XCVIII. Brief

An Fanny

[60] Hinaus mit dir, elender Kuppler! – schrie ich dem italienischen Wirth nach – und schlug die Zimmerthüre hinter seinem Rükken zu, daß die Fenster zitterten! – Was sich der infame welsche Kerl nicht alles unterstund! – Was? – mir, einer biedern, ehrlichen Teutschen, italienisches Laster anzubieten? – Dafür hab ich ihn auch wakker heruntergehudelt, den bestochenen Schandbuben! – Hu! was meine Alte über diesen Auftritt für große Augen machte! – Sie hat gewis die liebe goldene Zeit zurükgewünscht, wo sie der Unzucht noch um baare Münze Opfer bringen konnte; aber sie durfte sich bei allem dem nicht unterstehen, einen Laut von sich zu geben, sonst hätt ich sie wahrhaftig die Treppe hinuntergeworfen. – Es ist übrigens doch sehr traurig, daß ein Frauenzimmer nicht allein reisen darf, ohne sich dem Vorurtheil auszusezzen. Die Menge herumziehender feiler Dirnen ist daran Schuld. – Ein Frauenzimmer muß nur in solchen Fällen nicht blöde seyn, sonst spottet das freche Laster der Unschuldigen ins Gesicht, und hält sie für eine Romanenheldin. Diesmal kam mir mein Feuer recht gut zu Statten, sonst hätte mich der Wirth und die Alte gewis heimlich verkuppelt. – Die übrigen Stunden meines Aufenthalts hielt ich mein Zimmer verschlossen, und die Alte durfte mir nicht von der Stelle. – Der Morgen meiner Abreise rükte heran; ich eilte dieses Haus zu verlassen, ohne Veronens Merkwürdigkeiten gesehen zu haben. – Es gieng nun unter uns Zweien ganz einförmig zu, denn der Postwagen war außer uns ganz leer. – Unter Denken, Grillenmachen und Schlafen kamen wir endlich in der schwarz gemauerten Stadt Padua an. – Das nächste beßte Wirthshaus mußte uns bis zur Abfarth[60] des Marktschiffes für einen Tag lang zum Aufenthalt dienen. – Von essen und trinken war ich satt, Schlaf hatt ich keinen, und Madame Langeweile fieng an mich gräßlich zu martern. Gretchen! schrie ich, pak meine Mannskleider aus, und zieh meine Amazone an! – »Ei, Madame, was wollen Sie?« – Nicht lange gefragt, Jungfer! unterbrach ich das neugierige Ding. Sie brachte mir dieselben, und in wenig Minuten waren die Kleider am Leibe, der Mantel nach Stuzzerart bis über die Nase geschlagen, und so schlenderten wir beide einem Kaffeehause zu. – Alle Gäste lachten bei meinem Eintritt über die alte Matrone, und mich armen jungen Lekker schien man herzlich zu bedauern. Da es aber in Italien eine Menge dergleichen hungeriger Burschen giebt, die den alten Damen ums Geld ihre süßen Gewohnheiten forttreiben helfen, so lies man mich auch in diesem Betracht ruhig. Ich sezte mich ganz getrost an ein Tischchen und stellte meine Beobachtungen über die versammelten Gäste an. Bescheidenheit läßt mir nicht zu, zu sagen, aus wie vielen Klassen dieselben bestunden, und es würde demjenigen unglaublich scheinen, der nicht selbst Augenzeuge davon war. – Jeder von dieser schönen Gesellschaft paßte mit begierigen Augen auf seine Kundleute, um den Hunger zu stillen. – An diesen Tischen wurde gebuhlt, an jenen moralisirt, wieder an andern einander geheimnisvoll ins Ohr gelogen, oder laut die Ehre abgeschnitten. Hier wucherte ein alter Geizhals mit den Reizen seiner Tochter; dort verschwendete ein ungerathner Sohn die vom Vater gesammelten Reichthümer; – da hörte man plumpe Grobheiten; dort höfliche Lügen; – einer rauchte, der andere schnarchte, der dritte