Die Bodenkammer

[39] Das war auf unsrer Bodenkammer,

Wo schräg das Dach darüber lief.

Ach, was verschloß die rostige Klammer

Der schweren Tür! Von keinem Brief

Wurd je ein Siegel weggebrochen

Mit so erhöhtem Herzenspochen,

Als wir zum Paradies dort oben

Die schwere Luke keuchend hoben.


Da gab es einen Tannenbaum,

Vom letzten Fest noch aufgehoben,

Der fuhr als Schlitten durch den Raum,

Daß Staub und trockne Nadeln stoben.

Da gab es eine Wäschemangel,

Die rollend an zu kreischen fing,

Wie noch in keiner rostigen Angel

Je eine alte Türe ging.


Da gab es eine leere Kiste,

Ganz wie gemacht zum Höhlenhaus,

Ein morsches Ding, ein Wurmgeniste,

Und Spinnen tapeziertens aus.

Doch Kindersinn hat Zauberkraft

Mehr als die Lampe Aladins,

Ein Wunsch – da baut sich Schaft an Schaft

Das schönste Schloß, Fürsten beziehns.[39]


Dann war da eine alte Wanne,

Die, leck, schon längst kein Wasser sah,

Und eine alte Gärtnerkanne,

Durchlocht und ganz zerbeult, war da.

Das war ein Trommeln und Trompeten!

Herr Hauptmann und Herr General!

Das ganze Bataillon antreten!

Zu Pferde stieg der Feldmarschall.


Und ja das Pferd! Kein Blücher drückte

Ein bessres unterm Siegeslaub.

Dort floß der Rhein, der überbrückte,

Dort der Kartoffelsack war Kaub.

Der alte brave Schaukelschecke

Fiel vom Galopp in pleine carrière

Und mitten in der Feinde Heer,

Kam er dabei auch nicht vom Flecke.


Ach Gott, was schlossen diese Wände

Nicht alles ein, die ganze Welt,

Von einem bis zum andern Ende,

War zwischen ihnen aufgestellt.

Im schiefen Dach das kleine Fenster

Warf Licht in ein unendlich Land,

Wo Räuber, Könige und Gespenster

Das Kind in jedem Winkel fand.


O könnt ich einmal noch im Leben

Die knarrenden Stufen da hinan,

Die alte schwere Luke heben

Und in der Bodenkammer dann

Noch einmal auf dem Schaukelpferde

Napoleon in Ägypten sein

Und mit tyrannischer Geberde

Die Welt in Grund und Boden schrein.


Aus manchem Sattel mußt ich gleiten,

Drin ich ein Feldherr mich geglaubt,

Und mußte still zu Fuß dann schreiten,

Ein Wandrer, den der Weg bestaubt.[40]

O Rößlein meiner Knabenspiele,

Du trugst mich schlank an alle Ziele,

Die mein Papierhelm vor sich sah –

Ein Gertenschlag: Viktoria!


Quelle:
Gustav Falke: Ausgewählte Gedichte. Hamburg 1908, S. 39-41.
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