Madenburg

[154] Trümmer eines alten Schlosses

Sucht der stille Wandrer auf,

Wandelt rasch den späten Lauf

Zu der Burg, die oben thront.


Er bescheinet die Gestalt

Zwiefach Licht,

Oben kalt

Bleich der Mond

Unten bricht

An dem fernsten Horizont

Sich der Abendsonne Strahl;

Tief im Dunkel ruht das Thal.

Drüben sprühn

Rosigen Schimmer

Alte Trümmer

Von der Sonne letztem Glühn.


Durchs Geklüft der Thürme pfeifend,

Weht der melancholsche Wind.

Sieh! der Schein des Mondes spinnt

Ueber wankendes Gemäuer

Einen lichtgewobnen Schleier,

Sanft am Glühn vorüberstreifend.


Geisterathmen hauchet aus

Der Verschüttung düstrer Graus,

Schatten ziehn sich lang

Schauerbergend zu dem Felsenhang.
[155]

Und des Schlafes süßes Reich

Neigt auch schon

Auf den müden Erdensohn

Den bemohnten Zweig.


Aber in gemessnem Schritte

Wallet zu des Hofes Mitte

Majestätisch Paar zu Paar

Grauer Mönche stumme Schaar.

Dort zur Stelle

Ragt verfallen die Kapelle.

Dort erschallen in den Hallen,

Zu der Jungfrau Preis und Ehre,

Ihre Chöre,

Die des Windes leiser Flug

Säuselnd durch die Trümmer trug.


Immer lieblicher erklingen

Dann die Töne, tiefer dringen

Sie ins Herz dem Jüngling ein.

Feierliche Worte rauschen

An sein Ohr, die Mönche tauschen

Das Gewand im Mondenschein.


Und der Wandrer jäh erwacht,

Und der Wandrer hellauf lacht.


Fröhlich lagen sie beisammen,

Auf dem Moose des Gesteins,

Seine Freunde, bei den Flammen

Eines hellen Feuerleins.
[156]

Dort wo längst verstummt die Klänge,

Walten Lieder mancherlei,

Tönen kräftge Jubelchöre,

Zu des Vaterlandes Ehre

Manche frische Melodei.


Wanderung und Minne klang es

Und dem Becher ward sein Lied.

Herzerfreuend scholl die Weise,

In dem frohen Zecherkreise,

Herzerfreuend Lied auf Lied

Durch die alten Hallen zieht.


Morgen durch die grünen Thäler

Streifen wir mit neuer Lust!

Morgen in die heitern Schenken

Werden wir die Schritte lenken,

Da wird helle Kopf und Brust!

Quelle:
Ludwig Eichrodt: Leben und Liebe, Frankfurt a.M. 1856, S. 154-157.
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