Achtes Kapitel.

[200] Entwürfe der Frau von Bellaston, wie sie den Herrn Jones zu Grunde richten will.


Die Liebe hatte im Gemüte des Grafen von Liebegrimm zu tiefe Wurzel geschlagen, als daß sie die ungewandte Hand des Herrn Western hätte ausreuten können. In der Hitze seines Zorns hatte er allerdings dem Kapitän Schluchttreiber einen Auftrag gegeben, den der Kapitän in der Ausführung weit überschritten hatte; der auch gar nicht einmal zur Ausführung gediehen sein würde, hätte der Graf, nachdem er vom Besuch bei der Frau von Bellaston zurückkam, welches des Nachmittags nachher war, da er die Beleidigung erlitten, den Kapitän auffinden können. Aber so treufleißig war der Offizier in seinem Dienste, daß er, nachdem er endlich, nach langem kundschaften, des Junkers Wohnung spät gegen die Nacht entdeckt hatte, die ganze Nacht in einem Weinhause aufsaß, um den Junker nicht des Morgens zu verfehlen; und auf diese Weise kam ihm die Kontraordre nicht zu Händen, die ihm der Graf in sein Quartier geschickt hatte.

Den zweiten Nachmittag nach demjenigen, an welchem Sophie die Notzucht zugedacht war, machte, wie wir gesagt haben, der Graf einen Besuch bei der Frau von Bellaston, welche ihm so viel von dem Charakter des Junkers vor Augen stellte, daß Se. Hochgräfliche Gnaden die Dummheit gar deutlich einsahen, die Sie dadurch hatten ausgehen lassen, daß Sie sich über seine Worte zu ereifern geruht hatten; zumalen bei Dero so ehrenvollen Absichten auf seine Tochter. Hierauf ließ sich der Graf über die Heftigkeit seiner Leidenschaft gegen die Frau von Bellaston heraus, welche sich seiner Sache gern und willig annahm, und ihn dadurch aufmunterte, daß sie ihn gewiß versicherte, nicht nur die Aeltesten der Familie würden ihn äußerst günstig aufnehmen, sondern auch selbst der Vater, wenn er eben nüchtern und von der Natur des seiner Tochter gethanen Anerbietens unterrichtet wäre. Die einzige Gefahr, sagte sie, läge in dem Kerl, dessen sie schon ehmals erwähnt hätte, der zwar nur ein Bettler und Landstreicher sei, bei alledem aber doch auf eine oder die andere Weise, Gott möchte wissen wie? Mittel gefunden habe, noch so ziemlich gut gekleidet und wie ein feiner Mensch einhergehn zu können. »Nun aber,« fuhr sie fort, »da ich, aus Liebe zu meiner Kousine, mir ein Geschäft daraus gemacht habe, mich nach diesem Burschen erkundigen zu lassen, so habe ich endlich glücklicherweise erfahren, wo er sich aufhält;« – nachdem sie dem Grafen den Ort seines Aufenthalts gesagt hatte, fügte sie hinzu: »Ich habe gedacht, lieber Graf, ob (denn für eine persönliche Satisfaktion ist Ihnen der Kerl zu gering), ob es Ihnen nicht thunlich sein möchte, den Zeisig auf eine oder die andre Art zum Seedienst wegnehmen und auf ein Schiff werfen zu lassen. Diesem Projekte stehen weder Gesetze noch Gewissen im Wege; denn ich versichre Sie, der Kerl ist, trotz der artigen Kleider, worin er steckt, weiter nichts als ein Vagabund, und gehört mit Fug und Recht zu dem müßigen Gesindel, welches nach[201] der Verordnung zum Seedienst gepreßt werden soll; und was die Einwendungen von Seiten des Gewissens betrifft, so ist es doch wohl eins der verdienstlichsten Werke, ein junges Frauenzimmer vor solchem Unglück zu bewahren; und in Ansehung des Burschen selbst, wofern er nicht bei meiner Kousine seinen Zweck erreicht (was der Himmel verhüten wird!), so kann es sehr wahrscheinlicherweise das Mittel sein, ihn vor dem Galgen zu bewahren und kann ihn auf einen Weg bringen, worauf er auf eine ehrliche Art sein Glück machen kann.«

