LI. Brief

[92] Endlich ist er fort, mein Peiniger, und ich kann wieder mit Dir sprechen. – Aber denke nur, Schark foderte durchaus einige Briefe zu lesen, die Du an mich schriebst, und als ich sie ihm versagte, dann wurde er finster und schwermüthig. – Einstens täuschten mich diese Grimaßen, aber jezt nicht mehr, er sündigte lange genug auf mein gutes Herz hin, nun mag er auch büßen, ich bin kalt, wie der Tod für seine Winseleien! – Er hat mich beschimpft, mich elenden Kreaturen an die Seite gesezt, er ist nun öffentlicher Wollüstling, und meiner ganz unwürdig. – Bei der Gefahr mich zu verlieren, fühlt er erst den Werth meines redlichen Herzens; oft vergab ich ihm, oft duldete ich im Stillen, aber sobald er mich versöhnt glaubte, dann blieb er der alte Wollüstling. –

Friz, bei meiner Liebe sey es geschworen, daß ich die Wahrheit rede, hätte ich meine Gutherzigkeit an einen beßern Jungen verschwendet, dieser Undank würde mir nie zu Theil geworden seyn, – ich würde mir ein Geschöpf gebildet haben, das mein Leben hätte beglükken können. – – –

Aber auch gut, daß es so gekommen ist, sonst hätte ich ja Dich nicht kennen gelernt, Dich Einziger, den ich so feurig liebe! – – O wüßtest Du, was alles für Unerträglichkeiten in Scharks Karakter liegen, die ich erst jezt recht kennen lerne, Du würdest Dich wundern, daß es solche Menschen geben kann, die von ihren Leidenschaften hin und her getrieben werden. Hochmuth, Dummheit, Widerspruch,[92] Drohungen, Grobheiten, Schimpfreden, Geiz sind die Gesellschafter seiner meisten Launen. –

Beßerung ist bei ihm wohl wenig mehr zu hoffen; Unglük allein könnte ihn vielleicht beßern; der Himmel schenke ihm Selbstkenntniß und baldige Erinnerung seiner Fehler. –

Liebchen laß mich gleich wißen, wie es um Deine Gesundheit steht? – Gott! – Wenn Du nur nicht etwa recht krank wirst! – Ich wäre die verlaßenste, die ärmste, die elendeste unter allen Weibern! – O Allgütiger erhalte ihn! – Erhalte ihn, zum Trost seiner armen

Nina.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Nina’s Briefe an ihren Geliebten, [o. O. ] 1788, S. 92-93.
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