Sir Walter Raleighs letzte Nacht

[140] Sir Walter Raleigh sitzt und sinnt im Tower,

Vergittert ist sein Fenster, Erz die Tür,

Als sie sich schloß, schloß sich für ihn das Leben,

Wenn sie sich öffnet, öffnet sie der Tod.

Ihm lacht kein Gnadenstrahl; Tyrannenhaß

Hat ihm auf Hochverrat das Wort gedeutet:

»Der Menschen Recht war vor dem Recht der Stuarts,

Und Kön'ge sind von Gott, nicht selber – Gott.«


Die Nacht ist da. Mitleidig durch die Scheiben

Blickt nur der Mond, und nur der Stunde Schlag

(Trotz bietend dem Verbot des Kerkermeisters)

Ruft dem Gefangnen zu: noch lebt die Zeit!

Sir Walter aber, auf die weiße Hand

– Blauadrig längst von Sorg' und Last der Jahre –

Stützt er sein Haupt, und hastig weiter spürend

Auf oft betretner Fährte des Gedankens,

Vergißt er, traumverloren, Zeit und Welt;

Er steigt ins eigne Herz hinab und schreibt:


Willkommen mir, zu scheiden

Von Leben und von Welt,[140]

Mag keinen Gast beneiden,

Den's hier zurücke hält:

Arm sind des Lebens Feste,

Rings abgestandner Wein –

Das Höchste und das Beste

Wie niedrig und wie klein!


Des Hofes Glanz und Schimmer

Blinkt nur wie faules Holz,

Die Kirche lebt vom Flimmer

Und wird vor Demut stolz;

Des Reichen Opferbringen,

Des Mut'gen Märtyrtum,

Der Quell, daraus sie springen,

Heißt Sucht nach Ehr' und Ruhm.


Des Klugen Witz verschwendet

Der Worte viel – um nichts;

Die Weisheit wird geblendet

Vom Glanz des eignen Lichts;

Selbst du, des Weltgewimmels

Gepriesenste, o Kunst,

Es zeugt dich statt des Himmels

Die Mode und die Gunst.


Der Glauben ist veraltet,

Die Lieb' ist eitel Lust,

Ergebung kniet und faltet

Nur, weil es heißt: »Du mußt!«

Die Treu' ging längst verloren

In Schein und Lug und Trug,

Das Glück wird blind geboren;

Ich hab' des Spiels genug.


Willkommen mir, zu scheiden

Von Leben und von Welt,

Mag keinen Gast beneiden,

Den's hier zurücke hält:[141]

Wem's Leben viel gegeben,

Dem gab es Müh und Not,

Der Tod nur ist das Leben,

Und alles Leben – Tod.


Sir Walter schrieb's; ein seltsam Testament,

Mehr eine Beichte als ein letzter Wille.

Da – während noch der gleichgesinnte Spruch

›Die Welt ist eitel‹ durch das Herz ihm klingt –

Erfaßt ihn jener Spottgeist, der es liebt,

In Widerspruch uns mit uns selbst zu bringen,

Der neben unsre Demut, unsren Glauben

Als immer fert'ges Fragezeichen tritt

Und, wo voll Mitgefühls wir weinen wollen,

Uns höhnisch zuruft: »Tor, so lache doch!«

Der Geist erfaßt ihn – und Sir Walters Auge

Hinzwingend auf den Demantring am Finger,

Durchstreicht er ihm die Weisheit dieser Stunde

Und gibt des Lebens Torheit ihm zurück.

Sein Aug' wird hell, Sir Walter sieht nur eins:

Den Sonnentag, der diesen Ring ihm brachte.


Zu Windsor war's, inmitten Waldeslust,

Durchs Eichenlaub floß goldne Mittagssonne,

Und wo die Jagd all ihre Schätze häufte,

Wo hundertfach der Hirsch im Blute lag,

Im Aug' des Rehs die Todesträne blinkte

Und wo der wilde Eber, nun so zahm,

Der Furchen keine mehr im Erdreich riß,

Da wuchs – als hätt' samt seinen Jagdgesell'n

Sich Robin Hood ins Riedgras hin gelagert –

Auf grünem Plan ein Festmahl aus der Erde:

Mit duft'gem Moose war der Tisch gedeckt,

Am Jagdspieß briet das Rundstück und der Ziemer,

Vom nahen Hügel sprudelte der Quell,

Daneben aber, selber schier ein Hügel,

Lag für die durstigsten der durst'gen Kehlen

Ein Stückfaß goldnen Weines, Vögel sangen,[142]

Nichts fehlte, nur der königliche Gast.

