LXXI. Brief

[142] Rosenthal, den 5ten December.


Friz, glaubst Du wohl ich könnte die Post abwarten, bis sie abgeht und wieder kömmt? – So was mag wohl für flegmatische Klözze taugen, aber für mich nicht. – Heute Abend noch muß ich durch diesen Expreßen Beruhigung von Dir haben, sonst ... – Traue doch um Gotteswillen Deinem Bruder nicht, er ist gewiß falsch! – Denke nur, wie er Dich erst vor Kurzem um meinetwillen foppte, o traue ihm nicht! – Du wirst sehen, er lebt uns zu Leide, Du wirst sehen, er will mich unglüklich machen, er will mich von Dir reißen, er will uns trennen! – – Ich, eine Heuchlerinn! – Jesus Christus! – Ich eine Heuchlerinn! – Ich, die ich mich um Deinetwillen lebendig in eine Einöde begrabe! – Ich soll mich wie eine Verbrecherinn untersuchen[142] laßen? – O, um's Blut Christi willen, er soll aufhören Verdacht auf mich zu werfen, da er mich nicht einmal von Person kennt! – Ist das christlich? – Ist das menschenfreundlich? – Ist das edel, wenn man von seinem Nebenmenschen ohne einige Ueberzeugung lieber Böses, als Gutes glaubt? –

Der rechtschaffne Mann, der ein menschliches Herz besizt, bleibt bei einer üblen Nachrede kalt und im Gleichgewicht, wenn er den Verläumdeten nicht selbst prüfen kann. – Aber ohne Gewißheit das Angedichtete weiter sagen, Verdacht nähren, mit Gewalt eigensinnig das Ueble glauben wollen und dadurch ein armes Weib zur Verzweiflung, zum Selbstmord bringen, ist das nicht teuflisch? – – Siehst Du, man trägt darauf an, mich zu Grunde zu richten! – Und Du eilst nicht zu Fuße fort? – Du läßt es darauf ankommen, daß man mir Vergehungen andichtet? – Um Dich zu betrügen, um Dich abwendig zu machen, thun sie das, Ha! – Wie kannst Du nur so gelaßen dabei bleiben? – Aber fein, fein wollen sie Dich hintergehen, merkst Du denn nichts? – –

Nun so sey Gott mein Schuz, mein Retter, wenn mein eigner Mann nichts ahndet! – Nicht wahr ich bin eine zaghafte Kreatur? – Vielleicht wohl gar aus Heuchelei! – – Aber bei Gott, bei Allem was heilig ist, bei dem schönen Wort Liebe, bei der Natur sey's geschworen, eher Tod, als Dich laßen!!! – Zeig diesen Brief Deinem Bruder nicht, er würde mich hinabheucheln, in Abgrund! O! er haßt mich ja, und ich that ihm nie etwas zu Leide, kenne ihn nicht einmal. – –

O Gott! – Wie wird mir? – Es ist mir als sollte ich zusammen sinken ... Hülfe! – Rettung! – Für Deine

Nina.[143]

Quelle:
Marianne Ehrmann: Nina’s Briefe an ihren Geliebten, [o. O. ] 1788, S. 142-144.
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