CX. Brief

An Fanny

[107] Ausgelacht, schöne Philosophin! Ausgelacht! – Endlich hat Herr Amor auch wieder einmal sein Spiel mit Dir! Ei, Ei! – so etwas hätte ich mir doch nie träumen lassen! – Glük zu, Fanny! – Ich wünsche Dir mit deinem Karl allen Segen des Himmels, aber auch ein Bischen Eifersucht dazu, wenn ich bei Dir eintreffe, und deinen Karl mit gewissen Augen betrachte, die seine hochgepriesene Standhaftigkeit in Versuchung führen sollen. –

Was meinst Du wohl, darf ich es wagen? – Wirst Du Philosophin genug seyn, um eine junge Wittwe nicht zu fürchten, die blos den siebenden Tag in der Woche in ihrer Gewalt hat, um in Gesellschaft nicht den Kopf zu hängen; die sich über die geringste Kleinigkeit mit ihrer zügellosen Einbildungskraft ganze Täge langen Kummer schafft; die manchmal alles flieht, was menschliche Töne von sich giebt, sich menschenfeindlich in ihr Zimmer verschließt und der Schwermuth nachhängt? – Dünkt Dir so ein Weibchen nicht gefährlich? – Sey nur ruhig! ich habe zu viel mit mir selbst zu schaffen, um Andere stören zu können. –

Lustrini trägt für mich starke Leidenschaft im Busen, das merke ich täglich mehr. – Als ich ihm meine Abreise ankündigte, änderte sich seine Gesichtsfarbe; der gute Junge dauert mich! – Aber kann ich mein Schiksal ändern? – Darf ich darinn meinem Oheim widersprechen der es so gut mit mir meint? –[107] Der arme Junge suchte mich auf alle nur mögliche Weise zu bereden, in Venedig zu bleiben; er wollte so gar an meinen Oheim selbst schreiben; bis ich ihm die Unmöglichkeit seines Wunsches durch Gründe bewies; dann verlies er mein Zimmer in tiefster Traurigkeit. –

Der gute Junge hat das Unglük, eine sehr wankende Gesundheit zu besizzen. – Verschiedene Schiksale und ein fühlbares Herz sind die Ursachen davon. – Daß doch die beßten Menschen auf dieser Welt so sehr leiden müßen! – Daß sie austrinken müßen bis auf den lezten bittern Tropfen den Becher des Schiksals! –

Morgen, meine Theuerste, reise ich von hier ab. – Ich kehre über Padua zurük, und schikke dann mein Mädchen seitwärts über K.... nach ihrer Vaterstadt, aus der ich sie zwar nicht mitnahm; demungeachtet will ich ihr die Wohlthat erweisen, und sie frei dahin zurükliefern; dann mag sie zusehen, was aus ihr wird! – Behalten kann ich sie nicht mehr. –

Noch eins! Ich mache für diesmal meine ganze Reise in Mannskleidern aus Bequemlichkeit und aus Eigensinn. – Bald erhältst Du wieder eine Reisebeschreibung von deiner beßten

Amalie.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 107-108.
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