Da scholl ein Horn, und sieh, in raschem Jagen,

Gestrüpp und dichtes Farnkraut leicht durchbrechend,

Erschien auf hohem Roß die hohe Frau,

Und jetzt, voll Kraft sich aus dem Sattel schwingend,

Berührte schon ihr Schleppenkleid den Boden,

Da stutzte sie – des Waldgrunds Feuchte lag,

Ein schwarzer Spiegel, schillernd ihr zu Füßen.

Sie stutzte; wohl! doch Augenblicke nur:

Denn pfeilgeschwind, herab zum Teppichdienste,

Flog Ritter Raleighs goldgestickter Mantel,

Und lächelnd nieder trat Elisabeth.


Das war ein Tag! Noch die Erinnrung dran

Gießt Lebenslust durch des Gefangnen Adern.

Er will nicht sterben; schmeichlerische Träume

Rückspiegeln ihm die Großtat manchen Tags,

Und seines Klägers Unrecht gegenüber

Anklammernd sich an seines Ruhmes Recht,

Springt er jetzt auf und ruft: »Versuch es, Stuart!

Schwer wiegt dein Haß, doch schwerer mein Verdienst.

Irland stand auf – mein Degen warf es nieder;

Cadix bot Trotz – ich brach den Trotz im Sturm,

Und als des finstren Philipps Riesenflotte,

Wie Goliath prahlend, vor Alt-England trat,

Da barg mein Schiff die auserwählte Schleuder –

Gott gab die Kraft, ich aber schwang den Stein.«


Sir Walter spricht's; die Enge seines Kerkers

Mit raschem Schritt durchmessend, preßt er jetzt

– Als such' er Kühlung für die heiße Stirn –

Sein fiebrig Haupt an seines Fensters Gitter,

Und jetzt, durch trübes Scheibenglas hindurch,

Nachblickend der zerrißnen Wolken Zug,

Fährt plötzlich er zurück: ins Glas gekritzelt

Steht »Essex« und ein Sterbekreuz darunter.[143]


Seltsames Spiel! Dieselben Wände sind's,

Drin einst – wie er, verklagt auf Tod und Leben –

Sein Nebenbuhler saß, zugleich sein Opfer,

Und siehe da! durchs Herz ihm, das noch eben,

Gefälschter Schuld und Klage gegenüber,

Von Ruhmes-Recht geträumt, gehn jetzt die Schauer

Wahrhaft'ger, unauslöschbar-tiefer Schuld.

Er zittert, und als scheu zum zweiten Male

Sein Aug' er jetzt erhebt, da sind's des Grafen

Schriftzüge nicht, nein, Züge des Gesichts,

Und eine Grabesstimme ruft ihm zu:

»Irland stand auf – gleich dir, ich warf es nieder,

Cadix bot Trotz – ich nahm's im Sturm, wie du;

All meine Schuld, nicht größer als die deine,

War königlicher Gunst verzognes Kind.

Doch fiel mein Haupt, horch auf, es mußte fallen,

Denn sieh, als leise schon das Wörtchen ›Gnade‹

Den Weg vom Herzen auf die Lippe nahm,

Erschlug die Tücke meines Nebenbuhlers

Das süße Wort – und als der Herrin Huld

Auch da noch schwankte, meinen ›Tod‹ zu schreiben,

Da führte wer die Hand? Sir Walter, du!

Vernimm: die alte Schuld deckt nun die neue;

Bereite dich, du zahlst sie mit dem Tod.«


Die Stimme schwieg; der Morgen kam – die Zelle

War öd' und leer. Doch auf dem Gras des Hofes

Lag Tau der Nacht und Walter Raleighs Blut.


Quelle:
Theodor Fontane: Sämtliche Werke. Bd. 1–25, Band 20, München 1959–1975, S. 140-144.
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