CXLIV. Brief

An Fanny

[191] Endlich, meine Beßte, bin in hier in U..., und danke dem Himmel, daß eine Reise ihr Ende erreicht hat, wobei mein Herz so vieles dulden mußte. – Die sauern Gesichter, die neidischen Blikke, die spöttischen Anmerkungen, das kalte, herzlose Betragen, womit die Schauspieler auf dieser Reise einander begegneten, kränkten mein neidloses Herz unendlich. –

Gott! – Das müßen schröklich böse Menschen seyn! – dachte ich traurig in einer Ekke des Zimmers, indem eine verborgene Thräne ahndungsvoll über meine Wange rollte! –

Seit ich St... verlies, ist mir ohnehin Schwermuth eigen. – Ein junger Mann, der viel Uebereinstimmendes mit mir zu haben schien, stürmte vor meiner Abreise mit aller Macht einer enthusiastischen Empfindsamkeit auf mein Herz los! – Die Kürze seiner Bekanntschaft entzog mir die Gelegenheit ihn näher kennen zu lernen; doch zog er meine Aufmerksamkeit auf sich, und wußte auch durch eine feurige, begeisterte Unterredung mein Mitleiden rege zu machen. – Mit einem äußerst warmen Gefühl, das mir unverfälscht schien, verfluchte er an meiner Seite die Untreue seiner vorigen Geliebten. – Das Feuer, womit er ihr in Stükke zerrissenes Bildnis in ein vorbeifließendes Wasser warf, – die[191] Thräne, die ihm das erlittene Unrecht entlokte – schienen mir heilige Beweise seines zur Liebe geschaffenen Herzens zu seyn. – Stoff genug für mein leeres Herz, um sich in die Zukunft Hofnungen zu schaffen, die mich vielleicht täuschen werden! – So sehr er mir auch durch seinen fleißigen Briefwechsel das Gegentheil beweist! – Lies innliegende Beilage von ihm, und dann urtheile! –

Gott! – wenn es nur ein brausendes, vorübereilendes Feuer wäre! – Wenn sein Gefühl nicht anhielte, und ich dann mein Herz an ihn gekettet hätte, so fest gekettet hätte, daß es im Wegreißen eine blutige Wunde bekäme, so bald er keiner ächten Liebe fähig wäre! – Ich darf diesen Gedanken nicht nähren. – Mein Herz kann die abscheuliche Leere nicht länger ertragen; es ist wieder reif zur Liebe; – und doch zittere ich bei dieser Wahl, ohne zu wissen, warum? ––

Er scheint izt seine ganze Glükseligkeit blos in mich zu sezzen! – Er schreibt mir mit einer Entzükkung, die jedem Frauenzimmer schmeicheln würde, wenn ihr Herz auch minder gefühlvoll als das meinige wäre! – Seine Liebe scheint uneigennüzzig, weil er sie auch entfernt von mir mit vieler Lebhaftigkeit unterhält! – Ob sie aber auch standhaft ist, diese Liebe? – Ob seine flüchtige Seele jener Größe fähig ist, der ich bedarf? – Das mag die Zukunft entscheiden! – Ich muß mich wieder einmal an ein Wesen halten, das mein Herz ausfüllt! – Wie lange suchte ich schon ein solches Wesen, und fand es nicht? – Du bist glüklicher als ich, meine Freundin; Du besizzest ein geprüftes Herz, das deiner würdig ist! – Deine Stunden schleichen nicht wie die meinigen unter mürrischer Laune und Langerweile dahin. – Dein sanftes Gefühl wird durch keine stuzzerische Thorheiten beunruhigt, wie das meinige. Mein Stand wird mir täglich mehr zur Last wegen den vielen Gekken, die sich mit der größten Unverschämtheit noch an jedem Orte an mich hindrängten. –[192] O! die Elenden kränken durch ihre Sprache der Weichlichkeit mein Ehrengefühl aufs Aeußerste! – Oft, wenn ich in guter Laune bin, behandle ich sie mit Spott, aber auch oft macht mich ihre Zudringlichkeit tiefsinnig und schwermüthig. Ich fühle dann die niedrigen Mishandlungen im Innersten, denen mich mein bitteres Schiksal aussezt. – Dieses Misvergnügen ist auch ein Beweggrund, daß ich die mir angebotene Bekanntschaft zu unterhalten suche. Vielleicht rettet mich dieser junge Mann aus Liebe, oder doch aus Freundschaft und Menschenfreundlichkeit! –

Geschäfte, meine Liebste, halten mich heute ab, weitläufiger zu seyn; – ich muß also mit der alten unveränderlichen Freundschaft schließen, mit der ich immer bin

Deine aufrichtigste Amalie.


Beilage.


Liebes Malchen! –


Du bist fort, und meine Seele ist Dir nach! – Das mag Dir der Anblik dieses Briefes beweisen, der vor Dir in U... eintreffen wird. – Holdes, vortrefliches Weibchen! – Wie ganz hast Du das Bild einer Ungetreuen aus meinem Herzen vertilgt! – Wie unendlich ersezzest Du mir einen Verlust, der mich ohne Dich vielleicht noch lange martern würde! – Heute besuchte ich jenes grüne Pläzchen auf dem bewußten Spaziergange, wo sich mein Herz Dir ganz aufschloß. Die Erinnerung riß mich von der seligsten Freude zur tiefsten Schwermuth hin! – Ich bin nun so ganz glüklich, seitdem Du mir Hofnung machtest, einstens dein göttliches Herz ganz zu besizzen, daß ich mich vor Entzükken selbst nicht mehr kenn! – O! wenn mir doch mein Schiksal bald die Freude gönnte, Dich, gutes Weib, für deine ausgestandene Leiden schadlos zu halten! wie äußerst froh wollte ich dann seyn! – Meine Lage ist noch etwas unvermögend, aber sie wird bald[193] besser werden, um Dich, Theuerste, von meiner Liebe überzeugen zu können. –

Daß ich Dich ohne sinnliche Absichten liebe, das hast Du an dem Morgen unseres Abschiedes gesehen. – Wußte ich mir nicht zu gebieten? – Sag, hab ich Dich auch nur mit einer Miene beleidigt? – Ehe Du ganz mein bist, will ich unser Band nicht enger knüpfen. – Aber hörst Du, ganz mußt Du mein werden! – ganz! – denn das ist der eigentliche Verstand einer gutartigen Liebe. –

Wenn Dir etwas zustößt, oder was Dich immer für ein Schiksal treffen mag, so wende Dich an mich; ich bin ja dein einziger beßter Freund! – Wie lange wirst Du wohl noch ausbleiben? Doch nicht über sechs Monate? – Schreibe mir ja recht bald, damit ich Dir wieder sagen kann, mit welcher inniger Zuneigung und gränzenloser Liebe ich bin


Dein Zärtlichster Freund

*****


N. S. Nicht wahr, Fanny! der weis ein fühlendes weibliches Herz in Gährung zu bringen? – Kann der wohl diesem Brief nach ein Heuchler seyn? –

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 191-194.
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