fluchte, der vierte seufzte, der fünfte schwadronirte, u.s.w. – Es war ein jämmerlicher Durcheinander. – Was in einem so großen Narrenhaus alles gelogen, betrogen, geheuchelt, gekuppelt und gewindbeutelt wird, ist nicht zu beschreiben. –[61] Selbst meine gute Alte verlor fast ihre Sinnen über dem Schwarm von Müßiggängern und Stuzzern, die aus Neugierde um uns herumflatterten. – Diese frechen Tagdiebe redeten mich mit einer Kühnheit an, als ob es zwischen uns Brüderschaft gälte. – Ho! Ho! dachte ich mir, und blieb wie ein fester Teutscher auf meinem Stuhle sizzen, bis ich endlich ihre Neugierde mit fremden Sprachen ermüdete, die sie nicht verstunden. Nun bekam ich auf einmal Luft meinen Kaffee in Ruhe auszuschlürfen. (In Italien ist es Mode den Kaffee auszuschlürfen.) Aber was? schon neun Uhr? – Hurtig, Gretchen, laß sie uns eilen! Und nun trippelten wir dem Gasthause zu; – aber hernach? – ins Bett, meine Liebe! –

Madame, belieben Sie doch aufzustehen, sonst versäumen wir das Marktschiff! (raunte mir das Mädchen schon sehr frühe ins Ohr.) Husch, flog ich aus dem Bette, trank meinen Thee, bezahlte meine Zeche, und eilte mit meiner Alten dem Ufer des Kanals zu. Schon war das Schiff über und über mit Leuten angefüllt. – Dienstfertige Nimphen, die ihren Fleischhandel hin und her trieben, alte Seelenverkäuferinnen, Juden, Bonzen, Mausfallkrämer, Fleischhakker, Murmelthierträger, welsche Sbirren und eine große Menge ausländischer vertriebener Spizbuben eilten izt mit den übrigen der freien Republik Venedig zu. – Ich sah hin und her um ein gutes abgesondertes Pläzchen zu finden. – Endlich erblikte ich ein Seitenstübchen, worinn sich vermuthlich die Stiftmäßigen dieser löblichen Versammlung aufzuhalten schienen. Nu, nu, das ist eine saubere Gesellschaft! – Ei was? Dachte ich mir, Noth hat in dringenden Fällen kein Gesez! – Also kurz und gut; und ich befahl dann meinem Mädchen ins Seitenstübchen zu steigen. – »O du heiliger Johann von Nepomuk, steh mir bei!« rief sie laut, indem sie sich hartnäkkig weigerte. – Poz alle tausend und ... wollte ich schon anfangen, als ich mich plözlich faßte, und einem Lastträger herbeirief,[62] der mir sie mit Gewalt ins Schiff schleppen mußte. – Izt riß die ganze Versammlung über meine Entschlossenheit Augen und Nasen auf! – Ueberall bot man mir (vermuthlich aus Neugierde) Plaz zum sizzen an; was konnte ich in dieser Lage besseres thun, als mein Gesicht in Falten ziehen, um das freche Laster abzuschrekken, das sich so gerne an reisende Frauenzimmer wagt. – Doch, dem finstern Gesichte ungeachtet, wagte es ein landstreicherischer Abbe meine ernsthafte Stille mit süßen Fragen zu unterbrechen. – Ich konnte diesen Zudringlichen durchaus nicht los werden; er plapperte vieles von fremden Ländern; kramte seine Zeugniße so bereitwillig aus, als ob er mir seinen verdächtigen Kredit mit Gewalt aufzudringen suchen wollte. – Ich fieng an dieses Kerlchen mit einigem Beifall zu beglükken, und er glühete darüber vor Entzükken. – Schon glaubte der Windbeutel meine Leichtgläubigkeit überredet zu haben, als ich ihm plözlich mit bitterm Spotte das Gegentheil bewies. Nichts destoweniger bat er mich dringend um den Namen meines Absteigquartiers. – Und siehe da, der Graf Sakonello (so war sein entlehnter Name) war in wenigen Tagen vor meiner Hausthüre, von welcher er aber recht höflich abgewiesen