XCVI. Brief

An Amalie

[53] Ich eile, meine theure Amalie, Dir deine zween Briefe zu beantworten: Holdes Weibchen! – Vergiß doch einmal deinen abwesenden Henker! – Hast Du denn je von ihm was anders erwartet, als daß Dich der Verabscheuungswürdige nicht auch ganz vergessen wird? – Du armes gutherziges Kind willst immer den Wiederhall deines guten Herzens finden, – und wirst dann am Ende schröklich betrogen! Tilg ihn aus diesen unwürdigen Namen aus deiner Brust, in der ihm zu wohnen nicht mehr vergönnt seyn soll! Laß deinen Muth nur nicht sinken, Beßte, Liebste, die Freuden der Liebe können Dir einst wieder werden, wenn ihn sein ausschweifendes Leben hinruft in die Arme des frühen Todes. – Der Schöpfer gab Dir nicht umsonst ein Herz voll Liebe, seine weisen Absichten werden Dir auch Trost geben. All dein Jammer muß Dir noch an dem Busen eines edlern Gatten vergolten werden. – Dein Herz hält izt die größte Prüfung aus, und sein Werth wird durch seine Leiden erhöht. – Nur nicht zaghaft, liebe Kleine! – Schiksale, die wir nicht ändern können, werden durch zu vieles Nachdenken nur noch unerträglicher. – Du zerrüttest deine Gesundheit, härmst Dich ab, und erweichst doch nicht die unbarmherzigen Gesezze. – Deine Thränen und dein Jammer dringen nicht ins Priester-Ohr, das sich für Dich, und andere Unglükliche so eigenmächtig verschloß! – Der Heiland selbst würde in der Ehe gutherziger richten, wenn er wieder auf dieser Erde in Menschengestalt herumwandelte. Dieser gute Menschentröster im Himmel kann nichts dafür, daß seine Geschöpfe seinen Willen nach ihrem eigenen Kopf drehen. Er gab ihnen zum urtheilen Vernunft, und wenn sie nun[53] die Stimme derselben aus Eigendünkel überhören, so muß ganz gewis auf diese Unbiegsamen das schröklichste Strafgericht warten! – Alle Unglüklichen von der Art, werden sich einstens versammeln, und dann jenen grausamen Priestern ewigen Fluch zuwerfen! – Diese kühnen Starrköpfe sind es, die es wagten, aus einem bürgerlichen Vertrag unzertrennliche Bande zu machen. – Können die Priester durch Ansehen und Geld die katholischen Ehen lösen, warum denn nicht ohne dieses schändliche Hülfsmittel? – Selbst der Schöpfer urtheilt von der schwachen Menschheit mit Ausnahme, warum denn nicht seine Gesalbten bei übereilten Ehen? – Hat der Aermere ein stärkeres Herz, die Leiden einer fehlgeschlagenen Verbindung zu ertragen, die von der andern Seite mit Betrug, blos aus Absichten, geknüpft wurde? – Es ist zum Erstaunen, wenn man dieser Ungerechtigkeit bei deiner Religion nachdenkt! – Wer nicht Glanz oder Vermögen hat, muß lebenslänglich an etwas Widersprechendes gefesselt bleiben; und doch giebt es so viele Unschuldige, die unter diesem Joch seufzen. – Aber laß uns abbrechen von einer Sache, die mir Abscheu erwekt. – Sag mir, liebe, theuerste Amalie, ob es nun um deine Gesundheit besser steht. – Ob Du mir versprechen willst, es durch Nachgrübeln nie mehr so weit kommen zu lassen. – Ob Du mich noch hinlänglich liebst, um diese Bitte zu erfüllen. – Ob Du izt wohl schon auf der Reise bist. – Und ob Du auch überall das Bild deiner Freundin im Herzen trägst, die Dich mit Millionen Küßen durch die ganze Welt begleitet. –


Deine beßte Fanny.[54]

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 53-55.
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