Der Graf Liebegrimm dankte der gnädigen Dame gar herzlich für den Anteil, den sie an einer Angelegenheit zu nehmen geruhte, von deren Ausgang seine ganze künftige Glückseligkeit völlig abhänge. Er sagte, noch sähe er nicht, was dran hindern konnte, den Kerl, auch wider seinen Willen, in des Königs Seedienste zu bringen, und er wolle drauf denken, daß es geschehen sollte. Er empfahl hierauf der Dame sehr dringend, ihm aufs baldigste die Ehre zu erzeigen und seine Vorschläge an die Familie zu bringen, der er, wie er sagte, Carte blanche geben, und über sein ganzes Vermögen solche Verfügungen eingehen wolle, die die Familie für zuträglich erachten würde. Und nachdem er eins und das andre Hohelied von Sophie angestimmt hatte, nahm er seinen Abschied und ging fort; vorher aber ward es ihm erst noch einmal eingeschärft, den Jones nicht zu vergessen und keine Zeit zu verlieren, um seine Person an einen Ort zu bringen, wo es nicht länger in seinem Vermögen stünde, neue Versuche zum Untergange des jungen Fräuleins zu machen.

Denselben Augenblick, da die Tante Western in ihrer Wohnung angekommen, ward eine Karte mit Empfehlung an Frau von Bellaston gesandt, die solche nicht so bald empfing, als sie mit der Ungeduld eines Verliebten zu ihrer Kousine flog und sich über die herrliche Gelegenheit nicht wenig freute, die sich über alles Hoffen von selbst darbot; denn die Aussicht war ihr viel angenehmer, die Vorschläge einem Frauenzimmer von Verstande, und die dabei die Welt kennte, zu thun, als einem Manne, dem sie die Ehre erwies, ihn einen Hottentoten zu nennen; obgleich, in der That, sie von ihm keine abschlägige Antwort besorgte.

Die beiden Damen machten sich nach einigen kurzen vorläufigen Zeremonien alsobald an das Geschäft, welches werklich fast ebensobald geschlossen als eröffnet war; denn Tante Western hatte kaum den Namen eines Grafen gehört, als ihre Wangen vor Freude glühten. Als sie aber gar noch von der Heftigkeit seiner Liebe, der Ernstlichkeit seiner Vorschläge und von der Großmut seines Anerbietens benachrichtigt war, da äußerte sie ihre völlige Zufriedenheit in den deutlichsten Ausdrücken.

Im Fortgang ihres Gesprächs fiel die Rede auf Jones, und die Kousinen beklagten beide sehr bitterlich die unglückliche Liebe, welche Sophie, wie sie alle beide gestanden, für den jungen Menschen hätte; und Fräulein von Western schob wieder die alleinige Schuld auf das thörichte Benehmen ihres Bruders. Sie schloß gleichwohl endlich damit, daß sie sich auf den richtigen Verstand ihrer Nichte[202] verließe; »denn,« sagte sie, »ob sie gleich dieser ihrer Liebe Blifils wegen nicht entsagen will, so zweifle ich doch nicht, wird sie bald dahinzubringen sein, eine bloße Inklination den ordentlichen Anwerbungen eines vornehmen Herrn bei Hofe aufzuopfern, der sie zu einer Reichsgräfin macht und ihr ansehnliche Güter verschreibt. Denn in der That,« fügte sie hinzu, »muß ich Sophien die Gerechtigkeit widerfahren lassen, zu gestehen, daß Blifil eine so scheußliche Art von Kerl ist, wie die Landjunker alle sind, wie Sie wissen, Bellaston; und daß er nichts hat, was ihn empfehlen könnte, als einzig und allein seinen Reichtum.«

»Ja so!« sagte Frau von Bellaston, »so wundre ich mich so sehr eben nicht über meine Kousine. Denn soviel kann ich Sie versichern, dieser Jones ist ein sehr angenehmer Bursche und hat eine Tugend an sich, die, wie die Männer sagen, eine große Empfehlung bei uns Weibern sein soll. Was meinen Sie wohl, Aennchen! – Ich werde Ihnen gewiß was zu lachen geben; ja, ich kann's selbst kaum vor Lachen erzählen! – Wollen Sie wohl glauben, daß das Bürschchen die Dreistigkeit gehabt hat, mir einen Liebesantrag zu thun? Nun, sollten Sie abgeneigt sein es zu glauben, so ist hier Zeugnis genug, Siegel und Briefe, seine eigne Handschrift, ich versichre Sie.« Hiermit gab sie ihrer Kousine den Brief mit dem Heiratsantrage, welchen der Leser, wenn er begierig sein sollte ihn zu sehen, bereits im fünfzehnten Buche dieser Geschichte aufbewahrt finden wird.

