LXV. Brief

[112] Rosenthal den 21ten Oktober.


Lieber Herzens-Gatte! – Ist das nicht zum todt ärgern, gestern kam die Post nicht und gieng auch nicht ab, folglich blieben unsere Briefe liegen, und wir erhalten sie erst heute. – Montags kannst Du mir schreiben, aber ich Dir nicht, Dienstag kömmst Du selbst, dann reden wir wegen der Post-Ordnung ab. – Trage ja Deine Briefe zeitig genug auf die Post, sonst leide ich Todes-Angst, wenn einer liegen bleibt! –

Lieber Friz, wenn Dich nicht wichtige Gründe abhalten, so mußt Du ohne Fehler kommen. – – Du wirst große Augen machen, die Wirths-Leute fangen mich an zu drükken, und meine Börse wird es tüchtig empfinden, wenn Du nicht gleich eine andere Einrichtung triffst. – Das Volk muß mich für eine verwunschene Prinzeßin halten, weil es mich so übertrieben zahlen macht. – Schreibe mir, ob Du geritten oder gefahren kömmst und welchen Weg Du eigentlich einschlägst, damit ich Dir entgegen kommen kann. – Reite mit Thor-Aufschluß von Hause weg, und nimm ja eine geschikte Ausrede. – – Gott! – Gott! – Warum darf der Mann sein eignes Weib nicht öffentlich herzen und küßen? – O Vorurtheil, du abscheuliches Ungeheuer! – Sonst hieng ich um diese Zeit an Deinen Lippen, und nun weg von Dir, entfernt von einem Umgang, der mich so manches lehrte, der mich so glüklich machte. – Gott! – So ein Verhängniß greift in die Seele! – Ist schröklich für ein liebendes Weib, die sich ihrer Liebe vor aller Welt Augen nicht schämen dürste! – –

Ha! – Wenn ich Dich wieder sehe, wenn Du mich wieder küßest, wenn Du wieder im trunknen Taumel Nina herausstotterst, dann, o dann, will ich weinen und fühlen! –[112] Friz, wie ist Dir denn? – Ich bin wie verloren, ich würde es ohne Dich nicht länger aushalten können, ich würde Dich abholen und mitschleppen, und sollte es auch bis an's Ende der Welt gehen! – –

Du mußt, Du mußt mir aus Liebe bald folgen, sonst weh, weh Dir! – Tausend Küße, tausend Lebewohl von Deiner abwesenden Gattinn. – –

Quelle:
Marianne Ehrmann: Nina’s Briefe an ihren Geliebten, [o. O. ] 1788, S. 112-113.
Lizenz:
Kategorien: