thränen meinen Kummer zu verschwärmen! – Das feurigste Verlangen nach einer andern harmonischeren Vereinigung darf in meinem Herzen nicht auflodern! Ich bin verbannt aus dem Vergnügen der seligsten Gattenliebe, für immer und ewig! Man würde mich sonst als eine Verbrecherin mit Schande belegen, bei einer Religion, die keinen mislungenen Schritt[49] zurükthun läßt! – Und wenn ich darüber meinen Verstand verlöre, so muß ich Fesseln tragen lernen, die mir meine gutherzige Leichtgläubigkeit aufbürdete! Gott! – Gott! – wie werde ich mich in einen Zustand schikken können, der alle meine Gefühle für Liebe in mir lebendig begraben soll? – Freundin! – Der hiesige Aufenthalt ist mir izt schröklich zur Last! Die Nonnen schleichen um mich herum, wie falsche Kazzen. Schon bei ihrer Erschaffung theilte die Natur diesen Weibern den Fluch der Unempfindlichkeit mit; und ich verachte sie um ihres wenigen Gefühls willen. – Auch nicht einer einzigen davon möchte ich eine Thräne anvertrauen! – Ihr kalter, dummer Trost würde mich vollends unsinnig machen. – Das Blut in ihren Adern ist zu eingefroren, um dem meinigen harmonisch zu begegnen. Nur die wenigen gefühlvollen Nonnen haben meine Achtung, wenn sie wonnetrunken an dem Busen ihrer Lieblinge schwärmen. – Doch auch diese Auftritte reizen mich izt zum schröklichsten Fluche über mein wirkliches Loos! – Ich beneide die Freuden dieser Glüklichen, und empfinde dann meine Leiden desto schwerer!!! – Gerechter Himmel! – nimm zurük ein Leben, das ich nicht länger mehr zu schleppen vermag. – – Liebe Fanny! – o habe Mitleiden mit


Deiner kämpfenden Amalie.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 48-50.
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