Fünfzehntes Capitel.

Betrachtungen.

[239] »O Gott!« – rief ich, und fing bitterlich an zu weinen – »Wie wird es morgen um diese Zeit aussehen!« – Mein Herz war gepreßt, und ich konnte kein Auge zuthun. – »Die abscheuliche Ehre!« – rief ich – »die sich nur mit Blut versöhnen läßt! Welche barbarische Gewohnheit, das Leben des Beleidigten nach der Willkühr des Beleidigers Preis zu geben!« – Tausend traurige Ahndungen gingen vor meiner Seele vorüber, und wie der Ausgang seyn konnte, mein Unglück war immer gewiß.[240]

O wie oft wünschte ich, daß irgend ein Wunder, irgend ein plötzlicher Zufall, diesen gefährlichen Morgen entfernen möchte! Oder warum konnte ich ihn nicht vertheidigen, und an seiner Seite mit ihm siegen oder sterben? – Ach! ich hatte nichts als Seufzer, nichts als Gebet für ihn; aber habe ich je mit Inbrunst zum Himmel gefleht, so war es in dieser Nacht. –

Und dennoch, wenn er auch siegte, was sah' ich vor mir, als die schmerzlichste Trennung? Wer verbürgte mir seine Zurückkunft? Wer versicherte mir mein Schicksal? Ach! nie hatte ich noch innig gefühlt, wie sehr ich ihn liebte; nie habe ich so viel um ihn gelitten, als in dieser Nacht.

Jeder Seigerschlag fuhr mir durchs Herz; jedes Geräusch klang mir wie Degengeklirre. Ach mit jeder Minute kam der Morgen näher, und die Natur blieb so ruhig, als vorher.[241]

Der Tag brach an. Sonst war ich erheitert darüber, denn ich konnte ihn wieder sehen; heute schien es mir ein Todestag zu seyn. Ich stand auf, kaum hatte ich einige Minuten geschlummert, aber mein Freund lag im süßesten Schlafe. Wehmuthsvoll betrachtete ich seine reizende Gestalt. – »Vielleicht das Letztemal!« – dachte ich – »daß diese himmlische Formen! – Vielleicht das Letztemal!« – und meine Thränen flossen unaufhaltsam.

Er erwachte. – »Bist du schon da, lieber Gustel?« – sagte er teilnehmend. – »Es ist noch früh.« – »Es ist sechs Uhr« – sagte ich, und trocknete mir die Augen ab. – »Ich habe geträumt« – sagte er – »als ob ich ihm die Nase abhiebe, und das hat etwas Gutes zu bedeuten!« – »O wollte es Gott!« – antwortete ich schmerzhaft,[242] und konnte mich nicht enthalten, seine Hand zu küssen. –

Quelle:
Christian Althing: Hannchens Hin- und Herzüge nebst der Geschichte dreyer Hochzeitsnächte. Leipzig 21807, S. 239-243.
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