Das Lied vom Reiche

[225] ? jedenfalls vor 1866.


Frisch auf und unverdrossen,

Wie grimm die Welt auch tut!

Die zwei sind dir Genossen,

Dein Gott und deutscher Mut.

Ob's Herz schier bricht,

Verzage nicht,

Die Zähne beiß zusammen!

Es fügt sich doch,

Wofür so hoch

Die besten Herzen flammen.


Nicht knechtisch Wohlbehagen,

Noch blutig Gaukelspiel

Aus welscher Gleichheit Tagen

Ist unsres Volkes Ziel.

Doch birgt sein Herz

Nicht mehr den Schmerz

Um die zerborstne Eiche,

Doch wächst das Wort

Allmächtig fort,

Das Wort vom deutschen Reiche.


Wohl hält der alte Drache

Vielköpf'ger Eifersucht

Am Baum des Lebens Wache

Und weigert uns die Frucht.

Doch, wie er faucht

Und Flammen haucht,

Laß dich nicht mit zerspalten!

Getrost im Graus,

Mein Volk, halt aus!

Gott wird der Hoffnung walten.[225]


Der Treue kann's nicht fehlen,

Beharren bringt Gedeihn;

Was reif ward in den Seelen,

Das schafft sich Fleisch und Bein.

Es wird die Not

Ihr laut Gebot

Im Schlachtendonner sprechen;

Und kommt's nicht jetzt,

So kommt's zuletzt

Mit Biegen oder Brechen.


Das ist die einz'ge Sühne

Das ist des Liedes Schluß,

Das ist der Lenz, der grüne,

Der endlich werden muß:

Voll Macht und Ruhm

Das Kaisertum,

Dem freien Volk zum Frommen.

Drum, wie's auch tost,

Herz, sei getrost!

Das Reich wird dennoch kommen.

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 2, Leipzig und Wien 1918, S. 225-226.
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