An den Schlaf

[406] Hoch vor allen

Gaben der Himmlischen

Sei mir gepriesen,[406]

Du der Seele

Labendes Wasser,

Gliederlösender,

Heiliger Schlaf.


Dich segn' ich abends,

Wenn ich gebeugt,

Erquickung suchend,

Herniedersteige

Zu deiner Tiefe.


Wie Meereswogen

Umfängst du mich kühlend;

Und wie das Meer

In seinem Schoße

Nichts Fremdes herbergt

Und faules Gewächs,

Trümmer und Leichen

Rastlos wieder

Ans Ufer flutet:

Spülst du die Sorgen

Alle des Tages,

Die kranken Gedanken

Zurück ans Gestad'.


Dich rühm' ich morgens,

Wenn mir die Seele

Verjüngt emportaucht

Aus deinen Wellen,

Frisch und strahlend

Wiedergeboren,

Der meerentstiegenen

Göttin gleich.


Ein heilig Bad

Bist du, o Schlummer,

Würziger Kraft voll.

Mut und Erneuung

Atmet die Psyche,

Wenn deine Woge

Sanft die bewußtlos[407]

Schwimmende trägt

Von Leben zu Leben

Von Strand zu Strand.


So ist der Tod

Auch ein Bad nur.

Aber drüben

Am anderen Ufer

Liegt uns bereitet

Ein neu Gewand.

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 1, Leipzig und Wien 1918, S. 406-408.
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