CXIV. Brief

An Amalie

[115] Gott im Himmel! – was ist das? – Du auf die Bühne? – Du aus Noth an einen Plaz hingestellt, wo jeder Weichling seinen wollüstigen Scherz an Dir kühlen wird! – O, das hat mich ganz zu Boden geschlagen! – Ich verwünschte im ersten Augenblik dein und mein Schiksal! – Ich war untröstlich, weil ich die bittern Folgen zum voraus sah, die Du wirst dulden müßen. – Nicht Vorurtheil gegen den Stand, aber gegen die, die ihn zum Dekmantel brauchen, ist es, was mich darwider eifern macht. Gott! – was wirst Du da alles ertragen müßen! – Neid, Verfolgung, Unterdrükkung und alle erdenkliche Mishandlungen werden dein Loos seyn. Dein Herz wird zwar nichts dabei verlieren; Du kennst die Welt zu viel, um Reize an ihr zu finden. Aber bedenke einmal die schröklichen Kabalen, die oft unter dem Publikum herrschen, wenn eine Schauspielerin sich nicht jedem Wollüstling Preis giebt, – und dann die schlechten ökonomischen Umstände, in denen sich die meisten Schauspielerinnen durch ihre schlechten Besoldungen bei herumirrenden Gesellschaften befinden. – Sie erhalten ja kaum so viel, um sich ernähren zu können; – und wo[115] bleibt denn der Puz, den sie bestreiten müßen? – Gehört da nicht ein fester Karakter dazu, um sich über das alles wegsezzen zu können? – O Amalie! – Amalie! – Bedenke es wohl! – Könnte ich Dich an meinen Busen zurükrufen! Wäre ich unabhängig, wie bald solltest Du bei mir seyn! – Ist Dir mit einer kleinen Hülfe gedient, so will ich Dir mein Spielgeld schikken. – Großer, gütiger Gott! warum bin ich izt noch nicht die Gattin meines Karls! –

Wenn es doch nicht anders seyn kann, so waffne Dich mit Standhaftigkeit; sey munter, und betrette die Bühne mit einem edeln Selbstgefühl; damit Du Dich auszeichnest von jenen unverschämten Buhlerinnen, die mit frecher Stirne auf Eroberung ausgehen. – Es muß in dem Wesen einer gutgezogenen Schauspielerin ein gewisses Etwas liegen, das den meisten Zuschauern Hochachtung einflößt. – Sanfte Bescheidenheit entwischt dem Auge des Kenners nie. Du hast ohnehin zuweilen einen tiefsinnig leidenden Blik an Dir, der den Zuschauer für Dich einnehmen wird. – Laß deine Lebhaftigkeit nicht zu viel hervorblikken, sie könnte Dir den Schein des Lasters geben. Und dann wandle hin mit meinem Segen an einen Ort, an den ich nicht ohne Thränen denken darf! –

Fanny.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 115-116.
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