CLIX. Brief

An Fanny

[232] Liebe Fanny, mit aller deiner philosophischen Beurtheilungskraft hast Du Dich für diesmal, wie mich dünkt, doch geirrt! – Oder beharrst Du denn ganz eigensinnig auf deiner Entdekkung? – Liebe ist mir doch nicht so unbekannt, um ihr Daseyn nicht zu bemerken. – Man muß ja nicht gleich lieben; kann man denn nicht mit der süßen Freundschaft zufrieden seyn, wenn man Kopf genug genug hat, die Wonne derselben ohne Begierden zu genießen? – Ich würde mich zu Tode schämen, wenn mein Freund hierinnen mehr Selbstbeherrschung besizzen sollte, als ich! –

Was kann denn ich davor, wenn seine Denkungsart, sein Betragen, sein Herz mir täglich mehr gefällt, mich mehr entzükt? – Das sind Verdienste, die eine moralische Zuneigung erzeugen können, welche aber von der Liebe (bei der sich doch immer etwas Sinnliches einmischt) noch weit entfernt ist. –

Ich gestehe es, seine Grundsäzze in der Liebe sind hinreißend, werden ein jedes Mädchen glüklich machen, aber.... sie sind nicht für mich, sie sind für eine andere bestimmt! Es kann seyn, daß sich mein Herz im Stillen vorübergehenden kühnen Wünschen öffnete; was thut man nicht aus Uebereilung? – Die Nachricht seiner Verbindung hat mich niedergedonnert, es ist wahr, doch mehr in Betracht der unverschämten Koketterie seines Mädchens, als der Entdekkung einer Neuigkeit, die mir willkommen seyn mußte. – Oft glaubt der Mensch sein Ziel erreicht zu haben, und greift.... nach einem Schatten! – Daß ich sein Mädchen beneide, läugne ich auch nicht; aber beneidet man nicht auch oft Dinge aus Grille? – Ich habe noch mehr gethan, als ihn blos bemitleidet[232] – ich habe ihn sogar angefeuert bei seinem Mädchen auf die Entscheidung seines Schiksals zu dringen, damit er doch einmal ruhig wird, der gute Junge, der um dieser Zaudererin willen mit der schröklichsten Ungewisheit ringt. – War ich diesen Rath nicht der Freundschaft schuldig? – Du möchtest mich doch gar zu gerne verliebt sehen! –

Welches feindselige Geschikke ihn zu diesem unwürdigen Mädchen führte, weis ich nicht; aber so viel weis ich, daß er schon oft sagte, sie wäre wirklich nicht mehr das Mädchen, die seinen moralischen Forderungen entspräche: – Ob er nun an mir etwas besseres findet, darf ich aus Bescheidenheit nicht bestimmen; wenigstens kämpft er seit einiger Zeit mit der äußersten Schwermuth – ohne sich jemals herauszulassen, daß ich ihm mehr als Freundin bin. –

Ich bleibe bei meinem Saz: das Mädchen ist und bleibt eine fühllose Kokette, sonst würde sie ihm nicht einen Tag alle möglichen Aufmunterungen der Liebe anbieten und den folgenden durch Sprödigkeit und Ziererei wieder alle Hofnungen zernichten! – Empfände ich nicht Mitleiden mit seinem Kampfe, ich würde ihm diese gutherzige Blindheit derb verweisen. – Aus Mitleid, aus Freundschaft habe ich ihn zu einer Untersuchung ihrer Gefühle beredet. – Ich überlasse die Entwiklung dem Schiksale, und bin mit seinen Fügungen zufrieden. – –

Ha! – Man pocht! – Es ist mein Freund; er kömmt von seinem Mädchen.... Ich weis nicht, warum ich so zittere.....

Er rief mir freudig entgegen: »Mein Schiksal ist entschieden! – Ich bin glüklich!« –

Gott im Himmel! – Was gieng in diesem Augenblik in mir vor?.... Die Wehmuth übermannte mich... sie preßte mir bei dieser Nachricht Thränen aus. – Ich konnte an der Zufriedenheit meines Freundes keinen wahren Antheil[233] nehmen; sein Glük dünkte mich der Anfang meines Unglüks... O meine Fanny! – Deine weissagende Seele! Du hast Recht.... ich liebe ihn!!! –

Ha! ich möchte vor Schamröthe vergehen, daß ich Dich, daß ich ihn, daß ich mich so lange täuschen konnte! – Um deiner Liebe willen halte mein Läugnen nicht für Verstellung; ich wußte selbst nichts von dieser Leidenschaft! Gott! – was ist der Mensch für ein schwaches Wesen! – Wie wenig kennt er sich selbst, bis ihn die Leidenschaften überraschen! –

Ich kann Dir, liebe Fanny, diesen Auftritt nicht so lebhaft schildern, als ich ihn fühlte... O die gräßlichen Worte: Mein Schiksal ist entschieden! – Ich bin glüklich! – raubten mir alle Fassung! – Kaum vermochte ich noch die Frage herauszustottern: »Und wie ist es denn entschieden?« –

Die Freude, die ich bei dem Eintritt auf seinem Gesichte las, tödtete in mir alle Hofnung, ihn je zu besizzen! – Schon fühlte ich die entwikkelte Liebe und mein Unglük in all seiner Stärke, meinen Verlust in seinem ganzen Gewichte, meine hofnungslose Liebe mit einer Ewigkeit voll Jammer begleitet!!! – Nach meinen Empfindungen zu urtheilen, muß dies der einzige Mann in der Schöpfung seyn, der mir bis izt mangelte! –

Aber stelle Dir mein heimliches Entzükken vor, als er mir in wenigen Minuten darauf gerade das Gegentheil von dem sagte, was mich so gebeugt hatte, als er mit fröhlichem Herzen anfieng:

»Sie haben mich unrecht verstanden. Ich bin frei; das Mädchen liebt mich nicht, hat mich nie geliebt; sie hob auf meine dringende Bitte alle Hofnung zur Gegenliebe auf, aber mit einer Kälte, mit einer Kälte, die meinen ganzen Stolz empörte!« –

Dieser rasche Uebergang, diese glükliche Täuschung wirkte so sehr auf mich, daß ich in lautes Weinen ausbrach! –[234] Ich beredete ihn, daß es Thränen der Theilnahme, Thränen der Freundschaft wären, – aber es waren Thränen... der Liebe. – O meine Freundin, wenn er meine Leidenschaft nur nicht bemerkt hat! – Wenn er nur auch für mich so viel empfände! – Oder wenn er nur nicht so viele ausgezeichnete moralische Reize besäße! –

Darf ich Den zu lieben erröthen? – Den, der alle Geistesvorzüge besizt, – der die Beleidigung dieser Kreatur mit keinem bittern Wörtchen ahndete, – der wie ein sanfter Engel ihre Falschheit bemitleidete und seinem Herzen aus edelm Selbstgefühl Richtung gab? – Den, der so ganz das Ebenbild meines Ideals ist? – Den, auf dessen Herz, auf dessen moralischen Karakter, auf dessen Talenten eine jede Denkerin stolz seyn würde? –

O Dank dir, Alltags-Mädchen, Dank dir, daß du ihn nur der Schaale nach beurtheiltest, daß du in ihm den galanten Modegekken vermißtest, der deiner dummen Eitelkeit besser würde geschmeichelt haben; daß du seinen innern Werth aus eigner Verdienstlosigkeit nicht entdektest! – Verzeihe, meine Freundin, wenn ich hier abbreche! Giebt es für meine Empfindungen eine Sprache? –

Amalie.[235]

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 232-236.
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