LXXVIII. Brief

[159] H... Den 14ten November.


O, Du Lieber, Du bist wohl tausendmal mehr werth, als alle Beschwerlichkeiten, die ich bei diesem Herumziehen ausstehen könnte. – Nun bin ich hier mit Sak und Pak, und warte unter abscheulicher Langerweile, bis der Postwagen abfährt. –

Wie mir's ums Herz ist, kannst Du leicht vermuthen, weil ich mich bald so weit von Dir entfernen muß. – Hart ist doch ein solches Schiksal für ein liebendes Weib! – Doch[159] nein, es ist nicht hart, es ist süß, denn die Wollust aus Lieb zu dulden erkauft man nie zu theuer. – Ich bin bei allen, dem so innig zufrieden, so selig, als ob es ewig, ewig meine Bestimmung wäre, um Dich zu leiden.

Bist Du denn auch wohl, Liebchen? – Wirst Du mich auch bald unterstüzzen? – Wirst Du bald nach F.... kommen? – Werde ich Dich bald wieder an mein Herz drükken können? – O tröste mich lieber Gatte mit Hoffnungen, tröste mich! – –

Ha! – Was ist Entfernung! – Eine Qual, worüber man rasend werden möchte! – Wäre Schark und Dein Bruder nicht, ich könnte zurükkehren, Friz und Nina wären jezt ruhiger. – Doch es ist einmal nicht zu ändern, und ich erwarte einstens dafür namenlose Belohnungen in Deinen Armen. Sage, theuerster Gatte, erwarte ich zu viel? – – O laß mich dann hinsinken an Deinen Busen und Deinem Bruder sagen, daß er sich irrte, wenn er glaubte, eine Schwärmerei daure in der Liebe nicht lange. – Das ist eine Lüge; wenn ein Weib nach und nach zu schwärmen anfängt, wenn sie Geist, Vernunft, die Seele, das Herz in einem Manne liebt, dann muß ihre Liebe ewig dauren weil sie auf unsterbliche Verdienste gegründet ist. – Gerade jezt fällt mir ein herrlicher Gedanke ein, ich will Röschen auf die Post schikken, der Sekretär muß mir Deinen Brief ausliefern, wenn er auch gleichwohl nach F... laufen soll. – Du weist doch, daß alle Deine Briefe hiedurch müßen? – –

O wenn nur Röschen schon wieder da wäre, wenn er ihr nur den Brief giebt, wie ruhig, wie ruhig will ich dann reisen! – – Gott! – Gott! – Was ist Erwartung für ein lebhaftes Temperament! –

Dank, tausend Dank, mein Gatte! Röschen zeigte mir Deinen Brief schon von weitem. – – Kümmere Dich[160] nicht Liebchen, ich nehme Dir ja Deine Zerstreuung in Deinem Briefe nicht übel, in der Lage kann es nicht anders seyn. – Nach Tisch noch ein Wörtchen mit Dir. –


Nach Tisch.


Aeußerst plagt mich die Langeweile, weil ich nicht geradezu an den Ort meiner Bestimmung reisen kann; hätte ich Deinen Brief nicht, ich würde völlig zu Grunde gehen. – Wohl zehenmal habe ich ihn schon durchlesen. – Da muß ich nun wieder in einem fremden Wirthshause sizzen und alle Leiden der Abwesenheit allein tragen. – Wärst Du jezt da und rauchtest Dein Pfeifchen an meiner Seite, wie glüklich würde ich seyn! – Weist Du Liebchen, heut acht Tage waren wir in N...; weist Du, wie ich alle Entzükkungen Deiner Liebe fühlte? – – Wie ich hingerißen in Wonnetaumel Dir für Dein Gefühl dankte. – O unser Leben ist doch eine Kette von Abwechslungen seit dem wir uns kennen. –


Abends.


Denk Liebchen, so eben gieng der Sekretär von uns weg, ich muß Dir gestehen, er, ich und Röschen, wir waren recht munter. – Er nekte mich wegen meiner Heftigkeit und sagte: »Sie würden bei meiner Seele sterben vor Ungedult, wenn ein Brief von ihrem Gatten nur um eine Stunde zu spät ankäme. Ja, ja ich schäzze Ihren Herrn Gemahl recht sehr, aber wenn Sie Wittwe wären. »... – Röschen lachte wie eine Närrinn über den guten Mann. Schreib ihm ja recht bald, er handelt gegen mich sehr dienstfertig. – Ich muß zu Bette, vielleicht geht der Postwagen in der Nacht fort. – Ruhe sanft, gute Seele! – –
[161]

Morgens um 4 Uhr.


Noch vor meiner Abreise meinem Gatten zwei tausend Küße! – Gott sey bei Dir, und meine Liebe immer und ewig vor Deinen Augen! – Lebe wohl! – Lebe wohl!!! – Nimm hier noch den Abschiedskuß von Deiner armen Wanderinn, Dein gutes, liebes,

treues Weib.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Nina’s Briefe an ihren Geliebten, [o. O. ] 1788, S. 159-162.
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