Drey und vierzigster Brief
Julie an Wilhelmine

[148] Du hast noch immer nicht gefunden was Du suchst, meine theure geliebte Freundin; aber mich dünkt Du bist auf dem Wege dazu. Wohl mir! meine Wilhelmine wird glücklich seyn! was habe ich dann noch zu wünschen?

Wie sehr hast Du Recht, mir nichts auf mein Geschwätz zu antworten. Es war ein[148] Fiebergeschwätz. Gott Lob! jetzt bin ich genesen. Der König kommt nach R.... Mein Mann fürchtete mit Recht, mich seinen Zudringlichkeiten auszusetzen, und brachte mich hieher.

Julianens Ruh, nennt er diese liebliche Einsiedeley. Macht es der Nahme; oder was ist es sonst? aber in der That, ich bin hier ruhiger. Dort war mir als fehlte ich mir selbst; hier habe ich mich wieder.

Zwar ist alles fremd was mich umgiebt. Anna ist fortgeschickt, und ein andres, sehr junges, aber, wie mich dünkt, unschuldiges Mädchen, hat ihre Stelle bekommen. Ein offenbarer Gewinnst für mich. Anna schien mit[149] ein äußerst verderbtes Geschöpf, und nur weil ich sie einmal in meines Mannes Diensten fand, konnte ich sie dulden.

Gleichwohl macht es mir die arme kleine Marie, durch ihre schreckliche Demuth, beynahe unmöglich, in einen zutraulichern Ton mit ihr zu kommen. Meine Bitten scheinen ihr immer Befehle. Zitternd und zagend, als ob das Richtschwerdt sie verfolgte, lauscht sie auf meine Worte, und hat vor Angst immer die Hälfte vergessen.

Auch den andern Mädchen geht es nicht besser. Nur Meister Ubaldo, der Oberaufseher scheint von diesem Schrecken nichts zu wissen. Im Gegentheil bedarf er aller seiner Feinheit,[150] und wirklich angenehmen Gesprächigkeit, um selbst nicht ein wenig schrecklich zu werden.

Mir schien er es nur ein paar Stunden. Jetzt sind wir die besten Freunde von der Welt. Ich muß mich noch gar in Acht nehmen; sonst werde ich in der That sein verzogenes Kind.

Nichts ist ihm gut genug, wenn es für Donna Julia seyn soll, und darum macht er freywillig Koch, Kellermeister und Gärtner. Schönere Blumen und Früchte erinnere ich mich nicht gesehen zu haben. Zu meiner kleinen Tafel könnte ich Fürsten einladen. Nur Schade, daß ich sie nicht so benutze wie Meister Ubaldo es wünscht.[151]

Den Teller in der Hand steht er mir gegenüber und lauscht mit Ängstlichkeit: ob ich von diesem oder von jenem versuchen werde. Lobe ich dann die gute Auswahl, die treffliche Zubereitung; so werden meine Hände, meine Kleider mit Küssen bedeckt, und der gute Mann scheint wirklich einen Anfall von Wahnsinn zu bekommen.

Noch ärger treibt er es, wenn er meinen Flügel, oder meine Stimme hört. Aber leider versteht er keine Note; sonst würde er bey seinem zum Erstaunen richtigen Gefühle, ein sehr angenehmer Begleiter für mich werden.

Sonst läßt er sich freylich das Begleiten[152] sehr angelegen seyn. Nur seitdem ich ihn gebeten habe, kann ich allein in den Garten gehen. Es scheint ihm trotz seines Mißtrauens; oder, wie ich es jetzt lieber nennen mögte – trotz seiner Anhänglichkeit, unmöglich, mir eine unangenehme Empfindung zu verursachen.

Und so führe ich dann hier ein sonderbares, beynahe ätherisches Leben. Ich habe angefangen Kräuter und Blumen zu sammlen, Ein unaussprechlich belohnendes Geschäft. Ich glaube es könnte Götter und Menschenfeinde zähmen.

Wenn ich so mitten im hohen duftenden Grase die köstlichen Blumen, nur so weit ich sie erreichen kann, sammle, die ganze Pracht[153] dann über mein weißes Kleid verbreite, sitze ich oft trunken vom Anschauen der unendlichen Mannigfaltigkeit und Schönheit.

O nein! ich bin nicht allein, bin nicht verlassen! Allenthalben finde ich die große, gütige Mutter. Im Hauche des Frühlings, im Gesange der Nachtigall, im Rauschen des Wasserfalles spricht sie zu mir. Mit Empfindungen, mit Gedanken, mit Tönen, die sie mir gab, darf ich ihr antworten.

O ich unaussprechlich Glückliche! in meinem Herzen ist Friede. Wohl habe ich gefehlt, vielleicht meine Wilhelmine betrübt. – Aber wenn es nicht Selbstsucht, nicht Leidenschaft, wenn es nur Schwäche und Irrthum war, hatte[154] ich dann Strafe verdient? – Nein! nein! auch meine Wilhelmine wird mir vergeben, und dann bedarf ich keinen andern Himmel, als den ich schon habe.

Welche reine köstliche Luft ich hier athme! R.... ist schön; aber es liegt zu tief. Oft wiederholte ich es mir, meine Schwermuth hätte keinen andern Grund. Aber das Herz überwand die Vernunft. Immer sollte noch etwas anderes, wunderbares, übersinnliches auf mich wirken. –

Mein Vater erzählte von einem Manne, der ein äußerst angenehmer Gesellschafter war, aber oft durch sich selbst, mitten im fröhlichsten Scherze unterbrochen wurde. Bleich, verstört,[155] beynahe ohnmächtig sank er dann zurück, verschüttete den köstlichen Wein und hörte nicht mehr das Rufen der fröhlichen Brüder.

»Er dachte an mich!« – war dann seine ganze Entschuldigung.

Ein Freund von ihm war nämlich in türkische Gefangenschaft gerathen, und erzählte wirklich mehrere Jahre nachher: daß er durch mannigfaltige Arbeiten am Tage zerstreut, nur des Abends, aber dann mit unbeschreiblicher Sehnsucht, seiner gedacht habe.

So liebste Wilhelmine war mir in R... »Laß ab! laß ab!« – rief manchmal der Freund des türkischen Gefangenen. Laß ab! Laß ab! meine Wilhelmine! hätte auch ich[156] manchmal rufen mögen. Aber, nicht wahr? jetzt denkst Du ruhiger an mich? ziehst mich nicht mehr so schmerzhaft zu Dir hinüber? – Ja! ich fühle es an meinem erleichterten Herzen, wir sehen uns wieder meine Wilhelmine! wir sehen uns wieder![157]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Die Honigmonathe, Band 2, Posen und Leipzig 1802, S. 148-158.
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