wurde. – Doch, lassen wir diesen Einfaltspinsel ein Bischen stehen, um ans Ufer zurükzukehren! – Alles drängte sich da noch haufenweis unter sumsen, lärmen und schreien aus dem angekommenen Marktschiffe. Es herrschte lauter Getümmel und Verwirrung; nur der Herr Abbe und ich blieben ganz ruhig bei dieser komischen Auswanderung im Schiffe an unserm Orte sizzen, bis mir auf einmal die am Ufer stehenden, mit prächtigen Uhrketten behängten und vergoldeten Herrchen in die Augen fielen, welche gierig auf jeden aussteigenden Weiberrok lauerten. –

Was mögen denn dies für Maulaffen seyn? fragte ich den Abbe; der mir dann ganz geheimnisvoll ins Ohr flüsterte:[63] »Es sind lauter Kuppler, die auf fremde Mädchen passen, um sie durch künstlichen Betrug in Bordels zu verhandeln. Nehmen Sie sich in Acht, Sie sind auch jung und nicht häßlich!« – Herr Graf, erwiederte ich, jeder kehre vor seiner Thür! – und so stieg ich ans Ufer, und er, er bükte sich, und gieng; ich hingegen miethete eine Gondel, und fuhr darinn sanft bis an die Behausung meiner Anverwandten. – Und?... Nicht zu viel gefragt, meine Freundin! Morgen das Weitere! –

Endlich, meine Liebe, hat das Küßen und Herzen unter uns so ziemlich ein Ende, um auch wieder mit Dir plaudern zu können: Die Lage meiner Wohnung ist ganz nach meinem Geschmak. Das Haus liegt in einer einsamen Gegend und wird von einem Garten geziert, dessen Aussicht auf den lebhaften Kanal geht. Da sizze ich dann am Fenster dieses Gartens, und manche liebe Stunde durch betrachte ich die vielen vorbeischwimmenden Gondeln, die große Welt samt ihren großen Thorheiten. Zu Wasser und zu Lande findet man Verschwendung und Luxus; überall beherrscht der Menschen Eitelkeit, Wollust und Schwelgerei. – In Teutschland fahren die Vornehmen in prächtigen Wägen, und hier in gezierten Gondeln; dorten ziehen rasche Pferde ihre Herrschaft, und hier die ausgelassenen Gondolieri; bei uns schmükk man die Pferde mit Silber und bunten Federbüschen, hier die Gondolieri mit weiten Pumphosen und buntschäkkiger Kleidung. – In Teutschland sind die Pferde die unwissenden Kuppler ihrer Herrschaft, und hier sind es die Gondolieri mit Vorbedacht. Hier ist es durchaus nöthig, daß der Gondolieri die Kupplerei aus dem Grunde versteht; bei uns überläßt es der Kutscher dem Bedienten oder dem Kammermädchen. – In Venedig kann kein Bursche sich auf den Dienst einer Dame Hofnung machen, wenn er nicht gefällig und à Tempo den Vorhang in einer Gondel zu ziehen weis; in[64] Teutschland hingegen begnügen sich die Damen mit einer langsamern Bedienung. Hier muß der Gondolieri die Schwelgereien seiner Gebieterin geduldig abwarten, und bei uns gebietet der begünstigte Lakai seiner Dame, wenn er sie mit einem vielbedeutenden Blik an ihre heimlichen Schwachheiten erinnert. In Venedig jagen die Damen den Fremdlingen nach; in Teutschland sind sie mit ihren einheimischen Leuten zufrieden. – Ländlich, sittlich! – dachte ich mir bei der Verschiedenheit dieses Geschmaks. – Die Weiber sind ja in allen Ländern in allen Stükken eigensinnig, folglich auch in der Wahl ihrer Bedienten. – Doch sind die hiesigen Damen in ihren Bequemlichkeiten weit mehr zu beneiden: Sie schwimmen ganze Täge in den Armen ihrer Lieblinge unbemerkt herum; da hingegen unsere guten Damen ohne Rüksicht auf ihre adelichen Schwachheiten so leicht wegen ihren heimlichen