II. Brief

[6] Mit zitternder Angst im Herzen schrieb ich dies! – Gott! – Wie mich Ihre Lage ängstigt! Wie sie mir meine Sinnen raubt! Wie ich muthloses Kind werde! Wie ich für Sie zittere! Und wie ich mich Ungeheuer über alles selbst verdamme, daß ich eine unschuldige Ursache an Ihrer Zerrüttung bin; aber um Gotteswillen Friz verdamme mich nicht: Ich kann ja nichts davor, daß es just so kommen mußte! Ich bin rein vor den Augen Gottes, ich bin deiner Liebe nicht unwürdig! Ich fühle, daß dein Umgang meine Glückseligkeit ausmachen würde, wenn mich nur mein Schiksal nicht in Labyrinthe geworfen hätte, die fürchterlich sind! In Deine Hände lege ich mein Schiksal; siegen wir, so weißt Du, welche Wonne in der Liebe unser wartet! Halte[6] mich nur für keine Verbrecherinn; Du wußtest zum voraus, was ich Dir wegen meiner wirklichen, unwürdigen Bekanntschaft sagte. Der Zufall, und meine Leichtgläubigkeit hat mich in elende Hände gespielt. Aber ich will bei Gott meinem Schwur so lang als möglich treu bleiben! Du selbst bist der Engel von Mann, der mich keine Pflicht verlezzen hieß, bis ich von der ganzen Treulosigkeit eines Undankbaren überzeugt bin, und dann will ich entschließen. Was kannst Du, was kann ich, für die Harmonie unserer Karakter? Man soll Dich von mir reißen, man soll alles anwenden, um uns zu trennen; aber mein Herz, und meine Hofnungen sind doch frei! – Ich kann deinen Umgang entbehren, denn ich hange weder am Eigennuz, noch weniger am Körper, und wer hat denn Macht mir Dein Herz zu entreißen? Aber wenn Du es von dieser Stunde an noch einmal wagst, Mistrauen in meine absichtslose Liebe zu sezzen, dann sey Dir auch Gott gnädig! – Bei allen Heiligen beschwöre ich Dich, jedem, der etwas von mir spricht, den Rükken zu kehren! Handle Deiner Klugheit gemäß, und laß übrigens Gott walten. – Ha! So haben denn die Verläumder mein Heiligstes angegriffen! Ich weine und dulde. Könnte ich mich nur geschwind in das Gewand einer Heiligen hüllen, und mit dieser Außenseite meinen Feinden unter blutigen Thränen zurufen: Laßt mich ihr Boshaften, der bloße Schein war wider mich! Verdammt sey von dieser Stunde an meine Lebhaftigkeit, verwünscht jeder Augenblik, wo ich mich je wieder durch sie vergeßen könnte! Ich bin an die große Welt gewöhnt, ich bin frei ohne Frechheit, man dringt mir zu, sie flattern um mich herum die Elenden, aber mein Wiz soll zu Gift und mein Verstand soll zu Wasser werden, wenn ich nicht von nun an, auch den kleinsten Schein zu Deiner Beruhigung verhüte! – Doch Du wirst[7] sehen, es wird in dieser pöbelhaften Frau Basen-Stadt nichts nüzzen! Vielleicht glänze ich denn in deinen Augen desto heller! Aber deine Verwandten haben es einmal auf mich gefaßt, und ruhen gewiß nicht eher, als bis mich mein Feuer zu einem tollen Streiche verleitet. Hier hast Du nun alle Geheimniße meines Herzens, und bekömmt sie eine Seele außer Dir zu sehen, dann .... ha, dann wären ewige gräßliche Mißhandlungen von Deinem groben Nebenbuhler mein Loos! – Doch mein Friz ist vorsichtig! – Friz überlegt, Friz kann sein armes Weibchen nicht kränken! Aus Barmherzigkeit sey überall vernünftig, nur keiner Seele getraut!

Es schlägt zwölf Uhr, und ich springe wieder wütend aus dem Bette! Dauert es so fort, o dann weh mir! Wenn Du mich nicht aufrichten kannst, so bin ich, – so ist meine Gesundheit verloren. Das hiesige Bürgervorurtheil erwürgt mich fast! Und doch kann ich meine Feinde nicht haßen. O wenn die Grausamen mich kennen wollten, sie würden mich gewiß lieben. Hängen doch Personen meines Geschlechts leidenschaftlich an mir, und es sollte unmöglich seyn, Deinen eigensinnigen Bruder zu bereden?

Ich bin arm, verlaßen in die Welt hingeworfen, aber reich und stolz in meinem Herzen! Doch was kümmert mich das Nattergezücht; wenn Du mich kennst, und ruhig bist, dann mögen sie plaudern, die Knaben, die in Weiberrökken stekken, und die mich wegen einer bloßen öffentlichen Unterhaltung verdammen wollen! Bedenken denn die Elenden nicht, daß es meine Ehre gilt, daß es die Ruhe eines Jünglings gilt, der seit so vielen Monaten Umgang von mir eines beßern überzeugt ist? Friz! – Ich will nicht mehr zürnen! – Aber ich kanns nicht tragen; meine Unschuld, mein Stolz empört sich, ich möchte laut weinen! Ich bin es meinem würdigen Erzieher schuldig,[8] mich selbst zu ehren, und von heute an, will ich von nichts weiter mehr wissen, als was uns etwa trennen könnte! Das übrige sind kleinstädtische Schlangenbiße, die uns lebendig ins Grab reißen, wenn wir ihnen Gehör geben! – Also nichts mehr, Freund, als was uns trennen könnte, und dabei kömmt's doch, glaub ich, nicht auf den Willen Anderer an? Sey aber sanft gegen deine Aeltern, sonst könnte ich Dich verabscheuen. Diese schwachen Leute haben dies Kreuz eben so wenig als wir verdient, und sollte diesem Ungerechten die Entbehrung meines Umgangs Ruhe schaffen, so richte Du es ein, wie Du willst, wie Du kannst. Es wird Dich und mich schröklich viel kosten; aber was ist denn auch das für große denkende Seelen? Laure nach, es müßen Schurken unter der Verläumdung stekken, sonst könnte man nicht so in Dich dringen, mich zu verlaßen; vielleicht gar ein Geweb von Eifersucht? Gleich viel; vertheidige mich nicht weiter; Gott ist meine Hülfe, Er läßt mich gewiß nicht ganz unterdrükken! Nicht wahr Friz, izt sind meine Ahndungen erfüllt, die ich vor etwelchen Tagen hatte? Wie mich's da preßte, wie Du alle Macht der Vernunft zu Hülfe rufen mußtest, um mich zu trösten! – Forsche nach, ob nicht etwa in meinem Hause Spionen sind? Ich will eher das Bürgergeschmeiß meiden. Mache indessen bei den Deinigen den kalten Hofmann, wenn es Dir möglich ist, aber nur Schonung für mein Herz! Bei dem Allmächtigen Schonung für meine Empfindsamkeit, Du kennst meine Erziehung! – Gaßengeschwäz ist mir unausstehlich! Denn ich fühle mich, Gott sey Dank, über den Weiberkram erhaben!

Nina.


Heißt das Wort halten? Bis eilf Uhr ohne Fehl Antwort. Später kann es nicht seyn! –[9]

Quelle:
Marianne Ehrmann: Nina’s Briefe an ihren Geliebten, [o. O. ] 1788, S. 6-10.
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