CLII. Brief

An Fanny

[212] Nun, da haben wir's ja!!! – Sagt ich's nicht zum voraus, der milchbärtige Junge würde wie eine feige Memme zurükbeben, wenn das Bürger-Vorurtheil die Zähne gegen ihm blökte? – Da haben ihm einige alte Weiber unter seinen Verwandten wegen meiner Bekanntschaft die Ruthe gezeigt, und der furchtsame Knabe verkroch sich dann zitternd in den Winkel. –

Unsre jezzigen Jünglinge gleichen den alten Biedermännern eben so an Standhaftigkeit, als wie die Mükke dem Elephanten an Stärke.

Die hinfälligen, morschen Buben krochen unsern Alten aus ihren Schweislöchern. – Die Natur wollte sich vom Unrath reinigen, dann schuf sie Jünglinge fürs achtzehnte Jahrhundert. –

Weiber, die beim Zukkerbrod erzogen wurden, beschämen diese ohnmächtige Auswürflinge durch Redlichkeit, Stärke des Geistes und Festigkeit des Karakters. – Geschöpfe, die vom Vorurtheil unter Schwächlinge gerechnet werden, machen diesen unbärtigen Bastarten das Wort Mann, streitig. –[212]

Pfui! – daß sich doch die Lüge keinen bessern Stoff wählte, als in diesen Unwürdigen liegt! – So weit sank die Redlichkeit, daß sich sogar die Unwahrheit ihrer schämt. –

Männer-Kraft, Seelen-Stärke, Ehrlichkeit sind unter den teutschen Jünglingen in Staub gesunken. – Die Natur verlängert die Tage dieser kraftlosen Insekten blos darum, damit sie bei guter Laune über ihre erzeugten Misgeburten spotten kann, die sie während einer Verstimmung aus Zorn schuf. – Wenn die Alten ihr Wort hingaben, dann wurde es mit Wahrheit versiegelt und mit Redlichkeit gehalten. – Aber wenn unsere jezzigen Milchbuben Treue schwören, dann wird sie schon zur Lüge, noch dieweil der modische Süßling im Begriffe ist, den schlaffen Handschlag zu thun. –

Ha! – Wäre es doch unter uns Weibern eingeführt, dergleichen schmelzende Zukker-Püppchen mit dem kleinen Finger zu zerquetschen; mit welcher Herzens-Lust würde ich die erste Ausführerin dieser Rache werden! – Bei einer Treulosigkeit schlägt sich das andere Geschlecht mit den Waffen; nur für uns ist keine Vertheidigung übrig! – Wir bleiben ewig das Spielwerk jedes muthwilligen Buben, der sich's erlaubt, unter teuflischer Heuchelei um unser Herz zu buhlen! – Aber bei meinem Stolz sey's geschworen; ich will mich in Zukunft an diesem verrätherischen Geschlecht rächen! – auf eine Art rächen, die nicht alltäglich seyn soll! – Mein Herz soll schweigen – meine sanften, redlichen Gefühle sollen schlafen, und meine Zunge soll so lange eine täuschende Neigung heucheln, bis ich die Thräne irgend eines leidenschaftlichen Anbeters unter schmerzlicher Verwirrung, unter ängstlicher Ungewisheit von seinem unruhigen Auge rollen sehe!!! – O, und dann soll stolze, kalte Fühllosigkeit, bitteres Gespött über das männliche Aftergefühl, der Lohn seiner Leiden seyn! –

Du weist, daß ich nicht eitel bin; – aber alle weiblichen[213] Kunstgriffe will ich von nun an aufbieten, um die schläfrigen Sinnen der Männer anzureizen, und sie dann so lange mit Falschheit foppen, bis sie ihren wenigen moralischen Werth selbst einsehen lernen. – Wenn ich mir je ausgezeichnete körperliche Reize gewünscht hätte, so wäre es gewis zu dieser Stunde. – Doch auch meine wenigen Reize sollen hinlänglich seyn, mit Beihülfe meines Wizzes ein Geschlecht bei der Nase herumzuführen, worunter die meisten ihre Schand-Herzen, den armen leichtgläubigen Weibern zur Schau tragen. – Es soll mir herzlich lieb seyn, wenn ich in öffentlichen Gesellschaften die herumfaselnden Jungen an einander hezzen kann, – die, so flatterhaft sie auch immer sind, doch wenigstens durch mich von ihrer beleidigten Eitelkeit sollen gequält werden. – Der Ruf meines unterhaltenden Umgangs zog mir immer theils neugieriges, theils eitles Männer-Volk zu. – Aber kommt nur, ihr nasenweise Lekker, ihr falschen Krokodillen, ihr sinnlichen Weichlinge; ich will euch begegnen, wie es euer Geschlecht verdient! – Die wenigen Guten darunter bleiben ohnehin an dem treuen Busen ihrer Mädchen hangen, und für die übrigen herumirrenden Lotterbuben ist die boshafteste weibliche Intrike noch eine zu barmherzige Strafe. –

Gott! so weit treibt mich der Gram meines mishandelten Herzens! – So schröklich empört sich mein hintergangenes Zutrauen, das mich beinahe unversöhnlich macht! – Nichterwiederte Redlichkeit wütet gräßlich in einem Herzen, darinnen edler Stolz wohnt! – Der schüchterne Hase schrieb mir meinen Abschied, worinnen After-Moral und sehr falsche Grundsäzze herrschen, – vermuthlich um dadurch seinen Wankelmuth zu entschuldigen. – Doch bei mir entschuldigt ihn Nichts! – Die Schwüre der Liebe, die ein Mann einem unbescholtenen Weibe ablegt, kann Nichts brechen, als boshafter Meineid, oder Tod. – Zu einer solchen Standhaftigkeit braucht's weder Romanen-Tugend, noch überspannte[214] Ideen, sondern edler männlicher Stolz, Feinheit des Gefühls und Ueberlegung, ehe man ein fühlendes Weiber-Herz zur Liebe reizt. –

Schiksale, Verfolgungen, schlechte ökonomische Umstände müßen unter zwei bieder Liebenden wechselseitig getragen werden, sonst sieht die Liebe einer verrätherischen Betrügerei ähnlich, die sich bei jedem Zufall aus schändlichem Eigennuz an der Standhaftigkeit rächt. – Gerne hätte ich dem Wortbrüchigen diese derben Wahrheiten mündlich unter die Augen gesagt; aber er floh meine Gegenwart, scheute meinen Anblik, wich mir aus, und schien sich aus bösem Gewissen nicht vertheidigen zu wollen. – Dann riß ich in der ersten Hizze sein Bildniß von der Wand und trat es mit Füßen! –

Eine Zeitlang kämpfte ich noch mit beleidigtem Stolz und gutem Herzen. – Endlich siegte der erstere und gab mir wieder jene ruhige Richtung, die immer den lindernden Trost eines Unschuldigen ausmacht. –

Das wäre nun der Gang einer Geschichte, die ich aus meinem Gedächtnisse verbannen will. – Vielleicht habe ich sie mir auch selbst zu verdanken; warum war ich nicht mistrauischer? – warum hörte ich nicht genug auf deine Warnungen? – warum lies ich mich durch einige Duzzend Briefe bethören, die aus Eitelkeit an mich geschrieben wurden? – Merkt's euch, Freundinnen! – so giengs der gutherzigen

Amalie.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 212-215.
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