Ausschweifungen unter dem Pöbel verschrieen werden. – Was zahlte nicht bei uns manche Dame für so eine allerliebste Gondel, vermittelst welcher sie ihre minder verborgenen Schlupfwinkel entbehren könnte! Selbst der Puz der hiesigen Damen wird in diesen sanft fortschleichenden Behältnißen weniger verschoben, als in einem engen Gefärthe in Teutschland, wo der schmachtende Nachbar unwillkührlich durch das Stoßen des Wagens vom Strichrok bis zum Kopfpuz alles in Unordnung bringen muß. – Auch bedienen sich hier die Damen keiner Schminke mehr, weil die dunkle, verschlossene Gondel und der wohl abstechende Anstrich derselben ihre Wangen ohnehin schon hochroth färbt! – Es ist eine allerliebste Erfindung um die Gondeln! – sagte lezthin ein flatterhafter Ehemann zu mir, dem unter dem mitleidigen Schuz derselben manche galante Unternehmung geglükt war; – und bei uns, schrie eine verbuhlte, leichtsinnige, hizzige italienische Brunette, bei uns kann kein beleidigter Ehemann seine Equipage mit eifersüchtigen Augen verfolgen; denn bei uns sind die[65] Gondeln alle gleich; sie tragen die feurige Prinzeßin mit ihrem Liebling eben so geheimnisvoll, als die ausschweifende Opersängerin mit ihrem ausgemergelten Prinzen. Bei Ihnen (fuhr sie fort) müßen die armen Damen ihre Kammermädchen, Bedienten, Weiber, oder gar Kupplerinnen um schweres Geld zu jeder kleinen Lustpartei erkaufen, und hier in Venedig versieht die Gondel den gleichen Dienst weit geringer. – Ueberall herrscht hier Freiheit und Liebe zur zeitlichen Freude. – Selbst die andächtigste Dame schwimmt hier, ohne sich dem mindesten Verdacht auszusezzen, mit ihrem Gewissensrath in die Kirche... oder in seine Arme. – Belieben Sie einzuhalten. Madame! – (unterbrach ich sie) In Teutschland schleicht das Laster nur kaltblütig unter den Menschen herum, und hier in Italien galoppiert es aus allen Kräften, besonders unter der Maske der Frömmigkeit! Bei uns ist man aus übelm Beispiel oder aus Zufall lasterhaft, und bei Ihnen aus natürlicher Anlage und weniger Kultur. – Hier vergießt der Eigennuz täglich Blut, und bei uns treibt er es selten zu so einem Schritt. – Bei Ihnen liegt Falschheit und Mordsucht im Herzen, und bei uns kommen sie blos zuweilen durch üble Erziehung oder Verführung hinein. – Ihre Damen beten viel und buhlen viel. – Die unsrigen beten weniger, aber buhlen auch weniger. – Das welsche Frauenzimmer ist betrügerisch, rachgierig, ausgelassen und wild; das teutsche wohlthätiger, sanfter, aber desto mehr koket. – Die teutschen Damen foppen mit ihren kalten Temperamenten die Männer nach Herzenslust, und die Italienerinnen wollen Sieg – oder Mord. – Uebrigens ist Modesucht, Eigenliebe, Grillen und Ziererei unter unserm Geschlecht bei allen Nazionen zu finden. – Wenn es aber unter den Weibern auf Betrügerei und Verstellung ankömmt, so läuft in dieser Kunst doch immer die Italienerin der Teutschen den Rang ab. – Unser Geschlecht ist zwar überall ziemlich verdorben,[66] nur verleitet die angeborne Gutherzigkeit eine Teutsche weniger zu Betrug. Das, Madame, sind meine unmaßgeblichen Gedanken! – Und nun leben Sie wohl! – sagte ich zu dem brunetten Frauenzimmer, und trollte mich gerades Weges nach Hause. – Bald das Mehrere von

Deiner Amalie.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 60-67.
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