»Auf mein Wort, Sie setzen mich in Erstaunen!« sagte die Western. »Das ist wirklich ein Meisterstück von Dreistigkeit! Wenn Sie mirs erlauben, so kann ich vermutlich von diesem Briefe einen guten Gebrauch machen.« – »Sie haben völlige Freiheit,« erwiderte die Bellaston, »ihn zu gebrauchen, wozu Sie wollen. Indessen wollte ich doch nicht gerne, daß Sie ihn jemand anderm zeigten, als Ihrer Nichte Western, und auch ihr nur, wenn es dazu eine gute Gelegenheit gibt.« – »Recht wohl! und wie machten Sie's mit dem Kerl?« erwiderte Tante Western. »Nun, nicht wie mit einem Ehemanne,« sagte die Dame. »Ich bin nicht verheiratet, versichre ich Sie, meine Liebe. Sie wissen's Aennchen, in diesem Himmel auf Erden bin ich einmal gewesen und einmal ist für ein billiges Frauenzimmer schon genug.«

Dieser Brief, meinte Frau von Bellaston, würde Jones Wagschale bei Sophien gewiß ganz in die Höhe ziehn, und was sie so keck machte, ihn wegzugeben, das war teils die Hoffnung, daß er bald aus dem Wege geschafft sein würde und teils, daß sie das Zeugnis der Jungfer Honoria nicht zu fürchten hätte, welche, nachdem sie solcher ein wenig auf die Zähne gefühlt hatte, ihr Ursache zu glauben gab, sie würde allemal zu jedem Zeugnis bereit und willig sein, das sie nur von ihr verlangen möchte.

Vielleicht aber wundert sich der Leser, warum Frau von Bellaston, welche Sophie in ihrem Herzen haßte, sich es so emsig angelegen sein ließ, eine Verbindung zustandezubringen, welche für dieses junge Frauenzimmer so ungemein vorteilhaft war. Nun möchte[203] ich solchen Leser bitten, mit gehöriger Aufmerksamkeit in der menschlichen Natur nachzuschlagen, beinahe auf den letzten Seiten, so wird er daselbst in kaum lesbaren Buchstaben finden, daß Frauenzimmer, ungeachtet des widersinnigen Betragens der Mütter und Tanten etc., es in Heiratssachen wirklich für ein so großes Unglück halten, wenn in der Liebe ihre eigne Neigung gezwungen wird, daß sie sich einbilden, sie dürfen ihre Feindseligkeit niemals höher treiben, als gegen Widersacher von dieser Art; ferner wird er nicht weit von dieser Stelle geschrieben finden, daß ein Frauenzimmer, das sich einmal in dem Besitz einer Mannsperson beglückt gefühlt hat, gern dem Satan auf halbem Weg entgegengehen wird, wenn sie nur verhindern kann, daß kein andres Frauenzimmer eben dieses Glücks genieße.

Will er sich an diesen Ursachen nicht genügen lassen, so gestehe ich freimütig, daß ich keine andern Gründe für das Betragen dieser Dame weiß, es sei denn, daß wir annehmen wollten, sie wäre von dem Grafen von Liebegrimm bestochen worden, wozu ich gleichwohl meinerseits keine wahrscheinliche Vermutung sehe.

Dies war nun gerade die Affaire, welche Ihro Gnaden Fräulein Tante von Western im Begriff standen, bei Sophie durch einige vorläufige Abhandlungen über die Thorheit der Liebe und über die Weisheit, sich auf eine gesetzmäßige Art gegen hohe Miete unzüchtigen Begierden preiszugeben – einzuleiten, als ihr Bruder und Blifil so unangemeldet zu ihr herein traten; und hieraus entsprang alle die Kälte, womit sie Herrn Blifil begegnete, welche zwar der Junker, nach seiner gewöhnlichen Art, auf eine falsche Ursache schob, während sie Herrn Blifil (der wirklich ein viel schlauerer Mann war) einen Argwohn von der wirklichen Wahrheit einflößte.

Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 3, S. 200-204.
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