70. An Valerien

[521] Itzt hat Latona gleich das zweimal sechste Mal

ihr Silber voll gemacht, und Delius ingleichen,

nach dem er ist gerannt durch alle Himmelszeichen,

fängt fornen wieder an die Tage seiner Zal,
[521]

seit mir, Valerie, dein erster Liebesstral

in mein Gesichte fiel, das nun fast will verbleichen.

Ach wol mir von der Zeit, mir aller Wolfart reichen,

es reden es für mich See, Feld, Wald, Berg und Tal.


Der Tage, der sind viel, viel, viel der süßen Stunden,

doch viel mehr ist der Lust, die ich um dich empfunden,

o du mein langer Preis. Nun, da ich scheiden soll,


setz' ich der Freuden Zal entgegen meiner Qualen:

Ich mach' es, wie ichs will, so mangelt mirs an Zalen

und sind die Blätter doch und Seiten alle voll.


Quelle:
Paul Fleming: Deutsche Gedichte, Band 1 und 2, Stuttgart 1865, S. 521-522.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Deutsche Gedichte
Deutsche Gedichte